Er war eine Leichtathletik-Ikone, Olympiasieger, lange Zeit das Maß der Dinge im Kugelstoßen - und viele Jahre später in ein trauriges Kapitel amerikanischer Geschichte involviert.
Die fatale Expertise einer Legende
Dallas Long ist am vergangenen Sonntag im Alter von 84 Jahren verstorben. Eine Nachricht, die die Erinnerung an eine von vielen heute vergessene, aber äußerst bemerkenswerte Sportlervita wachrief.
Hypnotiseur löst Dallas Longs Blockade
Long, geboren am 13. Juni 1940 in der Stadt Pine Bluff in Arkansas, krönte sich 1964 in Tokio zum Olympiasieger, nachdem er vier Jahre davor in Rom bereits die Bronzemedaille gewonnen hatte. Sechs Mal in seiner Karriere verbesserte der Modellathlet den Weltrekord, den er 1964 ein letztes Mal auf 20,68 Meter schraubte.
Dabei hatte er als junger Athlet Probleme, sein Können in Weite umzusetzen. Wegen einer psychischen Blockade brachte ihn sein Vater zu Milton Erickson, einem Psychologen, der in der Kunst der Hypnose bewandert war.
„Es gab einen Olympiasieger im Kugelstoßen, der in der Highschool bei genau 58 Fuß (etwa 17,67 Meter, Anm. d. Red.) hängen blieb“, erzählte Erickson später. „Ein ganzes Jahr lang beschwor ihn sein Trainer, er können weiter stoßen als die 58 Fuß.“
Also habe er seinen Patienten unter Hypnose darauf eingeschworen, „dass er, so schlimm seine Blockade auch sein möge, die Kugel zufällig auf 58 Fuß und ein Hundertstel Zoll (ca 0,02 Zentimeter) stoßen könne - was ihm schließlich gelang.“
Die mentalen Probleme waren daraufhin passé: „Er wurde Dritter bei den Olympischen Spielen mit einer Weite von über 61 Fuß“, fügte Erickson an. „Er sagte auch, dass er einen nationalen High-School-Rekord aufstellte, nachdem ich ihn dazu gebracht hatte, die 58 Fuß um 1/100 Zoll zu durchbrechen.“
1996 wurde Long in die Hall of Fame der US-Leichtathletik aufgenommen - drei Jahre, nachdem Long aus völlig anderen Gründen nochmal in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt war.
Long mit verhängnisvoller Zeugenaussage
Was war passiert? Anfang 1993 fungierte Long - im zweiten Leben Zahnarzt mit Spezialgebiet Notfallmedizin - als Zeuge der Verteidigung im berühmt gewordenen Rodney-King-Prozess gegen zwei Polizeibeamten des Los Angeles Police Department. Vier weiße Polizisten waren der Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King bei einer Verhaftung nach einer Alkoholfahrt beschuldigt worden - und obwohl die Tat gefilmt wurde, sprach das Gericht die Beamten frei.
Long, der King nicht behandelt hatte, gab die Einschätzung ab, dass Kings schwerste Gesichtsverletzungen nicht von den Schlagstöcken herrührten, sondern wohl von einem Sturz auf Kieselsteine verursacht worden seien. Longs Expertise in der Beurteilung der Situation wurde von Anklage und Prozessbeobachtern ebenso in Zweifel gezogen wie der Umstand, dass er vom Richter überhaupt als Zeuge zugelassen wurde. Zumal Long selbst angab, Verletzungsursachen nur „hobbymäßig“ zu analysieren.
Andere Mediziner, auch diejenigen, die King behandelt hatten, zeigten sich sicher, dass Kings Gesichtsknochen durch Schläge mit einem Schlagstock zertrümmert worden seien. Es sei unmöglich, sich solche Verletzungen bei einem Sturz zuzuziehen.
Die gegenteiligen Einschätzungen von Long und der Biomechanikerin Carly Ward - die ebenfalls scharf angegriffen wurde - standen dem diametral gegenüber und lieferten eine wesentliche Grundlage für den Freispruch der Polizisten, für den sich eine mehrheitlich weiße Geschworenen-Jury entschied.
53 Tote nach schweren Ausschreitungen
Der Freispruch der weißen Polizisten sorgte landesweit und international für Entsetzen, neben dem damaligen Bürgermeister von L.A. übte auch der republikanische US-Präsident George H.W. Bush Kritik und sprach von einem „schwer zu verstehenden“ Urteil.
Der Freispruch löste in Teilen von Los Angeles, vor allem bei der schwarzen Bevölkerung, für einige Tage einen gewalttätigen Aufstand mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen aus, bei dem 53 Menschen das Leben verloren. Auch der 2012 früh verstorbene Rodney King selbst konnte mit einem öffentlichen TV-Appell (“Können wir uns nicht alle vertragen?“) die Unruhen nicht beschwichtigen.
Zwei der beschuldigten Polizisten wurden letztlich in einem weiteren Verfahren schuldig gesprochen, Kings Bürgerrechte verletzt zu haben. Sie wurden am 4. August 1993 zu je 30 Monaten Haft verurteilt. Die beiden anderen Polizisten wurden erneut freigesprochen.
Olympia-Held Dallas Long, der in den Geschehnissen eine fragwürdige Rolle spielte, starb am Sonntag in Whitefish im US-Bundesstaat Montana eines natürlichen Todes, wie der US-Leichtathletikverband USC mitteilte.