Er war ein Mythos, der einst die Sportwelt in Ehrfurcht versetzte - ein Laufwunder, ein Nationalheld.
Der tiefe Fall eines Wunderläufers
Wolodymyr Kuz war in den fünfziger Jahren ein Vorzeigeathlet der Sowjetunion: Vom jungen Weltkriegsveteran schwang sich der in der Ukraine geborene Kuz zum Spitzensportler auf, schaffte bei Olympia 1956 das seltene Gold-Double über die 5000 und 10.000 Meter.
Auf den Triumphzug von Melbourne - der heute vor 58 Jahren begann - folgte später allerdings ein tiefer persönlicher Fall, der mit dem frühen Tod des einstigen Ausnahme-Leichtathleten endete.
Als Teenager Soldat im Zweiten Weltkrieg
Wolodymyr Kuz (früher geläufigere russische Schreibweise: Wladimir Kuz bzw. Vladimir Kuts im Englischen) wurde am 7. Februar 1927 geboren. Der Halbwaise - sein Vater trank sich in den Tod, als Kuz fünf Jahre alt war - schloss sich als Jugendlicher der Roten Armee an. Angeblich fälschte er von sich das Alter in seinem Pass, um sich am Kampf gegen den Angriff Nazi-Deutschlands zu beteiligen.
Nach dem Krieg gehörte Kuz der Baltischen Flotte an und stieg zum ranghohen Offizier auf. Die Kriegserfahrungen prägten ihn fürs Leben: Sein Freund und Athletenkollege Wladimir Kasanzew berichtete, dass Kuz ihm einmal anvertraute, dass er unter ständigen Albträumen mit von Minen zerfetzten Menschen gelitten hätte.
Das Lauftalent von Kuz wurde spät entdeckt, kam dann aber schnell zur Blüte.
Furiose Gold-Läufe bei Olympia in Melbourne
Im Jahr 1951 wurde Chomenkow sowjetischer Landesmeister über die 5.000 und 10.000 Meter, drei Jahre spätere erregte Kuz auch international Aufsehen - im selben Jahr und am selben Ort, an dem auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Geschichte schrieb.
Bei der Leichtathletik-EM 1954 in Bern gewann Kuz mit neuer Weltrekord-Zeit Gold über die 5000 Meter - vor dem bisherigen Rekordhalter Christopher Chataway aus England und der tschechischen Ikone Emil Zatopek. Zwei Jahre später trat Kuz mit seinem Olympia-Golddouble furios in die Fußstapfen des jeweiligen Titelverteidigers Zatopek.
Am 23. November 1956 lief Kuz im 5000-Meter-Finale von Melbourne von Beginn an voraus, gab der Konkurrenz um seinen Hauptrivalen Gordon Pirie aus England wie meistens das Tempo vor.
In den letzten Runden holte Pirie auf und übernahm zwischenzeitlich auch die Führung - aber das war Teil des taktischen Plans von Kuz, der nochmal das Tempo anzog und dem entkräfteten Pirie weit davonlief.
„Seine Geschwindigkeit und seine Tempowechsel haben mich gekillt“, fluchte Pirie später: „Er ist zu gut für mich. Ich hätte nie so schnell laufen können. Nie hätte ich Wladimir Kuz schlagen können!“ Kuz selbst gab später zu, dass es durchaus auch anders hätte kommen können: Er hätte womöglich aufgeben müssen, hätte Pirie entgegen seiner Kalkulation länger Schritt gehalten.
Kuz war nach seinem Kraftakt völlig ausgelaugt, sein Start über die 5000 Meter fünf Tage später stand auf der Kippe. Die sowjetische Delegation soll ihn mit der Verlockung einer Generals-Pension zum Start überredet haben. Kuz trat an, lief Pirie wieder davon und feierte einen Start-Ziel-Sieg mit 11 Sekunden Vorsprung - dem höchsten der olympischen Geschichte auf dieser Distanz.
Harter Drill mit gesundheitlichen Folgen
Die Frage, ob bei Kuz‘ Wunderläufen alles mit rechten Dingen zugegangen war, wurde später kontrovers diskutiert: Sowohl Zatopek als auch Pirie äußerten Doping-Verdächtigungen. Pirie hob hervor, dass Kuz - mit dem er sich neben der Strecke gut verstand - ein „sehr feiner Sportsmann“ gewesen sei und er ihn nicht persönlich beschuldigen wolle. Der 1991 verstorbene Brite spekulierte aber über Zwangsdoping durch die sowjetischen Hintermänner.
Gewiss ist, dass Kuz bei Staatstrainer Grigorij Nikiforow unter einem brutalen Regiment stand. „Nikiforow hatte etwas von einem Henker, der es darauf anlegte, mich körperlich und seelisch zu brechen“, berichtete Kuz später: „Er wollte einen Krieger aus mir machen, der jeder Belastung des sportlichen Kampfs standhält.“
Das Ausmaß des Drills hatte gesundheitliche Folgen: Schon vor Olympia stellten Ärzte bei Kuz erhöhten Blutdruck und einen außer Kontrolle geratenen Puls fest, nach den Spielen litt Kuz an Herzbeschwerden und musste eine längere Zwangspause einlegen.
Kuz kam nochmal zurück und stellte 1957 einen weiteren Weltrekord über 5000 Meter auf. Zwei Jahre später musste er wegen zunehmender gesundheitlicher Probleme zurücktreten - die auch mit einem Marine-Unfall 1952 zusammenhingen: Ein Sturz in Eiswasser löste Erfrierungen und Langzeitschäden aus, Kuz bekam chronische Magen- und Beinschmerzen.
Tragischer Absturz und früher Tod
Nach dem aktiven Karriere-Ende wurde Kuz Trainer, mit seiner Gesundheit ging es weiter bergab: Er bekam massive Alkoholprobleme und geriet körperlich außer Form, wog in seinen letzten Lebensjahren über 100 Kilo. 1972 erlitt er einen Schlaganfall, zwei Scheidungen vertieften seine Lebenskrise.
Von der kommunistischen Staatsmacht wurde Kuz abgeschirmt, eine an ihn gerichtete Einladung zu den Olympischen Spielen in München 1972 wurde abgeblockt, der Held von einst sollte in seiner damaligen Verfassung nicht mehr im Scheinwerferlicht der internationalen Öffentlichkeit präsentiert werden.
Am 16. August 1975 starb Wladimir Kuz mit nur 47 Jahren an einer Medikamenten-Überdosis in Kombination mit Wodka. Es blieb ungeklärt, ob es ungewollt oder ein Suizid war.
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Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie sich selbst von Depressionen und Suizidgedanken betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in zahlreichen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.
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In der ukrainischen Stadt Trostjanez nahe von Kuz‘ Heimat in der Oblast Sumy steht ihm zu Ehren eine Statue und ein nach ihm benanntes Fußballstadion. Trostjanez wurde 2022 im Krieg gegen die Ukraine zwischenzeitlich von Russland eingenommen, die Invasion verursachte massive Zerstörungen und Dutzende Todesopfer.