Er gewann Gold bei den Olympischen Spielen von München. War Weltrekordhalter, einer der besten Leichtathleten der Welt, ein Phänomen, das auch nachfolgende Generationen prägte.
Ein tiefer Fall mit tragischem Ende
Man könnte sich „Hot Rod“ Rodney Milburn als Glückskind vorstellen, wenn man sich die oberflächliche Bilanz seiner Sportlerkarriere ansieht. Tatsächlich ist die Geschichte des früheren Hürden-Asses aus den USA die Story eines großen Pechvogels.
Der einstige Ausnahmeläufer erreichte seine athletische Blüte zu einem für ihn ungünstigen Zeitpunkt und hatte nicht die Möglichkeit, von seinem sportlichen Ruhm so leben zu können wie es andere Top-Leichtathleten tun konnten, die nicht lange nach ihm geboren wurden.
Tragischerweise spielte dieser schicksalhafte Umstand indirekt auch eine Rolle beim persönlichen Absturz und dem frühen und grausamen Tod der Legende heute vor 27 Jahren.
Rassismus erschwerte Ray Milburns Jugend
Milburn wurde am 18. März 1950 in der Kleinstadt Opelousas in Louisiana geboren, geprägt von den vielfältigen Einflüssen französischer, spanischer und kreolischer Kolonialvergangenheit (und selbsterklärte „Welthauptstadt der Gewürze“) - aber auch von der Rassentrennung, die in Milburns Jugend dort noch galt.
An der Highschool tat sich Milburn als herausragendes Hürden-Talent hervor und begann sich mit einem Sport-Stipendium auf die Jagd nach olympischer Glorie zu machen.
An der Southern University in Lousiana (die Afroamerikanern offenstand) wurde Milburn von Willie Davenport - dem 110-Meter-Hürden-Olympiasieger von 1968 in Mexico City - entdeckt und gefördert. Sein Training übernahm Dick Hill, der zuvor auch Bob Hayes gecoacht hatte, 100-Meter-Olympiasieger von Tokio 1964 und später Super-Bowl-Champion mit den Dallas Cowboys in der NFL.
Als Hürdenläufer ein technischer Pionier
Milburn erwies sich als neuer Meisterschüler: Fachleute sahen ihn als den ersten „echten“ Hürdensprinter, dessen Technik so ausgereift war, dass er die Distanz flüssig in vollem Tempo durchzog. Milburn schulte seine Präzision mit Münzen, die er beim Training auf die Hürden legte und übte, sie von den Hindernissen zu wischen, ohne die Hürde selbst zu berühren. Eine Innovation war auch Milburns „double arm lead“, die Angewohnheit, beim Lauf beide Arme voranzustrecken, um so den Luftwiderstand zu verringern.
Im Jahr 1971 machte der damals 21-Jährige international auf sich aufmerksam: Er blieb unbesiegt in sämtlichen Einzel-Wettkämpfen, in denen er antrat, gewann Gold bei den panamerikanischen Spielen und wurde vom Fachmagazin Track and Field News zum weltbesten Leichtathleten des Jahres gekürt.
„Hot Rod“, wie Milburn damals getauft wurde, positionierte sich als großer Goldfavorit für die Spiele in München. Und er löste das Versprechen dann auch ein - jedoch nicht unter den Umständen, die ihm zu wünschen gewesen wären.
Terroranschlag überschattete seinen größten Sieg
Nachdem Milburn bei den US Trials an einem formschwachen Tag fast die Qualifikation für Olympia verpasst hatte, war er in München auf den Punkt fit: Er siegte und stellte mit 13,2 Sekunden Davenports Weltrekord ein (die automatisch gestoppten 13,24 wurden dann zur neuen offiziellen Bestmarke erklärt).
Milburns Sieg am 7. September 1972 wurde überschattet von der tödlichen Terror-Operation militanter Palästinenser auf das israelische Olympia-Team an den beiden Tagen zuvor. Am Tag selbst wurde die Aufmerksamkeit zusätzlich abgelenkt von der Aufregung um den folgenschweren, heute weithin vergessenen Nationalhymnen-Eklat um die afroamerikanischen 400-Meter-Läufer Vince Matthews und Wayne Collett.
Unglückliche Umstände begleiteten auch Milburns weitere Karriere.
Politische Gründe verhinderten weitere Olympia-Teilnahmen
Milburn blieb in seiner Disziplin noch länger das Maß der Dinge, 1973 schrieb er im Züricher Letzigrund ein weiteres Mal Geschichte, indem er als Läufer überhaupt unter den handgestoppten 13,2 Sekunden blieb - und damit unter den damals noch gültigen Regeln den legendären Rekord der deutschen Ikone Martin Lauer brach. Weitere Olympia-Teilnahme blieben Hayes indes aus politischen Gründen verwehrt.
1976 in Montréal durfte Milburn nicht starten, weil er zuvor bei der kurzlebigen Profitour ITA aktiv war, was ihm den Amateurstatus nahm, der damals bei Olympia vorgeschrieben war. 1980 versuchte er mit Blick auf die Spiele in Moskau ein Comeback als Amateur - der Boykott der USA wegen der sowjetischen Invasion in Afghanistan durchkreuzte die Olympia-Mission.
Die olympischen Regeln der damaligen Zeit nahmen Milburn auch die Chance, seinen Erfolg mit kommerziellen Werbedeals zu versilbern. Wie viele andere US-Leichtathleten seiner Zeit versuchte Milburn zwischenzeitlich auch eine Zweitkarriere im Football - hatte aber nicht das nötige Talent, wie sich zeigte.
Tod bei einem grausamen Arbeitsunfall
Im Jahr 1983 beendete Milburn seine aktive Karriere und wurde Trainer an seiner alten Uni. Im Jahr 1987 verlor Milburn den Job, als sein alter Mentor Dick Hill die Southern University verließ und dessen Nachfolger Milburns Arbeitsvertrag auslaufen ließ.
Der zu diesem Zeitpunkt schon länger aus dem Scheinwerferlicht verschwundene Milburn nahm für seinen Lebensunterhalt letztlich einen Industriejob in einer Papierfabrik in der Stadt Port Hudson an.
Am 11. November 1997 kam Milburn dort bei einem tragischen Arbeitsunfall ums Leben: Er fiel aus unbekannter Ursache in einen Ladewagen mit dem Bleichmittel Natriumchlorat. Als Kollegen ihn fanden, konnte nur noch Milburns Tod durch Vergiftungen und schwere Verbrennungen festgestellt werden.
Milburns Leben war aus der Bahn geraten
Schon vor seinem Tod hatte Milburn persönliche Probleme: Der Vater von sechs Kindern lebte in Trennung und zuletzt in einem Obdachlosenheim. Seine Olympia-Goldmedaille und andere Trophäen wurden zuvor aus Geldnot versteigert und an einen Secondhand-Laden verramscht.
Die Los Angeles Times machte den Besitzer ausfindig, der berichtete, dass er kurz vor Milburns Tod von diesem kontaktiert worden sei und er ihm die Trophäen und Habseligkeiten aus Mitleid zurückgeben hätte wollen. Bei der Ankunft sei er von der Todesnachricht überrascht worden.
Ray Milburn, ein tragisch unvollendeter Olympia-Held, wurde nur 47 Jahre alt.