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Leichtathletik: Von der DDR-Vorzeigesportlerin zur unerwünschten Person

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Leichtathletik: Von der DDR-Vorzeigesportlerin zur unerwünschten Person

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Das Drama einer DDR-Legende

Karin Balzer floh als junge Sportlerin aus der DDR und wurde von der Stasi unter Zwang „heimgeholt“. Später wurde sie Olympiasiegerin und Vorzeigeathletin - ehe sie wieder mit dem System in Konflikt geriet.
Karin Balzer im Jahr 1971
Karin Balzer im Jahr 1971
© IMAGO/WEREK
Karin Balzer floh als junge Sportlerin aus der DDR und wurde von der Stasi unter Zwang „heimgeholt“. Später wurde sie Olympiasiegerin und Vorzeigeathletin - ehe sie wieder mit dem System in Konflikt geriet.

Sie war eine der größten Vorzeigeathletinnen der DDR - obwohl sie das Land eigentlich früh hinter sich lassen wollte.

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Karin Balzer war mit 20 Jahren in die BRD geflüchtet, weil sie früh die Zwänge des autoritären Systems zu spüren bekam. Zwei Monate später kehrte sie zurück - aus anderen Gründen als den offiziell dargestellten - und entwickelte sich zu einer der erfolgreichsten Leichtathletinnen der Geschichte des Ostens.

Heute vor 60 Jahren feierte die Hürdenläuferin bei Olympia in Tokio den größten Triumph ihrer Laufbahn, vier Jahre später in Mexico City war sie dann ironischerweise die erste Fahnenträgerin der sozialistischen Republik, der sie eigentlich entfliehen wollte. Eine bequeme Heldin des untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaats wurde sie trotzdem nicht.

Karin Balzer wurde nach DDR-Flucht unter Druck gesetzt

Balzer, am 5. Juni 1938 als Karin Richert in Magdeburg geboren und gelernte Chemie-Facharbeiterin, geriet als junges Talent mit dem Staatssportbetrieb in Konflikt: Ihr widerstrebte die angeordnete Versetzung von ihrem Verein BSG Chemie Halle-Leuna zum SC Dynamo, der für harte Trainingsmethoden berüchtigt war, die sie für sich als nicht hilfreich sah.

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Richert und ihr Trainer und späterer Mann Karl-Heinz Balzer flohen am 21. Juli 1958 über West-Berlin in die Bundesrepublik und wollten ein neues Leben beginnen, hatten auch schon mit dem Training beim SV Phönix Ludwigshafen begonnen.

Nur zwei Monate später kehrte das Ehepaar zurück, als vermeintlich reuige Sünder. Wie sich später herausstellte, war es eine Wiedereingliederung unter Druck und Zwang: Die Stasi drohte mit Repressalien gegen die Familie, spannte auch Richerts Vater ein, der die Tochter zusammen mit Ost-Agenten aufsuchte und zur Heimkehr bewegte.

Nach der Rückkehr bekam Richert eine einjährige Wettkampfsperre auferlegt, ihr Mann durfte sie jahrelang nicht zu internationalen Wettkämpfen begleiten, um die Gefahr weiterer Fluchtversuche einzudämmen. Von der Stasi wurde sie weiter engmaschig überwacht, in einem Ausmaß, über das sie sich nach der Wiedervereinigung schockiert zeigte: „Nach der Wende habe ich natürlich auch meine Stasiakte öffnen lassen. Und war doch ganz schön entsetzt, dass so viele IM auf mich angesetzt waren, unvorstellbar. Das ist hart und bitter, dass man einfach als Staat auch nicht verzeihen konnte.“

Große Erfolge als Läuferin, Berufsverbot als Trainerin

Das gestörte Verhältnis zum Land hielt Balzer nicht davon ab, eine herausragende Karriere hinzulegen: Bei Olympia 1964 in Tokio gewann Balzer - für das seinerzeit noch pro forma als gesamtdeutsche Mannschaft antretende Team - Gold in der damals üblichen Distanz der 80 m Hürden.

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Ein Gold-Abo hatte Balzer bei den Europameisterschaften, gewann dreimal EM-Gold unter freiem Himmel (1966, 1969, 1971), fünfmal in Folge in der Halle (1967 bis 1971). Balzer war auch die erste Frau, die die 100 Meter Hürden unter 13 Sekunden lief, stellte insgesamt sieben Weltrekorde auf.

Ihren letzten großen Erfolg erreichte Balzer in München 1972 mit der Olympia-Bronzemedaille über 100 Meter Hürden - überschattet von einer privaten Tragödie: Einen Tag vor dem Finallauf war ihr sechs Jahre alter Sohn Andreas an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben. Die Todesnachricht wurde ihr auf Bitten ihres Mannes und Trainers erst nach dem Lauf übermittelt.

Nach der aktiven Karriere arbeitete Karin Balzer ab 1973 als Trainerin und geriet dabei wieder mit der Staatsführung über Kreuz: Sie weigerte sich, den von ihr betreuten Athletinnen und Athleten Dopingmittel zu verabreichen. Sie wurde deswegen aus dem Leistungssport aussortiert und mit einem Berufsverbot belegt, wurde Sportlehrerin.

Comeback als Trainerin im vereinten Deutschland

Im vereinten Deutschland wurde Balzer wieder Trainerin - und sehr erfolgreich: Sie und ihr Mann betreuten Anja Rücker, 1999 bei der WM in Sevilla Silber-Gewinnerin über 400 Meter, und ihren Sohn Falk, 1998 Vize-Europameister über 110 Meter Hürden.

Falk Balzer geriet 2001 in die Schlagzeilen, weil er positiv auf das Steroid Nandrolon getestet wurde - was die deutsche Leichtathletik ein Jahr nach dem spektakulären Dopingfall Dieter Baumann weiter in Misskredit brachte. Falk Balzer beteuerte seine Unschuld und focht das Urteil (erfolglos) in einem langen Rechtsstreit an, er zeigte sich überzeugt, dass die Grenzwertüberschreitung durch eine körpereigene Überproduktion zustande gekommen war. Falk Balzer betonte immer wieder, dass es ihm auch um den guten Ruf seiner Eltern gehe.

Karin Balzer starb am 17. Dezember 2019 nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren.