Diese Bilder haben Robert Harting unsterblich gemacht. Am Abend des 21. August 2009 riss sich der Diskus-Hüne nach seinem Sieg das Trikot vom Leib, schulterte das Maskottchen Berlino und zog das gesamte Stadion mit dieser irren Show in seinen Bann.
Legendärer Jubel mit bizarren Folgen
Bis zu seinem letzten Versuch lag der gebürtige Cottbuser bei der Leichtathletik-WM in Berlin in einem dramatischen Duell hinter seinem polnischen Rivalen Piotr Malachowski zurück. Dann aber haute er noch einen Wurf raus, der ihn zum Helden machen sollte. Erst bei 69,43 Metern landete die Scheibe, die Weite des Polen wurde um 28 Zentimeter übertroffen.
Der Rest war ein Jubelausbruch, der in die Geschichte eingehen sollte. „Ich bin absolut zufrieden, ich habe mein Stadion verteidigt. Ich habe es mir selber nicht so erhofft. Zum Schluss hat alles gepasst. Volles Risiko. Super-Ding“, wurde Harting anschließend im Spiegel zitiert.
Unbekannte Person droht mit Klage
Der Jubel aber hatte auch negative Folgen. Im Vorfeld der Europameisterschaften in Zürich fünf Jahre später ist bei seinem Anwalt eine Drohung eingegangen. Er würde Harting verklagen, falls er auch in der Schweiz seine Jubel-Geste wiederhole.
Denn das Zerreißen des deutschen Trikots verstoße gegen Paragraf 90a des Strafgesetzbuches, in dem es um die „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ geht. Ein entsprechender Artikel in der Bild am Sonntag löste 2014 größeren Wirbel aus.
In der gleichen Zeitung äußerte sich der Diskuswerfer empört. „Das Ganze ist natürlich völliger Schwachsinn - und irgendwie auch typisch deutsch“, ärgerte sich Harting.
In Zürich verzichtete er dann tatsächlich auf den brachialen Jubel nach seinem Titel, erklärte ihn aber damit, dass seine Großmutter etwas dagegen habe. „Ihr gefällt es nicht“, sagte der Diskus-Olympiasieger nach seinem Sieg mit 66,07 Metern. „Oma ist eine andere Generation. Da kommt es nicht gut an, wenn man ein Lump ist und das Trikot zerreißt.“
Harting prägt das Diskuswerfen fast ein Jahrzehnt lang
Dennoch: Mit dem Wurf und dem Triumph fünf Jahre zuvor hatte die Karriere des deutschen Diskus-Riesen einen extremen Schub bekommen. Zwischen 2009 und 2018 prägte der ältere der Harting-Brüder die deutsche Leichtathletik-Szene wie kein anderer: Olympiasieger (2012 in London), dreimaliger Weltmeister (2009, 2011, 2013) und zweimaliger Europameister darf sich der heute 39-Jährige nennen - damit war er im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts weltweit der Top-Athlet unter den Diskuswerfern.
Seit seinem Kreuzbandriss 2014 ging Hartings Leistungskurve etwas nach unten, eine internationale Medaille sprang nicht mehr heraus. Die Qualifikation für die EM 2018 schaffte er mit Hängen und Würgen, auch weil ihn sein Körper ausbremste. In Berlin war dann auch nicht mehr als der sechste Rang drin.
Es war das Ende der internationalen Karriere eines Athleten, der auch polarisierte wie kaum ein anderer.
Schon vor der WM 2009 hatte er eine eingeschränkte Freigabe von Dopingmitteln befürwortet, während der Wettkämpfe äußerte er sich kritisch zu einer Aktion von Doping-Opfern der DDR.
"Wenn der Diskus aufkommt, soll er gleich gegen die Brillen springen, damit die wirklich nichts mehr sehen", polterte er, nachdem Pappbrillen an die Zuschauer verteilt wurden, um auf den Missbrauch verbotener Mittel aufmerksam zu machen.
Entwicklung zum Doping-Gegner
Der deutsche Leichtathletik-Verband hatte alle Hände voll zu tun, sein größtes Zugpferd zu bändigen: "Mit der Bitte um Nachsicht führt Robert Harting an, dass die Anspannung des Qualifikations-Wettkampfes nachwirkte und zu inakzeptablen Äußerungen geführt hatte", schickte der DLV anschließend eine Pressemitteilung hinterher.
Harting bewies später, dass das nicht dahingesagt wurde, positionierte sich in den Jahren darauf als verbissener Doping-Gegner. So ließ er sich 2014 von der Kandidatenliste der IAAF streichen, als der Weltverband den Welt-Leichtathleten des Jahres wählen ließ. Auf jener Liste stand mit Justin Gatlin ein US-Sprinter, der schon zweimal des Dopings überführt wurde.
Überhaupt: Verlief Hartings sportliche Laufbahn auf nahezu konstant erfolgreichem Niveau, so war das Drumherum häufig widersprüchlich. Innerhalb des deutschen Teams gibt es einerseits kaum jemanden, der ein schlechtes Wort über den dreimaligen Sportler des Jahres verliert.
Im Gegenteil. Harting ist als Teamkapitän einer, an dem sich die Mannschaft aufrichten kann. Zudem unterstützt er pflichtbewusst die Neulinge im Team und ist als meinungsstarker Athlet eines der anerkanntesten Sprachrohre.
Ambivalentes Verhältnis zum Bruder
Umso bemerkenswerter, und das zeigt Hartings Widerspruch am besten, ist das ambivalente Verhältnis zu seinem Bruder. Wäre der sechs Jahre jüngere und ebenfalls als streitbar bekannte Christoph (Olympiasieger 2016) nicht ebenfalls zu einem Weltklasse-Diskuswerfer gereift - die Öffentlichkeit hätte davon wohl nichts mitbekommen.
So aber traten die beiden Harting-Brüder gegeneinander an, ohne ein Wort miteinander zu sprechen. „Gebrüder Groll“ titelte der Spiegel einmal über die ungleichen Olympiasieger. Ihr Verhältnis als „angespannt“ zu bezeichnen, wäre verniedlichend. „Die Zwistigkeiten werden vermutlich erst dann aufhören, wenn einer beim anderen am Grab steht“, sagte Robert einmal.
Die genauen Gründe für den tief persönlichen Streit blieben im Dunkeln - über Weihnachten 2020 sprachen sich die beiden aber letztlich doch aus und erklärten dann, dass sich ihr Verhältnis normalisiert hätte.
Robert Harting wird in diesem Jahr 40, mit kritischen Gedanken über die deutsche Leichtathletik und Sportförderung ist er immer wieder präsent. Sein berühmtester Moment bleibt der emotionale Triumph bei der Heim-WM - mit einem Fotomotiv, das um die Welt ging.