Am Ende konnte Mohamed Abdillahi an diesem heißen Sommerabend Ende Juni in Braunschweig nicht einmal mehr die kleine Chance am Schopfe packen, die sich ihm bei den Deutschen Meisterschaften bot.
Verpokert im Kampf um Olympia
Dort hatte er sich mit den anderen Top-Läufern um Florian Bremm, Maximilian Thorwirth und Sam Parsons auf ein schnelles 5000-Meter-Finale verabredet, um in letzter Minute doch noch einen Olympia-Platz zu ergattern. Bei einer Zeit unter 13:20 Minuten hätte sich der Sieger noch das Paris-Ticket schnappen können.
Aus dem Vorhaben wurde nichts. Die Siegerzeit von Bremm war zu hoch - und Abdilaahi musste wegen muskulärer Probleme kurzfristig passen. Wenn am 7. August die olympischen Vorläufe über 5000 Meter der Männer gestartet werden, dann wird also kein deutscher Athlet dabei sein.
Dabei schien vor allem für den 25 Jahre alten Abdilaahi, der in den vergangenen Jahren die Strecke in Deutschland weitgehend dominiert hatte, der Weg in die französische Hauptstadt geebnet. Die 13:05 Minuten hatte er bereits 2022 unterboten - allerdings hatte damals der entsprechende Qualifikationszeitraum noch nicht begonnen.
Gnadenlose Hetzjagd um die Olympiaplätze
Die Qualifikation für Paris führte über zwei Wege: Wer die Norm knackte, hatte automatisch einen der 42 Startplätze sicher. Für diejenigen, die diese Zeit nicht schafften, gab es eine Rangliste (die sich aus Platzierungen und Zeiten speiste), mittels derer die übrig gebliebenen Plätze vergeben wurden.
Das Problem für Abdilaahi und Co.: Weil am Ende nicht weniger als 36 Läufer die direkte Norm unterboten, blieben über die Rangliste nur noch sechs Plätze übrig, wobei es am Ende neun wurden, weil drei Athleten absagten. Erschwerend kam für Abdilaahi hinzu, dass er schon im Vorjahr nicht mehr an seine Leistungen aus 2022 anknüpfen konnte und schon die WM in Budapest denkbar knapp verpasst hatte.
„Da habe ich den Fehler gemacht, dass ich mich über die 5000 Meter nicht häufig genug gezeigt und damit nicht genügend Punkte gesammelt habe, sonst wäre ich ganz locker dabei gewesen“, sagt er bei SPORT1. „Da habe ich die WM um zwei Punkte verpasst. Deswegen habe ich mir dieses Jahr gesagt: ‚Bloß nicht wieder den Fehler machen‘.“
Abdilaahis Strategie für Paris zielte demnach auf die Punktejagd für die Weltrangliste - und damit auf das Abspulen von vielen Wettkämpfen. „Ich habe 110 Prozent gegeben, bin um die ganze Welt geflogen und war mir für nichts zu schade, die Wege zu machen.“
Der Plan scheiterte an der Leistungsexplosion der internationalen Konkurrenz, die in einem gnadenlosen Ausscheidungsrennen den deutschen Athleten buchstäblich den Laufpass gab. Während immer mehr Läufer die direkte Norm unterboten, jetteten die DLV-Stars um die halbe Welt, um sich in der Rangliste in Stellung zu bringen.
„Das Niveau ist weltweit so krass geworden“
„Mein Plan war, dass ich mich über die Weltrangliste qualifiziere“, sagt Abdilaahi, der auch Reisestrapazen mit Flügen nach China oder in die USA auf sich nahm.
„Aber nach und nach hat man gesehen, dass das Niveau weltweit so stark geworden ist, dass es für die Olympia-Qualifikation über die Weltrangliste nicht reichen wird, sondern man die direkte Norm benötigt“, erklärt Abdilaahi. „Das hat die Strategie von vielen internationalen Athleten durchkreuzt. Die Hoffnung war, dass man die Punkte sammeln für Paris kann – was sich als Trugschluss herausgestellt hat.“
Die Crux: Je mehr Wettkämpfe Abdilaahi in den Beinen hatte, desto schwerer wurde es für ihn, die Zeiten zu erreichen, die er für einen der neun übrig gebliebenen Plätze benötigt hätte. Dennoch stand er in der Rangliste noch kurz nach der EM in Rom Mitte Juni auf einem Platz, der ihm das Paris-Ticket ermöglicht hätte.
Nun steht Abdilaahi mit leeren Händen da - und verpasst die Spiele in Paris- „Ich möchte nicht sagen, dass die Punktejagd umsonst war, aber es fühlt sich jetzt ein bisschen so an“, bedauert der gebürtige Mönchengladbacher. „Das Niveau ist weltweit so krass geworden, dass man strategisch für die Zukunft gucken muss, auf die Norm zu trainieren. Nur so kann man sicher sein, bei einem Großevent wie Olympia dabei zu sein.“
Dabei gibt es international noch größere Härtefälle, als die knapp gescheiterten DLV-Läufer. „In Großbritannien und Schweden zählt das World-Ranking gar nicht. In diesen Ländern muss sich ein Athlet über die Direktnorm qualifizieren – oder er bleibt zu Hause“, erzählt Abdilaahi, der als Beispiel die 3.000 Meter Hindernis nennt.
„Velten Schneider, ein Athlet meines Jahrgangs, hat sich zum ersten Mal für Olympia qualifiziert, weil viele, die vor ihm lagen, nicht mitfahren dürfen. Das ist natürlich super für ihn, aber es bricht auch die anderen Sportler.“
„Das Potenzial ist da, ich habe es schon mal abgerufen“
Dagegen hätten die deutschen Athleten noch Glück, dass sich der DLV an das World-Ranking halte. „Die Bestätigungsnormen sind fair, auch wenn man natürlich ein gewisses Niveau mitbringen muss, um bei so einer Meisterschaft dabei zu sein. Da brauchen wir uns nicht zu beschweren.“
Damit auch Abdilaahi bei internationalen Großereignissen wieder mitmischen kann, will er nun die Strategie komplett ändern und versuchen, mit weniger Rennen die direkte Norm zu schaffen. „Das Potenzial ist da, ich habe es schon mal abgerufen“, sagt er.
Dabei vertraut er auch weiterhin auf sein familiäres Umfeld, das ihn auch während des Trainings begleitet. Seit dem vergangenen Jahr wird der dreimalige Deutsche Meister von seinem Vater gecoacht, sein jüngerer Bruder Yassin komplettiert die kleine Trainingsgruppe.
Unterkriegen lässt sich der gläubige Moslem, der nach jedem Rennen zu Boden fallen lässt und die Tartanbahn küsst, ohnehin nicht „Auch wenn ich Paris verpasst habe, war es eine sehr gute Erfahrung. Ich bin sicher, dass ich bald in bessere Sphären laufen kann, als ich es jemals getan habe“, prophezeit er.
Das Training werde sich eines Tages auszahlen, davon ist Mohamed Abdilaahi überzeugt. „Ich muss einfach nur geduldig sein. Die Arbeit ist getan und ich bin sicher, dass wir die Früchte bald sehen werden.“