Am Morgen des Ostersonntages packte die deutsche Läuferin Alina Reh im Laichingen ihre Klamotten ein, setzte sich ins Auto und fuhr etwa 30 Kilometer Richtung Südwesten durch die Schwäbische Alb. Eine halbe Stunde später erreichte sie Öpfingen, stieg aus dem Auto, zog die Laufklamotten an und stellte sich mitten in den Pulk, der auf den Startschuss des dortigen Osterlaufes wartete.
Olympiatraum platzt dramatisch
„Das war eine sehr spontane Aktion“, verriet sie nun bei SPORT1. „Ich laufe erst seit vier Wochen wieder und war vorher ein halbes Jahr lang raus. Da dachte ich mir: ‚Okay, wieso soll ich eigentlich am Samstag Training daheim machen, wenn ich auch da mitlaufen kann?‘ Und dann habe ich mich kurzerhand dazu entschlossen.“
Noch vor einiger Zeit nannten Kenner der Szene die heute 26-Jährige im gleichen Atemzug mit Konstanze Klosterhalfen, wenn es um die Zukunft der deutschen Langstrecke ging. Die Olympischen Spiele in Paris im Sommer standen entsprechend dick in ihrem Kalender, das war von Anfang an ihr großer Traum - doch dieser Traum ist jäh geplatzt. „Olympia ist für mich außer Reichweite“, bedauert sie.
„Der Tritt hat mich völlig aus dem Gleichgewicht gebracht“
Dass sich Reh doch noch das begehrte Olympia-Ticket schnappt, dafür ist die Zeit zu knapp. Ein Tritt auf die Achillessehne bei den Deutschen Meisterschaften im vergangenen Juni brachte sie komplett aus dem Tritt und machte ihr letztlich einen Strich durch die Olympia-Rechnung.
„Ich hatte zuvor schon immer wieder ein bisschen Probleme mit beiden Achillessehnen, allein schon aufgrund der Carbonschuhe“, erzählte sie. „Der Tritt hat mich dann aber irgendwie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich habe zwar noch versucht, weiter zu trainieren, dann kamen aber noch Knieschmerzen dazu. Das ging dann bis Ende November.“
Doch der Alptraum wollte nicht aufhören, es wurde sogar noch schlimmer. „Dann habe ich wieder versucht, langsam ins Lauftraining einzusteigen, aber mein Körper war einfach noch nicht so weit.“ Schließlich kam im Dezember noch ein Ermüdungsbruch im Schienbein dazu. „Es hat dann bis Ende Februar gedauert, bis es ausgeheilt war.“
Bereits in den Jahren davor wurde Reh von mehreren Verletzungen ausgebremst, zudem ereilte sie während der Corona-Zeit nach der zweiten Impfung auch noch eine langwierige Herzmuskelentzündung.
Ein Ermüdungsbruch gibt ihr den Rest
Schon damals geriet sie ins Grübeln, was ihren Körper anging, horchte in ihn herein und versuchte die Ursachen ihrer Malaisen zu eruieren – etwas, was sie in ihrer jüngsten Verletzungsgeschichte wieder tat.
„Ich habe mich in dieser Zeit sehr viel über Bewegungsabläufe in meinen Körper und die Anatomie informiert, was auch sehr interessant war“, sagte die neunmalige Deutsche Meisterin.
Und dennoch fand sie nicht alle Antworten. „Das war schon extrem, weil ich überhaupt nicht verstehen konnte, warum ich jetzt einen Ermüdungsbruch bekomme, obwohl ich gar nicht viel trainiert habe“, schilderte Reh.
Die EM-Dritte von 2018 vermutet heute, dass der mentale Druck, es unbedingt zu den Spielen nach Paris schaffen zu wollen, letztlich für den Ermüdungsbruch verantwortlich war. „Ich glaube, das war eine endgültige Reaktion des Körpers, dass es so eben nicht geht.“
„Ich bin schon sehr sensibel, wenn irgendetwas zwickt“
Der Prozess, sich dieses einzugestehen und den großen Traum ad acta legen zu müssen, war ebenso lang wie qualvoll. „Es war schon extrem, das zu realisieren und zu verkraften. Teilweise war das echt brutal“, sagt sie.
Reh wog während dieses Prozesses ab, inwieweit sie überhaupt ihre Karriere fortsetzen wolle – und fand schließlich eine Antwort. „Mir ist noch einmal richtig bewusst geworden ist: Okay, ich möchte wieder laufen, weil ich das Laufen einfach liebe. Ich will diese Art der Bewegung einfach wieder ausführen und dieses Laufgefühl wieder spüren.“ Zudem wäre sie bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles immer noch im besten Laufalter.
Also schuftete Reh weiter in der Reha, achtete penibel auf die Reaktionen in ihrem Körper und tastete sich wieder heran – doch die schmerzhafte Vergangenheit lässt sich nicht einfach abschütteln. „Die Verletzungen sind immer sehr präsent. Ich bin schon sehr sensibel, wenn irgendetwas zwickt. Da habe ich dann schon immer gleich Angst, wieder verletzt zu sein.“
Und dennoch sind Fortschritte erkennbar, und manchmal muss sie sich sogar bremsen. „Ich laufe jeden Tag immer nur ein Mal, auch wenn ich am liebsten zwei Mal laufen würde. Ich hebe mir das dann immer ein bisschen auf, damit es am nächsten Tag auch noch geht“, sagte sie.
Von Öpfingen nach Los Angeles?
Auch ohne das ersehnte Olympia-Ticket scheint Reh langsam wieder ihr inneres Gleichgewicht zu finden: „Es macht auf jeden Fall Bock, aber es ist auch nicht so, als würde man einen Lichtschalter anmachen und plötzlich fühlt sich alles wieder so an wie vorher. Das ist auch ein Prozess, sich da erst wieder hineineinzufühlen. Aber ich bin guter Dinge.“
Nachdem Paris abgehakt ist, freut sie sich auf ein besonderes Debüt im kommenden Herbst: „Das ganz große Ziel in diesem Jahr ist der Marathon in Berlin.“
Beim Osterlauf am Sonntag stand sie schon ganz oben auf dem Treppchen. Es ist Alina Reh zu wünschen, dass der Sieg in heimischen Gefilden eine weitere kleine Etappe zurück zur alten Stärke war. Im besten Fall führt ihr Weg von Öpfingen über Berlin nach Los Angeles.