Sifan Hassan war bereits als Ausnahmeathletin bekannt. Doch mit ihrem Sieg beim Londoner Marathon setzt sie einen neuen Maßstab.
Hassan weinte vor Marathon-Coup
Normalerweise war die Niederländerin auf Strecken bis 10.000 Metern zuhause. Der Marathon am vergangenen Sonntag stellte ihren ersten Ausflug auf die 42,195 Kilometer dar. Einen konkreten Anlass habe es nicht gegeben, sie hatte einfach Lust - trotz oder gerade wegen ungünstiger Voraussetzungen.
Zum einen musste Hassan aufgrund einer Lebensmittelvergiftung ihren Trainingsauftakt für die Bahnsaison abbrechen. Hinzu kamen die Regeln des Ramadans, die die gebürtige Äthiopierin streng befolgte. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang musste sie deshalb sowohl auf Essen als auch auf Trinken verzichten.
Im negativen Sinne sind auch hier aller (guten) Dinge drei: Die dreifache Olympiamedaillengewinnerin verletzte sich nur zehn Tage vor dem Marathon am Oberschenkel. „Immer wieder fragte ich mich – warum zur Hölle hast du dich für einen Marathon angemeldet?“, haderte sie im Interview mit der Schweizer Zeitung Blick nachvollziehbar mit sich.
Erster Marathon glich einem Hindernislauf
Hassans größte Sorge vor ihrem 42-Kilometer-Lauf war nicht etwa ihr angeschlagener Körper, sondern eher die Frage, wie man in vollem Lauftempo trinken soll. Während des Ramadans konnte die 30-Jährige nämlich nicht üben, wie man sich an der Trinkstation einen Becher schnappt und laufend trinkt.
Am Morgen vor London war sie so nervös, dass sie in ihrer chaotischen Art vergaß, den verletzten Oberschenkel zu tapen. „Ich hatte richtig Schiss vor dem Start, musste weinen und mich übergeben“, sagte sie.
Ihre Angst war nicht ganz unbegründet. Der Marathon verlief alles andere als glatt. Noch vor der Halbzeit musste sie zweimal anhalten, um den schmerzenden Oberschenkel zu dehnen. Die Spitzengruppe zog ohne sie weiter. An Aufgeben war dennoch nicht zu denken.
Die Weltmeisterin über 1500 Meter und 10.000 Meter von Tokio zog das Tempo an und kämpfte sich bei leichtem Wind und Regen wieder in die Spitze zurück. Auch eine Beinahe-Kollision mit einem Begleitmotorrad, die sie fast die letzte Trinkstation verpassen ließ, konnte sie nicht stoppen.
Ihre Sprintfähigkeiten verhalfen ihr auf den letzten 200 Metern dann zu Gold. Nach überstandenen 42 Kilometern zog sie an ihren Konkurrentinnen vorbei und durchquerte nach 2:18:33 Stunden vor Alemu Megertu (Äthiopien/+4 Sekunden) und Peres Jepchirchir (Kenia/+5) die Ziellinie.