Dunkle Wolken hingen über dem Himmel von Halle. Der kalte Wind trieb einen leichten Schneeschauer vor sich her. Laute Musik dröhnte aus einer Box.
Paukenschlag in der Leichtathletik
Mika Sosna trat zu seinem allerletzten Wurf an, nahm den Diskus in die Hand, drehte sich blitzschnell und stieß einen Urschrei aus. Am aufbrausenden Applaus der Zuschauer war schnell klar, dass dem 19-Jährigen ein echter Coup gelungen war - ein Coup, für den er sogar seine Gesundheit aufs Spiel setzte.
Die 65,57 Meter, die Sosna erzielte, warf er mit einer Einblutung im Adduktorenbereich. Das verriet er im Gespräch mit SPORT1.
Eine goldene Diskus-Generation bahnt sich an
Der erst 19 Jahre alte Athlet vom TSV Bergedorf gewann gleich in seinem ersten Jahr bei den Männern die Silbermedaille bei den deutschen Winterwurf-Meisterschaften.
Der Wettbewerb wurde zum ersten Mal in dieser Form ausgetragen und habe sich laut Sosna trotz schlechter Wetterverhältnisse direkt bewährt. Im sechsten und letzten Versuch gelang ihm in Halle (Saale) eine persönliche Bestweite von 65,57 Metern.
Mit seinem bislang weitesten Wurf im Männerbereich sicherte sich der Hamburger Rang zwei hinter Daniel Jasinski (66,75 Meter). Und das, obwohl man „im Winter eigentlich gar nicht weit werfen kann“, wie er selbst meinte.
Auf den Rängen dahinter landeten zwei weitere U23-Neulinge. Seine Mitstreiter Marius Karges (62,43 Meter) und Steven Richter (62,38 Meter) lassen auf eine goldene Diskus-Generation hoffen. „Das ist unglaublich stark, dass drei Jungs im ersten U23-Jahr über 62 Meter werfen. Das ist eine absolute Premiere und macht unfassbar Spaß. Wir sind ein Trio, das sehr gut zusammen funktioniert“, sagte Sosna.
Als Nächstes stehe für das befreundete Trio der Werfer-Europacup in Leiria (Portugal) an. Durch das gemeinsame Reisen seien die drei Diskus-Spezialisten „wie eine Familie“ geworden. Neben den Wettkämpfen sehen sie sich bei Trainingslagern, die etwa zwei Wochen des Monats umfassen. Gemeinsam wollen sie „die Älteren ärgern“ und das können sie, wenn man auf die Resultate der DM schaut.
DM stand bis zuletzt auf der Kippe
Vor dem entscheidenden Durchgang hatte Sosna mit 59,57 Metern nur auf Rang sechs gelegen, allerdings auch noch nicht alles riskiert.
„Ich bekam vor zwei Wochen die Diagnose: Einblutung im Adduktor. Aufgrund der Kälte war es bis zuletzt unklar, ob ich nach Halle fahre oder nicht. Daher waren die ersten Versuche eher zurückhaltend. Beim letzten Wurf war ich dann so sauer, dass irgendwie nichts klappt, dass ich alles zusammengeschrien habe“, ließ das Diskus-Talent den finalen Durchgang Revue passieren.
„Der sechste Wurf war der einzige, wo die Technik gepasst hat und ich auf den Diskus draufgehen konnte. Bei den anderen ist der Körperschwerpunkt immer vom Diskus weggegangen. Die ersten Versuche waren alle zu hoch oder zu flach“, sagte Sosna, der mit seinem letzten Wurf direkt an der deutschen Spitze landete.
Doch die Verletzungen ziehen sich durch seine noch junge Karriere im Sport. Auch im letzten Jahr, bei einem Wettkampf um die U20-WM-Qualifikation, konnte er erst im letzten Versuch volles Risiko gehen.
Platz 4 der deutschen U23-All-Time-Rangliste
Vor gut einem Monat wurde der Nachwuchsathlet zum „Jugend-Leichtathlet des Jahres 2022″ gewählt und neben Malaika Mihambo und Jolanda Kallabis im Rahmen der deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund ausgezeichnet.
Und das nicht unverdient: Im vergangenen Sommer verbesserte Sosna den U20-Weltrekord. Er warf die 1,75 Kilo schwere Scheibe auf 71,37 Meter. Bei den Männern muss er nun mit einem 2-Kilo-Diskus vorliebnehmen. Doch anhand seiner Bestleistungen scheint ihm die Umgewöhnung gelungen zu sein.
Mit seiner neuen Bestweite aus Halle liegt er in der U23-All-Time-Rangliste in Europa auf Platz 23 und in Deutschland auf Platz 4. Und das mit erst 19 Jahren!
Olympia als formuliertes Ziel
Sosna ist dennoch vorsichtig, konkrete Ziele zu formulieren. Für dieses Jahr liege der Fokus auf den U23-Europameisterschaften in Espoo (Finnland). Alles darüber hinaus sei ein Plus.
Er habe aber auch schon ein Auge auf Olympia 2024 in Paris geworfen. Das Event sei immer „im Hinterkopf“.
„Der Traum eines jeden Sportlers ist es, mindestens einmal an Olympischen Spielen teilzunehmen. Wir sind jetzt gerade wieder relativ nah am Olympiazyklus. Das ist auf jeden Fall ein Ziel, was ich mir auch selbst formuliert habe, dass ich da teilnehme. Die Normen sind momentan wirklich brutal hochgesetzt worden. So eine hohe Olympianorm hat es noch nie gegeben“, weiß Sosna.
Bis zu den gesetzten 67,20 Metern fehlen ihm nicht einmal mehr zwei Meter. In Anbetracht seiner bisherigen Entwicklung gut möglich, dass der olympische Traum schon in Paris in Erfüllung geht.