2009 war Usain Bolt das Gesicht der Leichtathletik. Doch aus Bolt wird dieser Tage Bol. Die junge Niederländerin Femke Bol schreibt Geschichte.
Das neue Gesicht der Leichtathletik?
Und das nicht erst seit dem 19. Februar, als sie einen neuen Fabel-Weltrekord über 400 Meter (Indoor) aufstellte. Mit 49,29 Sekunden pulverisierte sie die 41 Jahre bestehende Bestmarke von Jarmila Kratochvilova (Tschechien; 49,59 Sekunden im Jahr 1982). Es war der älteste noch bestehende Leichtathletik-Rekord auf der Bahn.
Sie ist der europäischen Konkurrenz enteilt und dominiert die Stadionrunde wie keine andere. Vergangenen Sommer krönte sie sich in München zur Europameisterin über 400 Meter ohne Hürden (49,44 Sekunden) und über 400 Meter mit Hürden (52,67 Sekunden). Den Titel in der 4x400-Meter-Staffel sammelte sie ebenso noch ein.
Bol: „Weltrekord das Ergebnis von harter Arbeit“
Doch wer ist die 23-Jährige, die allen davonläuft?
Hinter der Leichtfüßigkeit, die sie sich bis über die Ziellinie beibehält, steckt mehr: „Es ist einfach das Ergebnis von harter Arbeit mit Blick auf den Sommer“, sagte Bol nach ihrem Rekordlauf, der nicht „auf ihrer Liste“ stand.
Für Bol, die erst am 23. Februar ihren 23. Geburtstag feierte, war es der zweite 400-Meter-Lauf unter 50 Sekunden.
Ihre Karriere nahm das erste Mal Fahrt auf, als sie 2021 Europas Leichtathletin des Jahres wurde.
Auch das sportliche Umfeld machte Bol so stark. Liiert ist die Sprinterin mit dem belgischen Stabhochspringer Ben Broeders.
Sprinterin gehört zu ihren besten Freundinnen
Zu ihren besten Freundinnen gehört die niederländische Sprinterin Lieke Klaver. Eine freundschaftliche Rivalität, von der wohl beide profitieren. Gegenseitig pushen sie sich zu Höchstleistungen.
Doch auf ihrem Weg an die Weltspitze wolle die gebürtige Amersfoorterin jeden schlagen, „wer auch immer es ist“, sagte sie bei worldathletics.org.
„Wir sind wie Schwestern und lernen, uns gegenseitig zu helfen. Wenn wir Rat brauchen, wäre sie (Klaver; Anm. d. Red.) die erste Person, zu der ich gehen würde“, sagte Bol. Diese sei „sehr perfektionistisch“, verriet Klaver.
Und das zahlt sich offenbar aus. Bei den Hallen-Europameisterschaften in Istanbul, die vom 02. bis 05. März stattfinden, geht sie erneut als die große Favoritin an den Start.
Bol-Heimtrainer distanziert sich vom deutschen Modell
Der (Heim-)Trainer, der hinter Bols sportlichen Erfolgen steckt, heißt Laurent Meuwly.
In der Süddeutschen Zeitung erklärte Meuwly, dass er vom deutschen Weg zu schnellen 400-Meter-Zeiten nicht überzeugt sei und einen anderen Ansatz verfolge. „Von kurz zu lang“ sei hierzulande das Mantra - also mit einer Vielzahl von kurzen und schnellen Läufen die Sprintausdauer auszubilden.
Meuwly hält diese Herangehensweise für zu einseitig. Er verglich die Taktik mit einem Haus, bei dem nicht vier Wände aufgestellt werden, sondern nur zwei. Seine Pläne sehen größere Umfänge vor: Längere Läufe in einem entsprechend langsameren Tempo.
Das Mittelstreckentraining helfe, so Meuwly, bei Meisterschaften auch über mehrere Runden aus Vorläufen, Halbfinals und Finals hinweg auf hohem Niveau zu performen.
Leistungssprünge sorgen immer für Fragezeichen
Spitzenleistungen und Weltrekorde besonders junger Athleten sorgen immer für Spekulationen, wie dieser Leistungszuwachs zustande kam.
Doping-Experte Fritz Sörgel sagte bei SPORT1, dass er Femke Bol grundsätzlich nichts unterstellen wolle: „Es ist eine Frage des Trainings, wie man die Leute an solche Leistungen heranführt. Nicht nur auf physischer Ebene, sondern auch mental.“
Doch durch die bekannte Leichtathletik-Schmiede, das 2019 beendete Nike Oregon Project, rückte die Sportart in den vergangenen Jahren in das Doping-Licht. Über lange Zeit gab es immer wieder schwere Doping-Anschuldigungen gegen frühere Läufer des Projekts, die bei Meisterschaften mitunter überaus erfolgreich waren.
Der Leiter des damaligen Projektes, Alberto Salazar, wurde 2019 für vier Jahre gesperrt. Der gebürtige Kubaner soll Dopingproben manipuliert und mit verbotenen Mitteln wie Testosteron gehandelt haben.
„Wenn ich mir ein Bild von Frau Bol und ihrem Körperbau anschaue, dann denke ich immer an das Oregon Project. Da wurde gezeigt, was man mit Training, allerdings auch mit - in Klammern - zusätzlichen chemischen Mitteln, die nicht auf der Dopingliste stehen, erreichen kann. Ob beim Oregon Project nach WADA-Liste eindeutige Dopingmittel zum Einsatz kamen, konnte bis jetzt nie bewiesen, nur vermutet werden“, sagte Sörgel, der im Fortlauf des Interviews aber betonte, dass er die niederländischen Trainingsmethoden nicht mit der Vorgehensweise des Oregon Projects gleichsetzen wolle.
„Sportler und Trainer sind ihre eigenen Versuchskaninchen“
Sörgel fuhr fort: „Es gibt bei Femke Bol einen kontinuierlichen Leistungsanstieg, aber natürlich auch die volle Ausnutzung von Trainingstechniken. Der Leistungssportler ist heute ein mit allen Möglichkeiten des Trainings, der Ernährung („kein Gramm zu viel“) und der Einnahme unterschiedlichster Substanzen bis unter die Haarspitzen aufgefülltes Wesen. Das Thema Ernährung spielt eine zentrale Rolle.“
„Aber auch Nahrungsergänzungsmittel, die bei Laien und in normalen Dosen wenig bis nichts bewirken, aber bei Verabreichung der vielfachen Menge und mit dem ganzen chemischen Wunderkasten hat das vermutlich auch Effekte auf die Leistungsfähigkeit“, ergänzte Sörgel.
Sich eine feste Meinung zu bilden, sei jedoch auch für Sörgel schwierig: „Wissenschaftlich nachgewiesen ist es nicht, aber wer sollte den Aufwand für Studien bezahlen? Die Sportler und ihre Trainer sind ihre eigenen Versuchskaninchen und „Studienleiter“ und wenn irgendeine Mixtur wirkt, dann wird sie weiter gefuttert. Und auch das ist Fakt: Wenn eine Rezeptur wirkt, spricht sich das im Nu herum, siehe Ketonkörper.“
„Wir können Super-Athleten einfach nur hinnehmen“
Der Doping-Experte erinnere sich zudem, dass es schon in diversen Sportarten auch sehr jungen Menschen gelang, herausragende Leistungen zu vollbringen.
„Da spielt die Systematik im Training und in der Lebensführung eine große Rolle. Und die Genetik ist natürlich entscheidend, die man aufgrund der phänomenalen Leistungen in die Überlegungen mit einbeziehen muss.“ Deren Einfluss könne man aber aufgrund der heutigen Methoden nicht messen“, sagte Sörgel.
Sein Fazit zu dieser Art von Sportlern lautet daher: „Wir können Super-Athleten einfach nur hinnehmen, wer möchte, kann sie auch bewundern. Welcher Kategorie er oder sie angehört, Wunderkind oder chemische auffrisierter Mensch, bleibt offen.“