Ihr Foto diente bei der WM als Sinnbild für den desolaten Zustand der deutschen Leichtathletik: Als Hindernisläuferin Lea Meyer kopfüber in den Wassergraben stürzte, wurde die 24-Jährige zur traurigen Symbolfigur stigmatisiert.
Sturz-Schock: „Wie tief ist das Ding?“
Dabei war Meyer noch eine der wenigen Athlet(inn)en, die in Topform nach Eugene angereist war - schließlich blieb sie trotz des Missgeschicks nur knapp über ihre Bestzeit.
Bei der Leichtathletik-EM in München hat sie den Endlauf bereits erreicht - und will am Samstag zeigen, was wirklich in ihr steckt.
SPORT1 traf Meyer bei einem Sponsoring-Event ihres Ausrüsters New Balance. Die Athletin des ASV Köln erzählt, welche erstaunlichen Erfahrungen sie bei dem Sturz machen musste, warum sie Gesa Krause vermisst und dass sie trotz einer Corona-Infektion vor drei Wochen fürs Finale bester Dinge ist.
SPORT1: Frau Meyer, Sie sind als Erste Ihres Vorlaufs souverän ins Finale eingezogen. Wie hat sich der Lauf angefühlt?
Lea Meyer: Ich bin sehr zufrieden, das lief genau nach Plan. Dass ich den Lauf gewinne, hätte ich nicht unbedingt gedacht, aber umso schöner fühlt es sich an.
„Die letzten drei Wochen waren sehr belastend“
SPORT1: Sie hatten sich nach der WM in Eugene eine Corona-Infektion eingefangen und waren in Sorge, ob Sie zur Heim-EM wieder in Form kommen. Sind Sie erleichtert?
Meyer: Die letzten drei Wochen waren sehr belastend. Erst mit dem Sturz in Eugene, dann mit Corona. Das lief alles nicht so optimal. In der vergangenen Woche war gab es zwar schon Einheiten, wo ich dachte, dass die Form nicht so gelitten hat - aber im Wettkampf ist es doch noch etwas anderes. Deswegen war ich sehr erleichtert, dass ich mich das ganze Rennen gut gefühlt habe.
SPORT1: Was rechnen Sie sich fürs Finale am Samstag aus?
Meyer: Das Niveau in Europa ist momentan unglaublich hoch, was ich sehr cool finde. Ich hoffe dadurch, dass es ein schnelles Rennen wird. Ich bin in diesem Jahr in der Form meines Lebens, zumindest war ich das vor drei Wochen. Und am Donnerstag habe ich gemerkt, dass die Form noch da ist. Von daher hoffe ich, mit einer Bestleistung herauszugehen. Welche Platzierung das dann sein wird, hängt natürlich auch von der Tagesform meiner Konkurrentinnen ab.
SPORT1: Sie haben den Sturz in Eugene angesprochen, als Sie kopfüber in den Wassergraben fielen. Wie sehen Sie diesen Schockmoment aus heutiger Sicht?
Meyer: Ich hatte mich super gefühlt vor dem Rennen und war mir sehr sicher, dass ich Bestleistung laufen würde. Der Sturz war dann mein Fehler, ich war in dem Moment nicht konzentriert, da muss man ehrlich sein. Es war eine schmerzvolle Erfahrung, aber das passiert einem einmal im Leben. Ich hab‘s jetzt durch - und schon heute gemerkt, dass eine andere Konzentration vor jedem Hindernis da ist. Das hat mich viel sensibler gemacht.
SPORT1: Wie fühlt es sich an, wenn man kopfüber in einen Wassergraben stürzt? Bekommt man da nicht den Schock seines Lebens?
Meyer: Ja, das war eine heftige Erfahrung. Die Nässe war das kleinste Problem. Beim Eintauchen habe ich mich gefühlt wie im Schwimmbad. Ich habe gedacht: ‚Wie tief ist das Ding eigentlich‘? Ich habe mich gefühlt, als würde ich richtig tief tauchen. Es hat dann auch ewig gedauert, bis ich da rausgekommen bin. Dann kommt man hoch und hat völlig die Orientierung verloren: ‚Wo ist vorne, wo ist hinten, wo muss ich überhaupt hin?‘ In dem Moment ist das Adrenalin extrem hoch.
Lea Meyer: „Das war schon krass!“
SPORT1: Bei den Männern gab es in München über die Hindernisstrecke eine Szene, die ebenfalls in Erinnerung bleiben wird. Der Andorraner Nahuel Carabana unterbrach sein Rennen und kümmerte sich um seinem gestürzten dänischen Konkurrenten Axel Vang Christensen. Wie fanden sie das?
Meyer: Er hat meinen größten Respekt. Sich selbst in diesem Moment so hinten anzustellen, ist unglaublich. Man kennt das ja selber: Du bist in deinem Rennen so fokussiert und rennst einfach. Dann zu sehen, dass da jemand liegt und zu sagen: ‚Ich bleib jetzt stehen und helfe ihm‘ - das war schon krass!
SPORT1: Ihre Teamkollegin, die Titelverteidigerin Gesa Krause, ist krankheitsbedingt nicht am Start. Wie schade ist das?
Meyer: Sehr schade. Wir haben haben im Pre-Camp vor der WM und in Eugene viel zusammen gemacht und waren auch in einem Zimmer. Ich hätte sie gerne dabeigehabt, weil Gesa natürlich eine große Erfahrung hat. Ich kann ihre Entscheidung aber voll verstehen und hoffe, dass sie im nächsten Jahr wieder fit ist.
SPORT1: Die deutsche Mannschaft wurde für ihre Leistungen bei der WM heftig kritisiert. Jetzt klappt es viel besser. Offenbar haben sich viele Athleten auf München konzentriert. Wie sehen Sie das?
Meyer: Man merkt, dass hier nochmal ein anderer Teamspirit da ist. Es ist das letzte Highlight des Jahres, man hat richtig Lust und legt alles rein, was geht. Und klar, es ist eine EM und da landest du automatisch weiter vorne als bei einer WM.
SPORT1: Bei der U18-EM in Jerusalem landeten Jolanda Kallabis und Adia Budde einen deutschen Doppelsieg und scheinen eine große Zukunft zu haben. Um den deutschen Nachwuchs muss man sich also keine Sorgen machen, oder?
Meyer: Das ist wirklich herausragend, muss man sagen. Gerade bei Jolanda (Tochter von Ex-Europameister Damian Kallabis, d. R.) ist es außergewöhnlich, welche Breite sie abdeckt - das habe ich so noch nicht gesehen. Von 400 Hürden bis 3000 Meter Hindernis! Die 5000 Meter würde sie wahrscheinlich auch noch sehr stark laufen. Das ist auf jeden Fall sehr cool und ich bin gespannt, wohin das führen wird. Das hat sehr viel Potenzial und ich finde es schön, dass im Hindernisbereich so viel nachkommt. Vielleicht haben wir ja auch ein bisschen eine Vorbildfunktion.