Für Konstanze Klosterhalfen waren die vergangenen neun Monate vermutlich die aufregendsten ihres noch jungen Lebens.
Wie "Koko" gegen die Skepsis kämpft
Im November 2018 zog die damals 21-Jährige los und verlegte ihren Lebensmittelpunkt mal eben vom beschaulichen Bockeroth, einem Ortsteil von Königswinter, nach Portland/Oregon.
Es ging an die US-Westküste zum Nike Oregon Project (NOP), einem Trainingszentrum, das der Sportartikelhersteller seit 2001 betreibt und das sich als echte Medaillenschmiede einen Namen gemacht hat.
Wackelt der deutsche Rekord in Berlin?
Das NOP holte Klosterhalfen ins Team - zunächst zum Eingewöhnen, seit April dann als festes Mitglied. Kein Wunder, hat Klosterhalfen doch derart vielversprechende Anlagen wie seit Jahrzehnten keine deutsche Mittelstreckenläuferin mehr.
"Koko", wie sie längst auch in der Öffentlichkeit genannt wird, gilt auch international als kommende Siegläuferin und wird am Samstag bei den Deutschen Meisterschaften im Rahmen von "Die Finals" in Berlin über die 5000 Meter an den Start gehen.
"Die 5000 Meter bin ich in diesem Sommer noch nicht gelaufen", sagt sie im Gespräch mit SPORT1 - und glaubt, dass es "vielleicht unter 15 Minuten gehen kann, wenn es ein schnelles Rennen wird".
Dafür, dass sogar der deutsche Rekord von Irina Mikitenko (14:42,03 Minuten) in Gefahr ist, könnte Alina Reh sorgen - eine weitere schnelle und unerschrockene Läuferin, die sogar noch ein halbes Jahr jünger als Klosterhalfen ist.
"Mal schauen, was sich Alina vorgenommen hat, sie macht ja immer gerne Tempo. Ich würde mich über ein schnelles Rennen freuen", sagt Klosterhalfen, mit 48 Kilogramm bei 1,75 Meter ein echtes Leichtgewicht.
"Dort dreht sich alles nur ums Laufen"
Dass der Schritt in die USA für sie der richtige war, davon ist die für Leverkusen startende Athletin überzeugt. "Die Bedingungen sind sehr professionell. Dort am Haupt-Campus haben sie noch einmal andere Möglichkeiten, vor allem auf die Regenerationsmaßnahmen bezogen", erklärt Klosterhalfen: "Dort dreht sich alles nur ums Laufen. Alles ist danach ausgerichtet - das ist vielleicht der größte Unterschied."
Dass ihr Wechsel zum NOP aber hierzulande nicht nur für Begeisterungsstürme sorgte, damit muss Klosterhalfen jetzt ebenfalls klar kommen. Dabei spielt der Deutsche Leichtathletik-Verband, der mit Zurückhaltung auf ihre US-Pläne reagiert hatte, nur eine marginale Rolle.
Die Verantwortlichen hätten Klosterhalfen gerne weiterhin unter den Fittichen von Bundestrainer Sebastian Weiß gewusst, doch die ehrgeizige Athletin brauchte nach einem verlorenen Jahr Luftveränderung. Ihre Knieverletzung im Mai 2018 wurde offenbar nicht adäquat behandelt, sie wurde chronisch - und verhinderte letztlich durch den Trainingsrückstand, dass es Klosterhalfen bei der Heim-EM in Berlin aufs Treppchen schaffte.
Viel schwerer als die Reaktionen des verdutzten Verbandes, der seine talentierteste Läuferin ziehen lassen musste, wiegen aber die Doping-Vorwürfe, die regelmäßig im Zusammenhang mit Klosterhalfens neuem Team aufkommen.
Der Tenor: Weil Alberto Salazar als Chef des NOP firmiert, laufen auch bei Klosterhalfen die Zweifel mit. Gegen den dreimaligen Sieger des New-York-Marathons läuft seit einigen Jahren eine Untersuchung der US-Anti-Doping-Behörde USADA. Der Coach, wie auch seine Schützlinge - unter anderem trainierte einst der viermalige Olympiasieger Mo Farah bei ihm - wiesen die Vorwürfe stets zurück. Nachgewiesen wurde Salazar bislang nichts.
Bestzeiten erzeugen Skepsis
Dass Klosterhalfen nun ebenfalls unter Generalverdacht steht, findet sie unfair. "Man bekommt das mit und ist im ersten Moment auch nicht glücklich darüber. Aber ich gehe nicht darauf ein und lasse es so gut es geht an mir abprallen. Ich weiß inzwischen, wie viel hier gearbeitet wird, wir Athleten trainieren superhart und die Leute hier kitzeln jede Kleinigkeit heraus."
Wie es in Portland abläuft, konnte Klosterhalfen nun schon ausgiebig erleben. Sauerstoffreduzierte Luft im Wohnhaus der Athleten oder Laufbänder im Wasser gehören dort zu den innovativen Trainingsmethoden, die in Deutschland nicht zu finden sind.
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Dass sie mit Weltklasse-Läuferinnen wie der Niederländerin Sifan Hasan trainiert, schlägt sich auch auf ihre Leistung nieder. Doch Leistungssprünge erzeugen Skepsis: Als Klosterhalfen Ende Juni über 3000 Meter im Diamond-League-Meeting von Stanford hinter Hassan auf Platz 2 rannte und dabei ihren deutschen Rekord um knapp zehn Sekunden verbesserte, meldete sich prompt der Anti-Dopingexperte Professor Fritz Sörgel zu Wort.
"Wenn ich zehn Sekunden Unterschied sehe: Die Leistung muss ja irgendwie zustande gekommen sein, nur durch Training allein würde ich eher nicht annehmen", sagte er der Rheinischen Post.
"Mir war bewusst, dass es kritisch gesehen wird"
Ist der größere Leistungssprung einer jüngeren Athletin also der Nachweis, mit unerlaubten Mitteln hantiert zu haben? Nicht unbedingt. Durch die lange Verletzungspause in der vergangenen Saison war es für Klosterhalfen ein verlorenes Jahr, ihren alten Rekord hatte sie schon 2017 als 20-Jährige aufgestellt.
Dass eine junge Athletin noch reichlich Steigerungspotenzial aufweisen kann, ist gewiss nicht außergewöhnlich.
Dennoch hat Klosterhalfen selbst eine Entscheidung getroffen, durch die sie nun mit Verdächtigungen leben muss - und das weiß sie auch. "Mir war schon bewusst, dass es sicher auch kritisch gesehen wird", sagt Klosterhalfen über ihren Schritt im vergangenen November. Und Salazar selbst? "Sehr sympathisch" sei er und habe einen "guten Humor", sagt sie über den NOP-Chef, dessen Ruf ihr gerade so zu schaffen macht.
Ob die Öffentlichkeit ihre Skepsis je komplett beiseitelegt? Die Krux ist, dass neue Bestzeiten automatisch neue Verdächtigungen erzeugen.
Damit wird Klosterhalfen auch künftig leben müssen - vielleicht schon am Wochenende in Berlin.