Mit diesem Tiefschlag hat WWE offensichtlich nicht gerechnet.
Wie WWE Reigns eine Blamage einbrockte
Zum ersten Mal hat der Wrestling-Marktführer mit einer Hauptshow das direkte TV-Duell mit Konkurrent AEW gesucht - und unter vergleichbaren Voraussetzungen in der wesentlichen Kategorie verloren: Als am vergangenen Freitag SmackDown und Rampage eine halbe Stunde parallel liefen, schalteten in den USA deutlich mehr Fans unter 50 bei AEW ein.
Was die Blamage vergrößert: WWE-Topstar Roman Reigns hatte zuvor in einem selbstbewussten Interview mächtig gegen AEW getönt und sich völlig sicher gezeigt, dass WWE im Konkurrenzkampf einen unschlagbaren Vorteil hätte - und dabei Ansagen gemacht, die tief blicken lassen in das umstrittene Selbstverständnis von WWE.
Marcus Hinselmann und Martin Hoffmann gehen in der neuen Ausgabe von Heelturn - der SPORT1 Wrestling Podcast einem Thema auf den Grund, das in der Wrestling-Welt wie eine Bombe eingeschlagen hat - die aktuelle Episode ist jetzt online auf SPORT1, Spotify, Apple Podcasts, Deezer und überall wo es Podcasts gibt.
Die entscheidende Frage: Hat der Sensations-Coup von AEW Reigns widerlegt und welche Schlüsse muss WWE daraus ziehen? Oder hat Reigns am Ende doch recht mit seiner Prognose, dass das Hoch der „kleinen Brüder“ nicht anhalten und WWE am Ende wieder Sieger sein wird?
Was hat Roman Reigns angetrieben?
Martin Hoffmann: „Wenn Roman Reigns so ein Interview gibt, ist das nicht nur eine Privatmeinung, auch wenn er sicher davon überzeugt ist. Er ist der oberste Werbe- und PR-Träger von WWE, es ist sein Job, die Firmenlinie nach außen zu vertreten, so wie es früher der Job von John Cena war. Man hat den Eindruck, dass Reigns da von seinem auch realen Vertrauten Paul Heyman beraten ist, der ja auch ein Werbe- und PR-Fachmann ist. Das ist nun nur aber voll in die Hose gegangen: Roman Reigns hat sich mit seinem Interview über AEW zum Gesicht der Niederlage gemacht - obwohl er in seiner aktuellen Form eigentlich nicht das Problem von WWE ist, im Gegenteil. Aber erst große Töne spucken und dann im Head-to-Head nicht Ruby Soho gegen The Bunny schlagen können: Das sieht doof aus.“
Was verrät das Reigns-Interview über WWE?
Marcus Hinselmann: „WWE hat seine Konkurrenz oft totgeschwiegen. Dass jetzt ein Topstar wie Roman Reigns so ein Interview gibt und so ausführlich auf AEW eingeht, ist ein Zeichen, dass sie wissen, dass AEW sehr wohl eine Gefahr für sie darstellt, auch wenn sie es nicht zugeben.“
Martin Hoffmann: „Sie sind nicht blind bei WWE - aber schauen Sie in die richtige Richtung? Für mich zeigt dieses Interview, dass WWE inhaltlich nichts verstanden hat. Letztlich kommt das alles rüber wie: Schön und gut, was AEW macht, aber gilt nicht. Sie verweigern die Erkenntnis, dass AEW etwas richtig macht, von dem man lernen kann. Ich bin sicher, die entscheidenden Personen bei WWE - Vince McMahon, Bruce Prichard, John Laurinaitis, Kevin Dunn - sind völlig überzeugt: AEW ist Mist. Man sieht das ja auch an den ganzen strategischen und personellen Entscheidungen, die da zuletzt getroffen worden sind. An dem Personal, das man AEW letztlich geschenkt hat, indem man es selbst missachtet hat - Malakai Black, Adam Cole und andere. Oder an diesem für mich völlig in die falsche Richtung gehenden Umbau von NXT, der das nächste große Geschenk für AEW sein wird.
Was sollte WWE von AEW lernen?
Martin Hoffmann: WWE beharrt auf einem alten Rezept und will die Weiterentwicklung des Wrestlings nicht wahrhaben. Diese Dogmen zum Beispiel, wie ein Star zu sein hat, auf denen WWE beharrt - ein Star muss soundsogroß sein, soundso schwer: AEW widerlegt es Woche für Woche. Sie haben Leichtgewichte wie Darby Allin und Jungle Boy groß gemacht, die bei WWE keine Chance gehabt hätten, schaffen reihenweise neue, junge Stars, wo der Fluss bei WWE seit Jahren stockt und sie einem noch einen Damian Priest als Talent verkaufen wollen, der fast 40 ist - einfach nur, weil er unter den NXT-Stars der vergangenen Jahre einer der wenigen ist, die ins vorgegebene Raster passen. Vielleicht ist es bei McMahon und seinen Leuten auch eine Alterssache, dass sie an einem Punkt sind, an dem sie ihre Überzeugungen einfach nicht mehr hinterfragen.“
Marcus Hinselmann: „Man muss aber auch bedenken: WWE ist in der Lage, Trends zu setzen. Vielleicht schaffen sie es tatsächlich, einen Bron Breakker in fünf Jahren zu einem größeren Star zu machen als Allin, MJF, Daniel Garcia. Vielleicht mag der Gelegenheitszuschauer einen großen Typen wirklich lieber als „die kleinen Lümmel“ und es macht den Unterschied. Vielleicht ist wesentlicher, wenn WWE es schafft, den neuen John Cena zu finden, den Nachfolger von Roman Reigns - einen einzigen Star, der dir zehn Jahre lang dein Produkt verkauft.“
WWE oder AEW: Wer liegt strategisch richtig?
Marcus Hinselmann: „Was Reigns jetzt gesagt hat und was CM Punk vor kurzem im Heelturn-Interview auf SPORT1 gesagt hat, zeigt die verschiedenen Herangehensweisen: AEW schaut zuerst auf die Hardcore-Fans und will von dieser Grundlage aus wachsen, Reigns betont, dass sie das Feld der Gelegenheitszuschauer beackern - denen Punk nicht nachlaufen will - und dadurch viel größere Möglichkeiten haben. Das Ergebnis des Freitagsduells spiegelt das wider: Durch den Sendeplatzwechsel hatte WWE an diesem Abend die Gelegenheitszuschauer nicht, während AEW auf sein treues Publikum zählen konnte.“
Martin Hoffmann: „Was Reigns über AEW sagt, ist aber nur die halbe Wahrheit: Auch AEW geht auf den Mainstream, man sieht es an den Auftritten von Mike Tyson, Shaquille O‘Neal, der UFC-Stars, den TV-Projekten von Cody Rhodes. Der eigentliche Unterschied ist: AEW ist überzeugt, dass beides geht - die Hardcore-Fans zufriedenstellen und den Mainstream zu erreichen. WWE dagegen nimmt sich viel raus, was diese Fans verärgert und keine andere Liga heute mehr so machen würde - da steckt noch die Gewohnheit drin, sich als langjähriger Monopolist viel erlauben zu können, womit andere nicht durchkommen. Und sie gehen ja auch so weit, dass sie sich selbst vom Wrestling abgrenzen und sich nicht ‚Wrestling Company‘, sondern ‚Entertainment Company‘ nennen wollen - und diese Philosophie spiegelt sich in vielen kleinen Dingen wider, zum Beispiel auch bei der Besetzung des Kreativ- oder US-Kommentatorenteams mit Leuten, die keine Vorkenntnisse im Wrestling haben. Ist so etwas wirklich klug, diese Selbstverleugnung, die im Endeffekt die eigene Branche, den Kern des eigenen Produkts schlechtredet? Ich finde nicht.“
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