Als Wrestler ist er eine lebende Legende, für viele die größte überhaupt. Als Persönlichkeit ist Ric Flair ein Star weit über die Branche hinaus, der bis ins hohe Alter sein Image als Frauenheld pflegt.
WWE-Ikone holt Skandal um Stewardessen ein
Nun allerdings wird die Showkampf-Welt mit der Erkenntnis konfrontiert, dass der „Nature Boy“ Frauen auf alles andere als heldenhafte Weise behandelt hat.
Eine in der Szene vielbeachtete TV-Doku hat vergangene Woche an einen Vorwurf sexueller Belästigung erinnert, der seit knapp 20 Jahren gegen den heute 72-Jährigen im Raum steht - und Flair hat mittlerweile klargestellt, dass der Vorwurf zumindest zum Teil berechtigt ist.
Die neue Aufmerksamkeit, die der Skandal nun erhalten hat, hat hohe Wellen geschlagen und zu Konsequenzen für den Vater von WWE-Star Charlotte Flair geführt. Er hat auch das Potenzial, sein eigentlich als sicher geltendes Engagement beim WWE-Rivalen AEW zu gefährden.
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„Plane Ride from Hell“ sorgte 2002 für Skandal
Anlass des Trubels ist eine Episode der Doku-Reihe „Dark Side of the Ring“ des Medienunternehmens Vice, bei der der berüchtigte „Plane Ride from Hell“ im Jahr 2002 im Zentrum stand.
Damals waren Flair und ein Großteil der anderen WWE-Wrestler in einem Charterflug von einer Tour in Europa zurück in die USA unterwegs. Der Umstand, dass die Stars unter sich und mit viel Alkohol versorgt waren, führte dazu, dass der Transport zu einer unkontrollierten Party wurde, bei der sich zahlreiche skandalöse Vorfälle aneinanderreihten.
Unter anderem kam es an Bord zu einem realen und für die Sicherheit aller Passagiere gefährlichen Ringkampf zwischen dem jungen Brock Lesnar und dem 2003 verstorbenen „Mr. Perfect“ Curt Hennig - der damals als Anstifter gefeuert worden war.
Die Vorwürfe gegen Flair gingen in der damaligen Aufregung eher unter, standen dann aber zwei Jahre später im Zentrum eines Gerichtsprozesses, den zwei Stewardessen des Flugs gegen WWE, Flair und mehrere andere Wrestler anstrengten.
Stewardessen zogen gegen Ric Flair vor Gericht
Die beiden Flugbegleiterinnen warfen Flair sexuelle Belästigung vor, der „Nature Boy“ wäre nur mit seiner Ringrobe bekleidet und ansonsten splitternackt durchs Flugzeug gelaufen, hätte sich vor den beiden entblößt, seinen Penis umhergeschwungen und - O-Ton der öffentlich zugänglichen Gerichtsdokumente - die Hände beider „gegriffen und auf seine Genitalien gelegt“.
Heidi Doyle, die Stewardess, die ihre Vorwürfe nun auch in der TV-Doku erneuerte, beschuldigte Flair zudem, körperlichen Zwang gegen sie eingesetzt zu haben, als sie sich der Belästigung habe entziehen wollen.
Die beiden Flugbegleiterinnen belasteten damals auch zwei frühere WWE-Kollegen Flairs, die sie ebenfalls verbal und körperlich belästigt haben sollen: der damals schwer alkoholkranke und ebenfalls gefeuerte „Razor Ramon“ Scott Hall (der heute sagt, dass er sich nicht an den Flug erinnere) und „Goldust“ Dustin Rhodes (damals von WWE mit einer Geldbuße belegt, heute als Wrestler und Trainer bei AEW aktiv, wo sein jüngerer Bruder Cody Vize-Geschäftsführer ist) sollen die Stewardessen angefasst und eindeutige sexuelle Aufforderungen gemacht haben.
Es wird angenommen, dass der Prozess damals mit einer außergerichtlichen Einigung endete.
Flair reagiert mit Teil-Geständnis
Nach tagelangem Schweigen hat „Slick Ric“ mittlerweile zwei Statements veröffentlicht. Während ein erstes Twitter-Statement die Vorwürfe komplett zurückzuweisen schien, hat Flair gegenüber Wrestling Inc. inzwischen eingeräumt, dass doch etwas dran ist.
„Um es klarzustellen: Der Teil mit dem ‚Helikopter‘, wie es genannt wurde, ist zutreffend“, sagte Flair, der sich also tatsächlich entblößt und seinen Penis hat kreisen lassen. Er habe „zu viel getrunken und mich unangemessen verhalten, dafür bitte ich um Entschuldigung (und habe es schon unzählige Male getan im Lauf der Jahre)“.
Im selben Atemzug beharrte Flair allerdings darauf, dass der Rest der Anschuldigungen nicht stimme: „Ich verurteile sexuelle Gewalt jeglicher Art“, so Flair. Er hätte in seinem Leben „viele schlimme Entscheidungen getroffen, aber niemals gegen irgendjemanden irgendeinen Zwang ausgeübt. Punkt.“
WWE und Partner Flairs ziehen Konsequenzen
Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehrere aktuelle und frühere Geschäftspartner Flairs Konsequenzen aus dem Wirbel gezogen: Der Auto-Dienstleister CarShield, ein Werbepartner Flairs, kündigte an, eine nationale Kampagne mit der Legende „pausieren“ zu lassen.
Zudem suspendierte die AEW-Partnerliga Impact Flairs früheren WWE-Kollegen Tommy Dreamer, der Flair in der Doku verteidigte und Doyles Aussagen in Zweifel zog - wofür er mittlerweile um Entschuldigung gebeten hat.
Auch Flairs Ex-Arbeitgeber WWE, der Flair im August wegen interner Differenzen entlassen hatte, reagierte: Er entfernte Flairs Merchandise aus seinem Online-Shop und löschte eine im Kontext der aktuellen Debatte in die Kritik geratene Episode der Eigenproduktion „Story Time“ von seinem Streaming-Portal WWE Network.
Flair hatte dort ein Erlebnis aus seinem Tourleben erzählt, in der er andeutete, bei anderer Gelegenheit eine Gruppe von sechs Stewardessen verführt zu haben. Bei der Montagsshow Monday Night RAW fiel auch auf, dass Flairs berühmter Ausruf „Wooo!“ plötzlich nicht mehr im Intro der Sendung zu hören war.
„Niemanden so oft die Hose runterlassen gesehen“
Eine weitere, nicht in der Doku thematisierte Facette, die nachträglich zum Vorschein kam: Doyle stand 2016 selbst mit dem Gesetz in Konflikt, ihr wurde die Beteiligung an einem Juwelendiebstahl, Scheck- und Identitätsbetrug vorgeworfen.
Unabhängig davon steht der Vorwurf, dass Flair bei der unangemessenen Begegnung mit den beiden Stewardessen noch weiter gegangen sein soll als er selbst einräumt, weiter ungeklärt im Raum - und damit die Frage, wie die Wrestling-Gemeinde damit umgehen sollte.
Schon im vergangenen Jahr, als die an #MeToo erinnernde Bewegung #SpeakingOut die Branche erschütterte, wurde die Frage aufgeworfen, ob Flairs Ruf als Playboy nicht eine kritischere Betrachtung verdienen würde.
Ex-WWE-Wrestlerin schildert Erschreckendes
Der langjährige Topstar der Branche ist Kind einer Zeit, in der das Wrestling noch viel mehr als heute ein Männer- und Machobund war - und für Frauen bis weit in die moderne Ära kein sicherer Ort, wie viele Schilderungen nahelegen.
In der Diskussion um die Dark-Side-Episode meldete sich etwa die frühere WWE-Wrestlerin Maria Kanellis, zwischen 2004 und 2010 und ein zweites Mal von 2017 bis 2020 beim Marktführer aktiv, mit mehreren erschreckenden Tweets zu Wort. Tenor: Der „Plane Ride from Hell“ sei keineswegs ein Einzelfall gewesen.
Kanellis hätte auf Flügen „Angst gehabt einzuschlafen, weil mir etwas passieren könnte“, schrieb sie in Bezug auf ihr erstes Engagement. Und: „Es hieß immer: ‚Lass dir nichts anmerken, lass sie nicht sehen, wie du weinst, sei froh, dass du hier bist, Jungs sind eben Jungs´. Alles Lügen, um die Widerlichkeit des Ganzen zu verbergen. Es war eine Kultur und einige versuchen bis heute, sie aufrecht zu erhalten.“
Es sei um die Ausübung von „Macht“ gegangen „und darum, dass wir unterwürfig sein sollten. Es hat mir damals Sicherheit gegeben, mich dumm zu stellen, aber jetzt bekämpfe ich diesen Unsinn. Wir alle hatten Angst bei WWE.“
Die Wrestler von heute seien anders und weit respektvoller als damals, stellte Kanellis klar. Die WWE-Führung jedoch müsste sich weiterhin „verändern“ und mehr dafür tun, „die körperliche und psychische Gesundheit ihrer Angestellten“ zu schützen.