Noch im April stand er mit Roman Reigns und Edge im Hauptkampf von WrestleMania, der traditionell wichtigsten WWE-Show des Jahres - nun steht er im Zentrum des größten Wrestling-Bebens seit Jahrzehnten.
Die pikante Story hinter Bryans WWE-Abgang
Bryan Danielson, der frühere Daniel Bryan, ist zu AEW gewechselt, sein Überraschungsdebüt am Ende des Pay Per Views All Out krönte eine Serie spektakulärer Verpflichtungen, zu der auch CM Punk und der aufstrebende Adam Cole gehörten.
Für WWE ist der Verlust zumindest aus heutiger Sicht der schmerzhafteste: Er war bis zuletzt absoluter Topstar und Publikumsliebling der Promotion, seine emotionale Krönung zum Underdog-Champion bei WrestleMania 30 im Jahr 2014 war einer der denkwürdigsten Momente der WWE-Historie.
Der Marktführer hatte den 40-Jährigen, der 2017 nach einem mehrjährigen Verletzungs-Albtraum in den Ring zurückgekehrt war, unbedingt halten wollen und dafür zahlreiche, auch ungewohnte Hebel in Bewegung gesetzt.
Warum Danielson sich nach Ablauf seines WWE-Deals Ende April dennoch zum Wechsel entschlossen hat? Seine Motivationslage, die er vor einer Woche nur angerissen hatte, ist inzwischen nochmal klarer geworden.
WWE oder AEW? Bryan Danielson überlegte intensiv
Ein ausführlicher Hintergrundbericht des Wrestling Observer hat am Wochenende neue Details hinter Danielsons Abgang und den Angeboten enthüllt, die er von beiden Seiten bekommen hatte.
Die Angelegenheit sei „kompliziert“, Danielson sei tatsächlich so hin- und hergerissen gewesen, wie er bereits auf der Pressekonferenz nach All Out angedeutet hätte. Letztlich hätte ein Punkt den Ausschlag gegeben, über den er nicht ganz so offen geredet hat und den manch einer nicht glauben wird - der aber zu Danielsons als idealistisch bekanntem Charakter passt.
Wichtiger als alles andere, so Observer-Chef Dave Meltzer, sei ihm gewesen, „das zu tun, was für die Wrestling-Industrie als Ganzes am besten ist“. Und Danielson ist offensichtlich zum Schluss gekommen, dass er der Industrie einen größeren Dienst erweist, wenn er die Konkurrenz stärkt. Auch auf die Gefahr hin, persönliche Beziehungen bei WWE zu belasten, die weit tiefer reichen, als vielen klar ist.
WWE-Abgang belastet familiäre Verbindungen
Danielsons Ehefrau Brie Bella ist weiter mit WWE verflochten, die zur erfolgreichen Reality-Persönlichkeit und Geschäftsfrau gewordene Mutter seiner beiden Töchter pflegt weiter Verbindungen zur der Promotion, auch ein weiteres Comeback als Wrestlerin bei WWE zusammen mit Zwillingsschwestler Nikki Bella haben die beiden Mitglieder der Hall of Fame schon ins Gespräch gebracht.
Noch pikanter: Kathy Colace Laurinaitis, die auch in den Shows „Total Divas“ und „Total Bellas“ oft aufgetauchte Mutter der Bella Twins, ist in zweiter Ehe verheiratet mit Ex-Wrestler John Laurinaitis, der seit Frühjahr wieder Talentchef bei WWE ist – und in dieser Rolle zuständig für die Vertragsgespräche mit seinem Schwiegersohn war.
Auch Danielsons Verhältnis zu Laurinaitis‘ Boss Vince McMahon ist ein spezielles: Während viele seiner Fans den WWE-Mogul kritisch sehen, empfindet Danielson tiefe Bewunderung für den 76-Jährigen. Wie Meltzer in seiner Audioshow ergänzte, hat Danielson im Lauf der Jahre gar eine Art Notiz- und Erinnerungsbuch mit allen Lektionen geführt, die er von McMahon fürs Leben gelernt hätte.
Gehalt? Angebote von AEW und WWE ähnlich
Dass Danielson sich dennoch gegen WWE entschieden hat, ist umso bemerkenswerter, zumal auch die Vertragsangebote von WWE und AEW ähnlich gewesen sein sollen.
WWE und AEW haben laut Observer in etwas dasselbe Gehalt offeriert, den Status als Topverdiener - anscheinend mit Multi-Millionen-Gehalt -, einen erleichterten Tourkalender und mehr Zeit für die Familie hatte WWE Danielson schon bei seiner letzten Verlängerung 2018 gewährt.
Danielson ging es aber eben offensichtlich um mehr als seine persönliche Zukunft.
Hat WWE die richtigen Antworten auf das CM-Punk-Beben bei AEW? Heelturn - der SPORT1 Wrestling Podcast - die aktuelle Folge auf SPORT1, Spotify, Apple Podcasts, Deezer und überall wo es Podcasts gibt
Danielson spürt „Verpflichtung“ für das Wrestling als Ganzes
„Ich habe eine große Frage bei allen Dingen im Leben: Wie verlässt man einen Ort, den man verlässt, in einem besseren Zustand, als er vorher war?“
Dieser Satz, den Danielson vor sechs Monaten im SPORT1-Interview auf eine Frage nach seiner WWE-Zukunft formuliert hat, lässt sich im Nachhinein als ein Vorbote seines Abgangs lesen (Daniel Bryan im SPORT1-Interview: Das läuft bei WWE falsch).
Schon damals sprach er in diesem Kontext nicht nur von WWE, sondern von seiner „Verpflichtung“ für das Wrestling als Ganzes („die Kunstform, die ich liebe“) und von seiner Verantwortung, „was ich für die tun kann, die eine neue Generation von Wrestling-Fans begeistern“.
In anderen in diesem Zeitraum geführten Interviews äußerte Danielson auch den Wunsch, dass WWE eine Partnerschaft zu der japanischen Liga NJPW aufbaut - um damit neue Entfaltungsmöglichkeiten für sich, aber auch für jüngere Talente zu schaffen.
Kampf um Japan-Liga NJPW ein zentraler Aspekt
Dieses Thema spielte auch beim Kampf um Danielson eine Rolle: Ende Mai kam heraus, dass WWE sich tatsächlich um einen Deal mit NJPW bemühte - wegen Danielson, aber auch um AEW einen wertvollen Kooperationspartner wegzuschnappen.
Gelungen ist das nicht, die damals von AEW-Boss Tony Khan spöttisch vorgetragene Ansage, dass das Vorhaben von WWE scheitern würde, hat sich bewahrheitet.
Nichtsdestotrotz hat McMahon im Kampf um Danielson ein Aufsehen erregendes Zugeständnis gemacht. Danielson selbst hatte schon erklärt, dass McMahon ihm zugesagt hätte, „außerhalb von WWE“ antreten zu dürfen. Laut Observer ging es konkret um eine Teilnahme am traditionsreichen G1-Turnier von NJPW.
Danielson theretisch also ab diesem Wochenende in Japan aktiv werden können, egal ob er WWE oder AEW den Zuschlag gegeben hätte - wobei die Teilnahme wegen der komplizierten Gemengelage zwischen den drei Promotions auch an anderen Faktoren hätte scheitern können. In diesem Jahr ist sie durch die Corona-Lage in Japan ohnehin hinfällig geworden.
Letztlich waren die ergebnislosen WWE-NJPW-Gespräche im Frühjahr wohl der letzte Impuls für Danielson, AEW den Vorzug zu geben. Schon einige Monate zuvor hatte nach eigenen Angaben schon ein anderes Detail das Pendel in die Richtung bewegt: die nicht nur von Danielson als tief beeindruckend empfundene AEW-Tributshow für den tragisch verstorbenen Brodie Lee (Luke Harper).
Danielson verhalf AEW zu historischen Erfolgen
Schon jetzt hat Danielsons Wechsel für eine Machtverschiebung gesorgt, Danielsons TV-Debüt bescherte der AEW-Show Dynamite in der Kernzielgruppe den ersten Quotenerfolg über das langjährige WWE-Flaggschiff RAW.
Auch den mit All Out aufgestellten Pay-Per-View-Rekord von über 200.000 Käufen - der höchste Wert für eine Nicht-WWE-Show seit 1999 - könnte AEW mit dem sich abzeichnenden World-Title-Match zwischen Danielson und Champion Kenny Omega bei Full Gear im November weiter steigern.
Langfristig wird es Danielson bei AEW aber auch ein Anliegen sein, die junge Garde mit Hangman Page, MJF, Luke Perrys Sohn Jungle Boy, Sammy Guevara, Darby Allin und anderen Verheißungen zu stärken.
„Ich sehe es als meinen Job, die Starpower auf die nächste Generation zu übertragen“, sagte er SPORT1 vor einem halben Jahr. Er vollführt ihn von nun an nur eben nicht mehr bei WWE.