Schon vor einigen Wochen versetzten Berichte über ein internes Erdbeben WWE-Fans in Aufruhr - und wer glaubte, dass es sich dabei nur um Gerüchte handelte, sieht sich nun vor vollendete Tatsachen gestellt.
WWE vollzieht massives Beben
Ein hochrangiges Mitglied der WWE-Führung hat bestätigt, dass eine “komplette Umgestaltung” des zur Talentförderung konzipierten Drittkaders NXT in Gange ist. Und während der aktuellen Ausgabe der Freitagsshow Friday Night SmackDown wurde das auch optisch unterstrichen.
Ein neues, buntes Logo der Dienstagssendung wurde dort enthüllt, das optisch nahezu komplett mit dem bisherigen schwarz-gelben “Look and feel” bricht.
Und nach allen Informationen, die offiziell und inoffiziell auf dem Markt sind, ist die radikale Kehrtwende nicht nur optisch - und sie hat große Auswirkungen auf die Personalpolitik der Promotion, die mittelfristig auch die Hauptshows RAW und SmackDown betreffen werden.
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Präsident Nick Khan skizziert den Strategiewechsel bei WWE NXT
Nick Khan, seit August 2020 Präsident und “Chief Revenue Officer” im Vorstand des Unternehmens, verkündete bei BT Sport schon einige Tage vor der Logo-Enthüllung einen “Rebrand” bei NXT “im Lauf der kommenden Wochen”.
In einem Interview mit dem bekannten Kampfsport-Journalisten Ariel Helwani - dessen Agent er vor seiner WWE-Zeit war - fasste Khan den Philosophiewechsel mit folgendem Schlüsselsatz zusammen: “Viele ‘Indy-Wrestler’, wenn man sie so nennen will, sind durch unser System gekommen und nun bei RAW und SmackDown, aber wir wollen nicht mehr nur das tun, sondern anderswo nach großen jungen Talenten suchen.”
Khan bestätigte damit de facto die Fokusverschiebung weg von Wrestlerinnen und Wrestlern, die sich in kleineren Ligen für WWE empfohlen haben - hin zu Quereinsteigern mit athletischem Hintergrund, denen der eigene Stil von der Pike auf beigebracht werden soll.
Neu ist dieses Konzept nicht, es wird seit Jahrzehnten praktiziert, eine aktuelle Erfolgsgeschichte ist etwa die in diesem Jahr groß durchgestartete Ex-Leichtathletin Bianca Belair. Neu ist allerdings das Ausmaß, mit dem diese Strategie verfolgt werden soll - zu Lasten der “indy guys”, für die sich WWE in den vergangenen Jahren stärker geöffnet hatte.
Entmachtet? Triple H “führt” den Umbau
Als Treiber dieses nun wieder einkassierten Strategiewechsels galt Khans Vorstandskollege Paul “Triple H” Levesque, Schwiegersohn von WWE-Boss Vince McMahon. Weshalb besonders aufhorchen ließ, dass der langjährige NXT-Chef nicht beteiligt gewesen sein soll an der jüngsten Entlassungswelle von NXT - die ein programmatischer Vorbote der Neuausrichtung war.
Khan redete nun gegen den Eindruck an, dass der NXT-Umbau eine Entmachtung von Levesque sei, der Umbau “werde von Triple H geführt”, sagte Khan, generell würden alle wichtigen Entscheidungen in der WWE-Führung gemeinschaftlich getroffen, das letzte Wort habe - natürlich - Boss McMahon (Vince McMahon: Sein Aufstieg zum Wrestling-Herrscher, sein Vermögen, seine Skandale).
Es bleibt aber die Frage, inwieweit Triple H das neue NXT wirklich noch prägt oder ob er nur noch ausführendes Organ einer neuen Politik ist, die andere ausgeheckt haben.
Khan ist dabei nicht derjenige, der wirklich prägend hinter der Neuausrichtung steht: Der frühere Sportvermarktungs-Manager ist kein Kreativmann, er ist zuständig fürs Finanzielle, fürs “Dealmaking” und die Außendarstellung von WWE, aus der sich Boss McMahon seit einiger Zeit weitgehend zurückgezogen hat. Hinter dem Philosophiewechsel soll McMahon aber höchstpersönlich stecken, zusammen mit seinen langjährigen Vertrauten Bruce Prichard (Kreativdirektor) und John Laurinatis (Talentchef).
“AEW kann die alle für sich haben”
Der Wrestling Observer, der die nun bestätigten Veränderungen mitenthüllt hatte, berichtet in seinem aktuellen Newsletter auch, dass der Strategiewechsel noch radikaler sein soll, als Khan ihn nach außen kommuniziert.
Es solle praktisch “gar nicht mehr nach Independent-Talenten gescoutet werden”, laute die Vorgabe von oben, Konkurrent AEW “könne die alle für sich haben”. Diese Vorgabe ist noch deutlicher als die schon zuvor enthüllte, dass WWE nur noch in Ausnahmenfällen Talente unter 30 verpflichten wolle und wieder mehr Wert auf große und massige “Big Men” lege.
Die klare Linie laute, dass der wesentliche Punkt, nach dem man bei Talenten suche, “der Look” sei. Die Stars der Zukunft sollten optisch hervorstechen - das Wrestling werde ihnen von WWE im Zweifel beigebracht.
Auch diese Doktrin in der Einstellungspolitik ist keinesfalls neu, die volle Konzentration darauf aber ist eine Rolle rückwärts im Vergleich mit dem alten NXT, das in den vergangenen Jahren stark von früheren Independent-Stars geprägt war und vielen von ihnen Karrieren ermöglicht hat, die vorher bei WWE eher unwahrscheinlich gewesen wären.
AEW-Boss stichelt: “Malen nach Zahlen”
Der Philosophiewechsel verstärkt auch den Kontrast zu dem 2019 gegründeten Konkurrenten AEW, der stark auf im Independent-Bereich erprobten Stil und Talente setzt.
“Wenn es ums Thema Talent-Scouting geht, suchen wir Leute, die das Wrestling lieben”, hatte Co-Geschäftsführer Cody Rhodes schon damals im SPORT1-Interview betont: “Klar, ein Teil des Talentpools rekrutiert man aus Quereinsteigern, aus Athleten anderer Sportarten, Footballern, männlichen Models. Aber man findet mehr Leidenschaft anderswo, in der Independent-Szene, dort wo die Leute das Wrestling wirklich leben und atmen. Und das, was wir jetzt brauchen, sind diese Leute.”
Dies hat nun auch AEW-Boss Tony Khan nochmal bekräftigt. Der Sohn des Milliardärs Shahid Khan, der Sticheleien gegen WWE eher dosiert einsetzt, sah nun eine passende Gelegenheit zu betonen, dass seine Vision eine andere ist als die von WWE.
“Professionelles Wrestling ist eine Kunst”, twitterte Tony Khan, dessen Liga mit der Verpflichtung von CM Punk zuletzt einen großen Coup gelandet hat (und weitere in der Hinterhand haben soll) als offensichtliche Reaktion auf das Interview mit seinem WWE-Namensvetter: “Man schafft keine großen Künstler, indem man ihnen Malen nach Zahlen beibringt.”