Das Gigantenduell zwischen John Cena und Roman Reigns beim WWE SummerSlam, das sich abzeichnende Debüt von CM Punk bei AEW Rampage: Die Wrestling-Welt steht vor einem Wochenende der Superlative - und auch zwei deutschsprachige Wrestler spielt eine nicht unwesentliche Rolle.
WWE-Phänomen erzählt seine emotionale Story
Bei WWE NXT TakeOver 36 in der Nacht zum Montag, dem Tag nach dem SummerSlam gibt es ein großes Titelmatch zwischen dem Österreicher WALTER und dem deutsch-russischen Top-Talent Ilja Dragunov.
Der 27 Jahre alte Dragunov (eigentlich: Ilja Rukober) ist in Moskau geboren und in Dresden aufgewachsen, der Schützling des deutschen WWE-Pioniers Axel Tischer (Alexander Wolfe) hat sich Anfang 2019 als aufstrebender Star der deutschen Szene einen WWE-Deal verdient (Alexander Wolfe bei SPORT1 über sein WWE-Aus, “falsche Versprechungen” und vieles mehr).
In den NXT-Kadern von WWE knüpfte Dragunov nahtlos an seinen Lauf an, der “Unbesiegbar Zar” begeisterte Fans und Kritiker mit seinen körperlich harten und enorm emotionalen Darbietungen im Ring, durfte auch schon gegen Hauptkader-Stars wie Cesaro und Finn Balor ran.
Für besonderes Aufhorchen sorgte aber sein hochklassiges und vielgelobtes Match gegen UK-Champion WALTER, dem er auch schon bei der deutschen Liga wXw und anderen internationalen Promotions immer wieder begegnet war.
Am Sonntag gibt es das Rückmatch auf amerikanischem Boden in Orlando. Im SPORT1-Interview spricht der junge Familienvater Dragunov über den Kampf, seine unglückliche Kindheit in Deutschland - und wie sie sich in seinen WWE-Auftritten widerspiegelt.
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SPORT1: Ilja Dragunov, man sieht noch die Spuren ihrer Platzwunde aus dem Match gegen Roderick Strong bei NXT. Geht es Ihnen ansonsten gut?
Ilja Dragunov: Ja, alles gut. Ich würde mal sagen: Typischer Tag auf Arbeit für mich (lacht).
SPORT1: Sie sind mit fünf Jahren, ohne die Sprache zu kennen, von Russland nach Deutschland gekommen, eine schwierige und fürs weitere Leben prägende Erfahrung. Wie blicken Sie heute darauf zurück?
Dragunov: Man kann sich leicht erschließen, dass es einfache Situation ist, als kleines Kind in ein Land zu kommen, dessen Sprache man nicht beherrscht, in dem man sich nicht so ausdrücken kann, dass man verstanden wird. Und in dem man unter diesen Voraussetzungen - ich sage es mal so - nicht von jedem nett empfangen wird. Man ist nicht in der besten Position, in der Schule, im ganzen Leben. Man muss sehr viel Mühe und Arbeit investieren, um irgendeine Art von Anklang zu finden, um sich bestätigt zu fühlen. Es war schwer für mich, eine Verbindung zu dem Ort zu finden, an dem ich gelebt habe und es hat mich unglücklich gemacht. Und so ein Unglücksgefühl, das man als Kind erlebt, begleitet einen ein Leben lang. Es hat sich für mich erst durch das Wrestling richtig verändert.
SPORT1: Das Wrestling als eine Art von Sprache, mit der Sie nun den Ausdruck gefunden haben, der Ihnen früher nicht möglich war?
Dragunov: Es hat sich für mich tatsächlich etwas verändert, als ich mich dieser Kunstform gewidmet habe. Ich habe viel in mir drin, was ich den Leuten vorher nicht zeigen konnte. Im Wrestling drücke ich eine Leidenschaft aus, für die ich vorher keinen Ausdruck hatte - und ich habe auch eine neue Leidenschaft gefunden, die ich so vorher noch nicht hatte. Das hat mir geholfen im Leben: Es hat mir gezeigt, dass belohnt wird, wenn ich Mühe in etwas stecke, wenn ich an mich glaube, wenn ich nicht aufgebe. Wrestling hat mir Wertschätzung gegeben, ein Selbstwertgefühl, dass ich vorher in 17 Jahren in Deutschland nicht hatte. Für mich war das eine Befreiung, es hat mir einen inneren Antrieb gegeben, der bis heute wirkt. Ich habe gemerkt: Es braucht einen in gewisser Weise naiven, blinden Glauben an sich selbst, daran, dass man alles schaffen kann, wenn man seinen Weg geht, dass man alle Antworten in sich selber findet.
SPORT1: Sie haben als erste große Wrestling-Vorbilder Japan-Idol Kenta Kobashi und den britischen Independent-Star Nigel McGuinness genannt, zwei Leute, die eher Wrestling-Kennern als der breiten Masse ein Begriff sind. Ihre Fan-Karriere war nicht ganz die Übliche, oder?
Dragunov: Ja, das stimmt, im Vergleich zu vielen anderen in meiner Branche war ich eher weniger Wrestling-Fan, bevor ich selber Wrestler geworden bin. Meine früheste Erinnerung ist ein WWE-Match zwischen Rey Mysterio und dem verstorbenen Eddie Guerrero, über das ich zufällig im TV gestolpert war. Ich fand’s cool, absolut, das weiß ich noch, aber es kam damals nicht dazu, dass ich mich tiefergehend damit beschäftigt hätte. Aber irgendwie ist als Idee hängen geblieben: Ich weiß nicht, was ich mal werden will - also werde ich Wrestler, wenn ich nichts anderes finde. Und als sich mir dann Jahre später die Möglichkeit eröffnet hat, ein Wrestling-Training zu bestreiten, bin ich drangeblieben.
SPORT1: Ihr Charakter wird öfters mit Rocky-Bösewicht Ivan Drago verglichen, andererseits sind Sie in Ihren Matches oft eher selbst in der Rocky-Rolle, der des Underdogs, der einsteckt, große Schmerzen aushält und so die Emotion der Fans weckt. Wie hat sich diese besondere Mischung entwickelt?
Dragunov: Letztlich ist das, was im Ring darstelle, etwas sehr Reales. Ich glaube generell, wenn man kein sehr guter Schauspieler ist, kann ein Wrestling-Charakter auch nur funktionieren, wenn er etwas Authentisches widerspiegelt, das tatsächlich in einem drin ist. Und ja, der Schmerz spielt die zentrale Rolle. Ich habe Schmerzen erlitten, ich habe eingesteckt im Leben und bin einen Weg gegangen, an den viele nicht geglaubt haben. Das ist, was ich von mir in den Ring bringe. Plus meine russischen Wurzeln, meine russische Kultur, die ich liebe. Das alles zu bündeln in dem Charakter Ilja Dragunov, das ist meine Selbstverwirklichung.
SPORT1: Ihre Rivalität mit WALTER hat eine lange, über WWE hinausreichende Geschichte, Ihr Match in England hat viele Experten begeistert, auch Stars und Legenden wie Drew McIntyre oder Shawn Michaels. Wie viel bedeutet es Ihnen, die Paarung nun nochmal auf eine größere Bühne bringen zu können?
Dragunov: Ich finde es fantastisch. Ich bin schon jetzt sehr dankbar dafür, bei WWE von solchen Legenden wie Michaels und Triple H lernen zu können. Mein Kopf ist quasi den ganz Tag damit beschäftigt, die Dinge aufzusaugen, die ich hier vermittelt bekomme, es gibt für jemanden wie mich nichts Besseres. Und hier dann auch noch mit WALTER arbeiten zu können, an unsere Vorgeschichte in Deutschland anknüpfen zu können: Da schließt sich ein Kreis. Ich erinnere mich noch an meine erste Begegnung mit WALTER, als ich noch totaler Anfänger war. Ich hatte so ein Gefühl: Gegen den werde ich mal antreten und es wird was bedeuten. Und jetzt tue ich das bei WWE - und es bedeutet richtig was.
SPORT1: Diverse WWE-Talente haben erlebt, dass es bei WWE schnell nach oben, aber auch nach unten gehen kann, es gab zuletzt viele Entlassungen - und angeblich auch ein internes Beben um die inhaltliche Ausrichtung von NXT, mit mehr Fokus auf Schwergewichte. Wie gehen Sie als Aktiver damit um? Sie sind kein Schwergewicht und passen vielleicht nicht in jede Philosophie, die im Gespräch ist ...
Dragunov: Zum Glück habe ich einen Beruf, der mich mit so vielen Herausforderungen beschäftigt, dass er mir keine Zeit lässt, mir groß Gedanken über so etwas zu machen, was ich nicht in der Hand habe. Generell ist mir aber eine Sache natürlich bewusst: Ich bin ein Typ, der etwas verkörpert, mit dem sicher nicht jeder, was anfangen kann. Aber ich sage auch: Das ist nicht mein Anspruch, ich will das gar nicht. Jemand, den jeder mag, der hat keine Ecken und Kanten. Und wer die nicht hat, der bringt es zu nichts, denn er hat dann auch nichts, was ihn abhebt, was ihm Wiedererkennungswert verleiht. Ich habe den, ich verkörpere im Ring das, was ich bin, drücke etwas aus, was tief in mir drin steckt - und ich würde nie etwas anderes tun wollen.