Vor rund 30 Jahren war er ein junges und hungriges Wrestling-Talent, das sich unter anderem auch bei diversen Catch-Turnieren in Deutschland einen Namen machte.
WWE in Systemfalle? Das sagt Regal
Nach einer erfolgreichen Ringkarriere bei WCW und WWE besetzt William Regal - früher bekannt als "Lord" Steven Regal - nun eine Schlüsselposition hinter den Kulissen des Showkampf-Marktführers.
Der 52 Jahre alte Brite (bürgerlich: Darren Matthews), einst einer der besten Wrestler der Welt, ist bei WWE nun mitverantwortlich für die NXT-Kader, bei denen viele spätere Topstars der Liga ihre ersten Schritte bei WWE gemacht hatten. Als "Director of Talent Development" und "Head of Global Recruiting" ist er federführend beim Thema Talententwicklung. Ein Bereich, wo WWE-Topstar Daniel Bryan - ein Zögling Regals - zuletzt im SPORT1-Interview ein Systemproblem ausgemacht hatte.
Im Vorfeld der Megashow WrestleMania 37 am Wochenende wacht Regal in den kommenden beiden Nächten vor und hinter der Kamera über die NXT-Großveranstaltung TakeOver: Stand and Deliver. Vorher spricht Regal mit SPORT1 über seine Sicht auf die Problemfelder bei WWE, seine Vergangenheit bei der deutsch-österreichischen Traditionsliga CWA von Big Otto Wanz - und darüber, wie die neue deutschsprachige Generation die Tradition nun bei WWE fortleben lässt.
SPORT1: Mr. Regal, Sie fallen bei Twitter immer wieder auch mit Ihrer Leidenschaft und Expertise für britische Comedy auf. Was fällt Ihnen denn zum Thema Deutscher Humor ein?
William Regal: Oh, nichts Schlechtes. Ich habe ja in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern viel Zeit in Deutschland verbracht - und all meine Kollegen und Freunde, die ich dort kennengelernt habe, waren unterhaltsame und lustige Menschen. Das war auch ein Glück: Für ein Catch-Turnier in Hannover zum Beispiel habe ich neun Wochen mit denselben Leuten im selben Gebäude verbracht. Wenn man da nicht auf die Menschen zugeht und gut miteinander auskommt, hat man ein Problem, das hatte ich mit den deutschen Kollegen nie - auch nicht mit den deutschen Wrestlern, die jetzt bei WWE arbeiten. Wir lachen viel gemeinsam und tauschen Geschichten aus.
SPORT1: Unter WWE-Vertrag stehen aktuell vier deutsche Wrestler: Alexander Wolfe und Marcel Barthel, die mit WALTER aus Österreich und Fabian Aichner aus Südtirol die Grupper Imperium bilden, sowie auch der Deutschrusse Ilja Dragunov und seit kurzem auch Metehan, der frühere Lucky Kid.
Regal: Diese Entwicklung macht mich auch persönlich unheimlich stolz. Unser NXT-UK-Kader - der faktisch ein NXT-Europa-Kader ist - ist eine großartige Sache. Ich hätte noch vor einigen Jahren nie für möglich gehalten, dass es bei WWE jemals eine eigene Show für europäische Wrestler geben würde - europäische Wrestler, die denselben Stil haben, der mich in den Achtzigern und Neunzigern in Großbritannien und Deutschland begeistert hat. Die NXT-UK-Leute knüpfen an diese Tradition an, sie hätten auch wunderbar zu den Legenden von damals gepasst, das macht mich gerade auch mit Blick auf meine eigenen Wurzeln einfach stolz.
SPORT1: Werden wir die deutschsprachigen Hoffnungsträger irgendwann auch häufiger in den USA sehen, in einem der Hauptkader?
Regal: Ich glaube, dass es keine Grenze für sie gibt, das haben sie schon unter Beweis gestellt. Metehan ist noch sehr frisch dabei, da muss die Zeit zeigen, wie er sich einfügt, aber was Imperium angeht: WALTER, Marcel, Alexander und Fabian sind unglaublich begabt und die Fans sehen es, auch in den USA. Denken Sie an den Empfang, den WALTER bei den Survivor Series 2019 bekommen hat.
SPORT1: ... wo er Teil des großen Matches zwischen den Teams von RAW, SmackDown und NXT war.
Regal: Ich hatte vorher Sorgen, wie viele Fans WALTER damals schon gekannt hatten, aber an dem Abend haben die Fans so wild auf ihn reagiert wie auf alle anderen Stars. Dieser No-Nonsense-Stil, den WALTER verkörpert, sein wrestlerisches Können, die Art und Weise, wie er Leute verprügelt: Die Leute wollen das sehen. Es gibt sogar etwas, was die deutschsprachigen Wrestler den anderen voraus haben.
SPORT1: Was denn?
Regal: Ich beobachte bei vielen der englischen Talenten, dass sie versuchen, den amerikanischen Stil zu kopieren. Die deutschsprachigen Wrestler - auch Cesaro, der ja schon länger dabei ist - machen das nicht, sie haben ihren eigenen Stil bewahrt und gepflegt. Und der europäische Stil mit seiner besonderen Glaubwürdigkeit und "Realness" ist ein Schatz: Er vereint Einflüsse aus aller Welt, aber er hat auch das Wrestling in aller Welt beeinflusst - in Amerika, Kanada, Japan und anderswo. Das ist in diesem Maße nicht allen bewusst und ich bin froh, dass die deutschsprachigen WWE-Wrestler nun der Welt zeigen, was sie können und für was sie stehen.
SPORT1: Beim US-Kader von NXT gab es 2019 ein großes Beben, als die Show ins US-TV gehievt wurde, nun steht mit dem Wechsel auf den Dienstagssendeplatz - weg aus der Konkurrenzsituation mit AEW Dynamite - eine weitere folgenschwere Veränderung an. Wie sehen Sie diese Entwicklung, was ist für Sie die Vision hinter NXT?
Regal: Es gibt einen bestimmten Gedanken hinter NXT. Ich zitiere hier jetzt mal meinen Boss Vince McMahon, der gesagt hat, dass NXT bei WWE für das "professional wrestling" steht. Das heißt nicht, dass der Aspekt bei RAW und SmackDown keine Rolle spielt - man muss ein sehr guter Wrestler sein, um es dorthin zu schaffen, aber die Betonung ist bei NXT einfach nochmal eine andere.
SPORT1: NXT war ursprünglich als Talente-Zulieferer gedacht, mittlerweile ist es eher eine Eigenmarke. Das hat Vorteile - aber bergen die unterschiedlichen Konzepte nicht auch Probleme, was den Talent- und Ideenaustausch angeht? Viele NXT-Hoffnungen, die dort Top-Attraktionen waren, tun sich in den Hauptshows schwer.
Regal: Nun, das wird es aber immer geben, dass manche Leute besser in die Philosophie einer Show passen und andere besser in die einer anderen. Manche sind im Bereich Entertainment besser, andere sind im Ring besser und manche müssen sich auch einfach nur noch besser finden. Auch NXT selbst ist übrigens noch in der Entwicklung. Vergessen wir nicht, wie jung NXT als Idee immer noch ist - und was schon dabei herausgekommen ist: Die Qualität der TakeOver-Events ist unerreicht - und dass diese Qualität sich nun durch bald 34 Shows konstant durchzieht, ist einzigartig. Das wird mittlerweile ein wenig als selbstverständlich betrachtet, dabei ist es das beileibe nicht.
SPORT1: Aber woran liegt es, dass viele, die bei den TakeOvers geglänzt haben, bei RAW und SmackDown ihr Glück nicht gefunden haben?
Regal: Wenn ich auf meine eigene Karriere zurückblicke: Ich habe vier Jahre und das tägliche Zusammenspiel mit den absolut besten Wrestlern Europas gebraucht, um einigermaßen auf das Level zu kommen, das ich dann hatte. Oder schauen Sie sich Steve Austin ab: Er war an vielen unterschiedlichen Orten und auch eine Weile bei WWE, bevor er seine Formel gefunden hatte und "Stone Cold" wurde. Es gibt Ausnahmetalente, bei denen es schneller geht - Randy Orton etwa war von Tag 1 an top. Aber auf jeden Wrestler, der seine Rolle schnell findet, kommen 20, die Jahre dafür brauchen. Ich war einer von den 20.
SPORT1: Woran merkt man als Verantwortlicher, wer das Zeug zum Topstar hat und wer nicht?
Regal: Das ist eine komplizierte Gleichung mit vielen Faktoren, die in ständiger Bewegung sind. Es gibt auch Fälle, bei denen meine Kollegen Triple H, Shawn Michaels und ich schnell merken: Das ist kein Talent für NXT - aber einer, der bei RAW oder SmackDown schnell seinen Weg machen wird. Oder auch Fälle, bei denen wir selbst überrascht sind, wie schnell der Anruf der Hauptshow-Verantwortlichen kommt. Es gibt auch Wrestler, die überall reinpassen - Cesaro zum Beispiel kann alles - aber das gilt nicht für jeden und muss es auch nicht.
SPORT1: Sehen Sie nicht aber auch eine gewisse Gefahr darin, wenn Talente den Stempel bekommen "Der ist ein NXT-Typ" und dann in den Augen des Managements vielleicht in einer gewissen Schublade stecken, aus der sie nicht mehr rauskommen?
Regal: Dazu muss man sagen: Es gibt tatsächlich Leute, die von sich aus sagen, dass sie bei NXT glücklich sind und dort bleiben wollen, weil es ihrem Stil eher entspricht. Aber ich sehe nicht, dass wir die Wrestlerinnen und Wrestler auf bestimmte Rollenprofile festlegen, es herrscht ja ständige Bewegung. Es gibt bei manchen Fragen der Talententwicklung keine eindeutigen Antworten, kein Richtig oder Falsch, das versteht man besser, wenn man direkt daran arbeitet statt von außen draufzuschauen.
SPORT1: Was meinen Sie damit?
Regal: Man muss mit vielen Unwägbarkeiten arbeiten, mit Verletzungen und ihren Folgen, damit, dass Leute von der Persönlichkeit her nicht reinpassen, obwohl sie sonst alle Anlagen hätten - Dinge, die man von außen nicht sieht. Und gerade ist die Pandemie-Zeit eine zusätzliche Schwierigkeit: Es fallen die Live-Shows weg, bei denen die Talente außerhalb der festgefügten TV-Strukturen mal etwas ausprobieren können, was sie weiterbringt. Sie merken: Ich habe keine einfachen Antworten. Aber ich bin auch überzeugt davon, dass Sie einfache Antworten auf bestimmte Probleme im Wrestling nur von Leuten hören werden, die dort nicht arbeiten.