„I think I‘m cute. I know I‘m sexy. I‘ve got the looks, That drive the girls wild ...“
Waren diese Tränen Schmierentheater?
Das musikalische Theme, mit dem er bei WWE einst zum Ring marschiert ist, ist Fans vieler Generationen noch im Ohr - auch solchen, die Shawn Michaels als Mittvierziger erlebten, in dessen Haarpracht sich schon viele kahle Stellen eingeschlichen hatten.
Ein "Sexy Boy" war er da schon lange nicht mehr, ein "Heartbreak Kid" streng genommen auch nicht. Umso gerechter war er am Ende seiner Karriere seinen anderen Spitznamen geworden: The Showstopper. The Main Event. The Icon. Mister WrestleMania. Bis heute gilt Michaels vielen Fans als bester WWE-Wrestler aller Zeiten.
Michaels hat eine Hall-of-Fame-Laufbahn als Showkämpfer hinter sich - die lange Zeit aber auch von vielen Skandalen durchzogen war.
Der radikale menschliche Wandel, den Michaels seitdem vollzogen hat, hat vergessen lassen, dass Michael Shawn Hickenbottom einst ein "Enfant terrible" war, das hinter den Kulissen höchst umstritten, teils absolut verhasst war.
Shawn Michaels kurz nach Debüt von WWE entlassen
Schon der Start in seine WWE-Karriere war eine Geschichte für sich: Im Jahr 1987 feierten er und sein Partner Marty Jannetty ihr Debüt - um kurz darauf umgehend wieder gefeuert zu werden.
Jannetty und der damals knapp über 20 Jahre alte Michaels (geboren am 22. Juli 1965 in Chandler, einem Vorort der Metropole Phoenix in Arizona) hatten sich außerhalb der WWF einen Namen als "Midnight Rockers" gemacht, ein athletisches Duo mit für damalige Verhältnisse außergewöhnlich spektakulärem Ringstil.
Innerhalb der WWF fielen sie gleich in der ersten Arbeitswoche mit einer Barschlägerei negativ auf und wurden umgehend entlassen. Ursache des Vorfalls war ein "Missverständnis", wie Michaels später in seiner Autobiografie beteuerte.
Diverse weitere sollten folgen.
Aus dem jungen "Rocker" wird "The Heartbreak Kid"
Nach einem Zwischenstopp bei der damaligen Konkurrenzliga AWA kamen die Rockers (nun ohne Midnight) zur WWF zurück und eroberten auch dort die Fanherzen - wobei sich nach und nach herauskristallisierte, dass Ligachef Vince McMahon in Michaels mehr Potenzial (und mehr Engagement) erkannte als in Jannetty.
Ende 1991 wurde die Trennung vollzogen, In einem berühmt-berüchtigten Segment wandte sich Michaels gegen Jannetty und beförderte ihn durch das Fenster des „Barber Shop“ - das Set, in dem damals Hulk-Hogan-Kumpel Brutus Beefcake inszenierte Interviews mit seinen Kollegen abhielt.
Michaels von sich selbst eingenommener „Heartbreak Kid“ neu erfunden, mit wertvoller Hilfe der 2007 verstorbenen Manager-Legende Sensational Sherri - die auch das schmachtende Stöhnen am Anfang von Michaels‘ Theme beisteuerte (im Original auch von ihr gesungen, später von Michaels selbst). Während es mit Jannetty bergab ging - karrieretechnisch wie privat - erreichte Michaels Schritt für Schritt neue Sphären.
Michaels‘ Charisma und begeisternde Matches gegen Rivalen wie Bret Hart und Razor Ramon führten schließlich dazu, dass er als Publikumsliebling durchstartete, 1996 wurde er bei WrestleMania XII nach einem 60 Minuten langem „Iron Man Match“ gegen Hart schließlich auch erstmals World Champion (Bret „The Hitman“ Hart: Sein tragisches zweites Leben).
Zusätzliche Bekanntheit erlangte Michaels damals auch durch einen Gastauftritt in der Serie "Baywatch" (Pamela Anderson feierte im Gegenzug seinen Rumble-Sieg 1995 mit ihm) und durch ein schlüpfriges Fotoshooting für das Magazin "Playgirl".
Innige, reale Feindschaft mit Idol Bret Hart
Hinter den Kulissen machte sich Michaels bei seinem Aufstieg allerdings Feinde. Er war als Feierbiest verschrien, hatte - wie er später selbst einräumte - massive Drogenprobleme und polarisierte auch sonst mit seinem Verhalten: Er hatte einen Ruf als Intrigant, der mit seinem berüchtigten Backstage-Freundeskreis "The Kliq" (Ramon, "Diesel" Kevin Nash, "1-2-3-Kid" Sean Waltman und der heutige WWE-Vorstand Triple H) allzu sehr auf den eigenen Vorteil bedacht gewesen wäre.
Vor der großen Fehde mit Weggefährte Ramon hätte Michaels 1993 die Liga zudem nach einem positiven Steroidtest fast verlassen, nachdem er seine Schuld bestritt und eine Suspendierung nicht hinnehmen wollte. Auch zwei Jahre später gab es Wirbel, als Michaels erneut in eine reale Barschlägerei geriet und dabei so schwer verletzt wurde, dass er den Intercontinental-Titel, den er damals gehalten hatte, niederlegen musste (Razor Ramon: Die dunklen Abgründe eines WWE-Kultstars).
In besonderer Erinnerung blieb aber vor allem seine echte Feindschaft mit Rivale Bret Hart, zu der verdeckte Beleidigungen vor der Kamera und auch eine böse Schlägerei dahinter gehörte - Michaels hatte in einem TV-Segment ohne Absprache angedeutet, dass der verheiratete Hart eine Affäre mit der inzwischen tief gefallenen Kollegin Sunny gehabt hätte.
Eine berühmt-berüchtigte Episode war auch Michaels‘ erster vermeintlicher Rücktritt heute vor 25 Jahren, als HBK nach einer Verletzung mit Tränenmiene verkündete, dass er sein Lächeln verloren und es wiederfinden müsste („I‘ve lost my smile“). Getuschelt wurde stattdessen, dass Michaels‘ scheinbar authentisch emotionaler Auftritt reines Schmierentheater gewesen wäre: Er hätte sich damals schlicht vor einer geplanten Niederlage gegen Intimfeind Hart bei WrestleMania gedrückt.
1998: Rücktritt kurz nach "Montreal Screwjob"
Michaels - dessen Skandale sich herumsprachen und auch einen Teil der Fanbase gegen ihn aufbrachten - kam damals in jedem Fall doch schnell zurück und führte die Fehde mit Hart zu einem legendären Ende.
Bei den Survivor Series 1997 ließ McMahon Michaels das Titelmatch entgegen der Absprache mit dem „Hitman“ gewinnen - der berühmte „Montreal Screwjob“ gegen Hart, der damals bei der Konkurrenzliga WCW unterschrieben und sich weigern hatte wollen, zum Abschluss ausgerechnet Michaels zu unterliegen. Michaels gab erst Jahre später zu, dass er in den Betrug eingeweiht war. McMahon hatte ihn vor der Wut Harts und anderer Kollegen schützen wollen.
Auch Michaels' WWF-Karriere erreichte kurz nach dem Eklat ihr vorläufiges Ende: Nach der WrestleMania-Niederlage gegen den aufstrebenden Stone Cold Steve Austin 1998 (und einem Fausthieb von Gaststar Mike Tyson) trat Michaels wirklich zurück, von heftigen Rückenproblemen geplagt.
2002 - 2010: Mega-Duelle mit Undertaker krönten erfolgreiches Comeback
Vier Jahre danach feierte Michaels ein damals unerwartetes Comeback mit einer Fehde gegen Weggefährte Triple H (den Mann, mit dem er 1997 die legendäre D-Generation X gegründet hatte). Weil der Rücken hielt, wurde eine dauerhafte Rückkehr daraus - die sich als Glücksfall für Michaels' Vermächtnis erwies.
In seiner zweiten Karriere-Hälfte lieferte Michaels unzählige weitere Klassiker gegen Triple H, Chris Jericho, Chris Benoit, Kurt Angle und John Cena. Mit einem würdigen Abschiedsmatch bei WrestleMania 2008 schickte er Ric Flair in den Ruhestand - und bescherte sich in den darauffolgenden Jahren selbst einen perfekten Abgesang mit den denkwürdigen WrestleMania-Schlachten gegen den Undertaker.
Vor allem in den "Big Matches" auf großer Bühne überzeugte "Mr. WrestleMania": Michaels konnte die Fans auf einzigartige Weise packen, auch und gerade, nachdem er seinen athletischen Zenit schon überschritten hatte.
Seine ringhandwerkliche Exzellenz und seine Gabe, mit verausgabenden Performances die Emotion der Fans zu wecken, ist unerreicht - und seine Leistungen wurden auch von einem körperlichen Handicap nicht beeinträchtigt: Eine Gesichtsverletzung, die Michaels sich 2004 in einem Match gegen Kane zuzog, entwickelte sich zu einer Fehlstellung seiner Augen, die mit den Jahren immer deutlicher hervortrat.
Geläuterter Christ und Familienmensch
Was den Ruf von "HBK" außerdem weiter aufpolierte: Michaels' Comeback blieb skandalfrei, in seiner Ringpause hatte er sein Leben neu geordnet, schwörte den Drogen ab, wurde zum gläubigen Christen und führt seitdem ein gesetztes Leben an der Seite von Ehefrau Rebecca (das ehemalige "Nitro Girl Whisper" bei WCW). Auch eine von WWE groß in Szene gesetzte Versöhnung mit Bret Hart gab es 2010, als der spät zurückkehrte.
Nach eigener Einschätzung hing der "selbstzerstörerische" Pfad, auf dem Michaels zuvor unterwegs war, mit psychischen Problemen zusammen – und der zu späten Erkenntnis, dass er sie hätte behandeln lassen sollen. Zur Besinnung brachte ihn nach eigenen Angaben vor allem sein Verantwortungsgefühl für den 2000 geborenen Sohn Cameron Kade (2004 komplettierte Tochter Cheyenne die Familie).
Shawn Michaels heute hinter den Kulissen bei WWE NXT aktiv
Heute ist Michaels - der 2018 nochmal ein weniger ruhmreiches, einmaliges Ring-Comeback in Saudi-Arabien feierte - hinter den Kulissen von WWE aktiv. Seit dem großen Backstage-Beben im vergangenen Herbst führt Michaels das Tagesgeschäft im Talententwicklungskader NXT - angeblich zur höchsten Zufriedenheit der WWE-Führung.
Michaels arbeit seit Jahren auch intensiv mit den deutschsprachigen Wrestlern der Imperium-Gruppierung (Gunther/WALTER, Marcel Barthel, Fabian Aichner) zusammen.
Kaum ein Wrestling-Fan wird diesen Vergleich übertrieben finden.