In Deutschland trainierte er einst Darmstadt, Duisburg, Kaiserslautern und 1860 München - bei seinem aktuellen Klub Udinese Calcio erlebte Kosta Runjaic am Wochenende eine Aufsehen erregende Szene.
Deutscher Trainer erklärt Elfer-Eklat
Udinese-Spieler Lorenzo Lucca schnappte sich im Spiel bei US Lecce den Ball für einen Elfmeter – obwohl er gar nicht als Schütze vorgesehen war. Der Stürmer verwandelte zum 1:0-Siegtreffer, wurde aber anschließend von Runjaic sofort ausgewechselt.
Im SPORT1-Interview spricht der 53 Jahre alte Runjaic nun erstmals ausführlich über den Vorfall - und seinen Karriere-Weg in den vergangenen Jahren.
SPORT1: Herr Runjaic, haben Sie sich nach dem Vorfall mit Lorenzo Lucca wieder beruhigt?
Kosta Runjaic: Schauen Sie sich die Fernsehbilder an: Ich war die ganze Zeit ruhig. Puls 75, würde ich tippen (lacht). Ich musste trotzdem reagieren. Es geht nicht, dass ein Spieler eigenhändig bestimmt: Jetzt schieße ich den Elfmeter. Also habe ich Lucca sofort nach dem Elfer ausgewechselt. Den Strafstoß hat er übrigens noch astrein geschossen.
SPORT1: Was hat ihn zu der Aktion gebracht?
Runjaic: Lorenzo Lucca selbst hat nachher den Refrain eines in Italien beliebten Liedes zitiert, um sich zu erklären: „Volevo essere un duro, però, da solo, non sono nessuno” Zu Deutsch: „Ich wollte ein harter Typ sein, aber alleine bin ich ein Niemand.“ Ein schönes Lied von Lucio Corsi - und eine späte, aber wichtige Einsicht von Lorenzo Lucca.

SPORT1: Waren die Teamkollegen sauer auf Lucca?
Runjaic: Ich denke, die Jungs haben in dieser unerwarteten Situation besonnen reagiert. Wichtig war es auch, dass sie nach dem Führungstreffer und der Auswechslung weiter konzentriert und fokussiert Fußball gespielt haben. Denn die Stimmung auf den Rängen und auf dem Platz war explosiv.
SPORT1: Eigentlich ist es ja gut, wenn ein Spieler selbstbewusst ist und das auch zeigt ...
Runjaic: Ja, aber eine Mannschaft hat nur Erfolg, wenn sich alle an die Regeln halten. Ich glaube, jetzt ist das auch wieder allen klar. Ich versuche in der Regel, schwierige Situationen mit Ruhe und Empathie zu lösen. Aber ich arbeite mit 25 jungen Männern zusammen - da gibt es immer mal kritische Momente, in denen ich Einzelne klar und scharf an die gemeinschaftlichen Ziele erinnern muss. Wichtig ist, solche Situationen so zu lösen, dass keine Ressentiments zurückbleiben.
SPORT1: Sie haben sich also ausgesprochen?
Runjaic: Selbstverständlich haben alle Beteiligten miteinander geredet. Wir hatten die nötige Aussprache innerhalb der Kabine und es gab auch die nötige Ansage von mir - und jetzt ist das alles abgehakt. Eine Anekdote, mehr nicht. Die Sache ist aus der Welt.
SPORT1: Lassen Sie uns auch über Ihren Weg in den vergangenen Jahren sprechen: Vor Ihrer Zeit in Udinese haben Sie sieben Jahre erfolgreich in Polen gearbeitet. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Runjaic: Es war, insgesamt, eine großartige Zeit. Pogon Stettin war ein Abstiegskandidat, als ich kam. Als ich nach viereinhalb Jahren ging, hinterließ ich nicht nur eine nationale Spitzenmannschaft, sondern einen Verein, der durch ungekannt hohe Transfereinnahmen strukturell gewachsen war, mit neuem Stadion und ganz anderen wirtschaftlichen Möglichkeiten.
SPORT1: 2022 zog es Sie dann zu Legia Warschau ...
Runjaic: Legia übernahm ich in ihrer sportlich schlechtesten Situation seit Jahrzehnten, sie waren in der Vorsaison auf Platz zehn der Ekstraklasa abgestürzt. Wir wurden postwendend Zweiter, gewannen den Pokal und feierten in der zweiten Saison magische Nächte in Europa, von denen die Leute heute noch reden. Wir schlugen Aston Villa, wendeten gegen Austria Wien in der Nachspielzeit das Blatt und gewannen eine Partie mit Endspielcharakter gegen Alkmaar. In diesen sieben Jahren ist eine echte Verbindung zum polnischen Fußball entstanden: Ich schaue heute in Udine noch öfter polnische Ligaspiele.
SPORT1: Sie sind in Deutschland etwas unter dem Radar geflogen. War der Schritt Ausland Ihr großes Glück?
Runjaic: Vielleicht komme ich in den deutschen Medien nicht so häufig vor. Das ist logisch. In Italien wird auch selten über Werder Bremen oder Mönchengladbach berichtet. Aber das Interesse von deutschen Vereinen war über die Jahre immer da. Und bevor Sie jetzt fragen: Nein, ich sage Ihnen nicht die Namen der Vereine, die anklopften - Vertraulichkeit gehört zum Geschäft (lacht).
SPORT1: Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Polen nach erfolgreichen Jahren verlassen und nach Italien gegangen sind?
Runjaic: Die Besitzer von Udinese waren auf meine Arbeit aufmerksam geworden. Nachdem die Mannschaft in den letzten zehn Jahren nie besser als Zwölfter in der Serie A gewesen war, suchten sie bewusst jemanden außerhalb der italienischen Fußballszene, der mit neuen, frischen Ideen an die Arbeit ging.
Die Entwicklung bei Udinese
SPORT1: Wie zufrieden sind Sie bisher mit Ihrer Zeit bei Udinese Calcio gewesen?
Runjaic: Wir stehen momentan vom Tabellenplatz, von den Punkten und auch von den Spielstatistiken wie Ballbesitz deutlich besser da als in den letzten Jahren. Wir bewegen uns also in die richtige Richtung. Wir sind auf dem Weg, aber die längste Strecke liegt noch vor uns.
SPORT1: Wie haben Sie sich als Trainer verändert? Eine Auslandserfahrung ist dabei sicher förderlich.
Runjaic: Ich kann heute problemlos mit Spielern aus allen Teilen der Welt kommunizieren. In einer Sprache, die wohl Footballisch heißt. Eine Mischung aus Englisch, Italienisch, Polnisch, Deutsch und, Gesten, Handzeichen. Und ich bin sehr offen geworden bei der Zusammenarbeit mit meinem Trainerteam: Ich ziehe nicht mit demselben Trainerstab seit 20 Jahren durch die Fußballwelt, sondern ich gebe immer wieder neuen, kreativen Athletik- oder Assistenztrainern eine Chance. Mein Credo ist: Die Leute, mit denen du dich umgibst, sollten dich besser machen.
Serie A und Rückkehr zur Bundesliga?
SPORT1: Wie schätzen Sie den italienischen Fußball ein, der in den vergangenen Jahren doch sehr gelitten hat?
Runjaic: "Gelitten" hat er aus meiner Sicht nur punktuell, insgesamt ist die Serie A unverändert eine der weltweit vier stärksten Ligen. Denken Sie daran, wie Atalanta Bergamo im letztjährigen Europa-League-Finale Bayer 04 Leverkusen dominiert hat. Gerade taktisch setzt die Liga immer noch Trends: Ob das Bergamo mit seiner radikalen Manndeckung über den ganzen Platz ist oder Inter Mailand, wo Verteidiger bei Ballbesitz bewusst auf Angriffspositionen auftauchen. Für einen Trainer ist hier jedes Spiel sehr anspruchsvoll.
SPORT1: Wie sehr verfolgen Sie den deutschen Fußball? Beim 1. FC Kaiserslautern, wo Sie einmal Trainer waren, träumt man aktuell von der Bundesliga ...
Runjaic: Ich kann mir jedenfalls gut ausmalen, was für eine gigantische Party ein Aufstieg des FCK nach sich ziehen würde (lacht). Aber was die Leute dort jetzt sicher nicht brauchen, sind irgendwelche Ex-Trainer, die schlaue Ratschläge geben. Ich verfolge die Bundesligen aus der Ferne und freue mich bei manchem Erfolg meiner Ex-Klubs still mit einem Lächeln.
SPORT1: Wie groß ist die Sehnsucht nach einer Rückkehr in die Bundesliga oder die 2. Liga?
Runjaic: Ein Trainer sollte immer im Hier und Jetzt leben. Wenn er anfängt, an die eigene Zukunft zu denken, entgleitet ihm schnell die Gegenwart. Ich bin glücklich, in Udine zu sein. Und ich bin gespannt, wo ich in drei oder zehn Jahren bin.