In der 80. Minute brandete plötzlich Applaus auf. Und es wehte ein Hauch von 2011 durch das „Bluenergy Stadium“, das damals noch den nicht durch einen Sponsor vereinnahmten Namen Stadio Friuli trug. Anlass war Alexis Sánchez, der am vergangenen Sonntag erstmals wieder in der Serie A im Trikot von Udinese Calcio den Rasen seines alten Wohnzimmers betrat.
Er hätte Bayerns Gefüge gesprengt
Die Heimkehr des verlorenen Sohnes wurde im vergangenen Sommer zelebriert. „El Nino is back“, schrieb der Klub auf X über ein Video mit Highlights aus früheren Tagen. Als 19-Jähriger debütierte „El Nino Maravilla“ – „das Wunderkind“ aus dem „Teufelseck“, wie Sánchez‘ chilenische Heimat Tocopilla übersetzt heißt – für Udine in der Serie A.
Es war seine erste Station in Europa. Und der Grundstein für eine große Karriere. Nun, über 13 Jahre nach seinem Abschied schließt sich in Udine ein Kreis für den mittlerweile 36-Jährigen.
Verletzung verzögert Sánchez‘ Comeback
Doch auch am Wunderkind von einst ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Fast ein halbes Jahr musste Sánchez nach seiner Unterschrift auf sein Comeback im Trikot der Weiß-Schwarzen warten. Eine myofasziale Muskelverletzung im Bein bremste den Offensivstar im August aus und ließ ihn schon etwas in Vergessenheit geraten.
„Er ist ein wichtiger Spieler in der Kabine und im Training. Ich kann es kaum erwarten, ihn zurück zu haben“, sagte sein deutscher Coach Kosta Runjaic Anfang Dezember.
Beim Aus in der Coppa Italia am 19. Dezember bei seinem Ex-Klub Inter Mailand lief er erstmals wieder für Udine auf und wurde zur Pause ausgewechselt. Am Sonntag beim 2:2 im Heimspiel gegen den FC Turin reichte es für seine ersten Minuten vor heimischer Kulisse.
Udine-Coach Runjaic: „Müssen geduldig sein“
Und ihm gehörte eine der letzten Szenen: In der Nachspielzeit versuchte es Sánchez mit einem ambitionierten Distanzschuss aus weiter Ferne – und verfehlte deutlich.
„Ich freue mich über die Rückkehr von Sánchez, aber wir müssen geduldig sein. Wir müssen einen Schritt nach dem anderen machen“, sagte Runjaic hinterher. Sánchez arbeite daran, wieder seine Bestform zu erlangen.
Es erscheint fraglich, ob Sánchez an die Glanzzeiten früherer Tage nochmals wird anknüpfen können. Nachdem er in Udine durchgestartet war, wechselte er 2011 für 26 Millionen Euro zum FC Barcelona. Doch im Starensemble um Lionel Messi suchte Sánchez letztlich vergebens seinen Platz.
Beim FC Arsenal erlebte Sánchez ab 2014 die wohl beste Zeit seiner Karriere. In seinen vier Jahren bei den Gunners erzielte der chilenische Offensivstar in 166 Pflichtspielen 80 Tore und gab 45 Vorlagen.
Sánchez im Bayern-Fokus: Als Hoeneß „Granaten“ wollte
Es war die Zeit, in der Sánchez auch in den Fokus des FC Bayern rückte. Es war der Transfer-Sommer 2017, der ganz unter dem Eindruck des berühmten „Granaten“-Spruchs von Uli Hoeneß stand. „Wir haben einen Kader, wenn man den verstärken will, muss man schon ziemliche Granaten kaufen“, tönte der damalige Bayern-Präsident auf der Meisterfeier.
Doch dass die potenzielle „Granate“ Sánchez mit angeblichen Gehaltsforderungen von 25 Millionen Euro jährlich das damalige Gefüge beim Rekordmeister gesprengt hätte, schreckte die Bayern dann doch von einem Transfer ab.
Als Teil eines spektakulären Tauschgeschäfts wechselte Sánchez ein Jahr später zu Manchester United, der Ex-Dortmunder Henrikh Mkhitaryan ging im Gegenzug zu Arsenal. Der Chilene wurde indes immer mehr zum Wandervogel. Nur eineinhalb Jahre später zog es ihn zurück nach Italien, zu Inter Mailand.
Intermezzo in Marseille – Meister mit Inter
2022 unterschrieb er bei Olympique Marseille. Doch die zunächst verheißungsvolle Liaison hielt auch nur ein Jahr. Zurück bei Inter feierte er 2024 den Scudetto – Sánchez selbst war dabei meist nur Edeljoker.
Die Rückkehr nach Udine ist wohl ein letztes Hallo für Sánchez, der in seiner Heimat auch wegen der zwei Titel bei der Copa Ámerica als einer der besten chilenischen Fußballer der Geschichte gilt.
In Tocopilla haben sie ihm schon 2017 eine Statue gebaut. Als kleiner Junge führte er dort Kunststücke auf und sammelte so ein paar Pesos. „Wir haben bei den Nachbarn geklopft und um Brot bitten müssen“, erzählte sein Bruder Humberto Sánchez vor Jahren der Daily Mail, „ohne Fußball wäre Alexis Fischer oder würde in den Salpeterminen arbeiten.“
Nun hoffen die Fans von Udinese Calcio darauf, dass Sánchez sie noch einige Zeit mit ein paar fußballerischen Kabinettstückchen unterhält.