Von der einstigen DFB-Hoffnung zum serbischen Nationalspieler in der Serie A!
Nagelsmann-Training „war Wahnsinn“
Lazar Samardzic hat seit seinem Schritt von RB Leipzig zu Udinese Calcio sehr viel mitgemacht.
Im Exklusiv-Interview mit SPORT1 spricht der 21-Jährige über seine Entwicklung, ein besonderes Duell mit Zlatan Ibrahimovic und das blamable Gruppenphasen-Aus seiner ehemaligen deutschen U21-Kollegen bei der EM.
Darüber hinaus erklärt der Udine-Profi, warum er unter Julian Nagelsmann nicht den Durchbruch in der Bundesliga geschafft hat und er sich in Italien nun eine ähnliche Entwicklung wie Antonio Rüdiger oder Robin Gosens wünscht.
SPORT1: Lazar, zwei Jahre ist Ihr Wechsel von RB Leipzig zu Udinese Calcio her. Hat sich der Schritt für Sie ausgezahlt?
Lazar Samardzic: Definitiv! Das erste Jahr diente der Eingewöhnung, im zweiten habe ich mich etabliert. Ich kann mich mit den besten Teams und Spielern Europas messen, habe mich zum Stammspieler bei einem etablierten Erstligisten und zum A-Nationalspieler gearbeitet.
SPORT1: Trotzdem sahen viele in dem Transfer einen Rückschritt oder gar Fehler.
Samardzic: Ich respektiere jede Meinung, das Feedback aus meinem Umfeld war allerdings positiv. Udine fliegt meines Erachtens stark unter dem Radar. Dabei ist der Verein seit knapp 30 Jahren erstklassig, hat auch große Namen wie Antonio Di Natale, Oliver Bierhoff, Rodrigo De Paul, Fabio Quagliarella oder auch aktuell mit Gerard Deulofeu und Roberto Pereyra vorzuweisen. Udine ist ein Verein, bei dem man sich ideal und mit viel Vertrauen weiterentwickeln kann. Das hilft enorm. Außerdem habe ich mich erstmals aus meiner Komfortzone herausbewegt, nochmal weiter weg von zuhause, in ein neues Land, mit einer neuen Sprache und Kultur. Das hat mich auch menschlich nochmal um einiges nach vorne gebracht. Man sieht ja auch, dass Spieler wie Hakan Calhanoglu, Toni Rüdiger oder Robin Gosens von ihrem Wechsel nach Italien stark profitiert haben.
SPORT1: Warum hat es in Leipzig für Sie nicht funktioniert? Sie galten deutschlandweit als eines der größten Talente, als RB Sie 2020 aus der U19 von Hertha BSC holte.
Samardzic: Ich hätte mir natürlich mehr Minuten in Leipzig erhofft, aber so ist der Fußball manchmal eben. Vielleicht war ich einfach noch nicht so weit und habe die Zeit gebraucht, um auf diesem Niveau zu trainieren, mich zu entwickeln und über einen längeren Zeitraum zu beweisen. Ich kam mit 18 nach Leipzig und hatte gerade einmal drei Kurzeinsätze in der Bundesliga gesammelt. Die Zeit dort hat aber definitiv dazu beigetragen, dass ich jetzt der Spieler bin, der ich bin. Das, worauf ich körperlich und auch technisch aufbaue, habe ich auch der Ausbildung in Berlin und Leipzig zu verdanken.
SPORT1: Julian Nagelsmann war damals Ihr Coach bei RB. War er vielleicht der falsche Trainer für Sie?
Samardzic: Ich würde nicht sagen, dass er der falsche Trainer war, da ich mich bei ihm enorm weiterentwickelt habe, vor allem fußballerisch. Unter Julian Nagelsmann zu trainieren, war Wahnsinn - vor allem auf taktischer Ebene und in Sachen Handlungsschnelligkeit. Da ging es nicht nur darum, wie gut du am Ball bist, sondern vor allem im Kopf, wie schnell du da bist und wie vorausschauend du spielst. Darauf hat er besonderen Wert gelegt. Das kann auf diesem Niveau entscheidend sein. Zu der Zeit war es aber sehr schwer, sich ins Team zu spielen, weil die Jungs einfach sehr, sehr gut performt haben. Nkunku, Forsberg oder Olmo sind natürlich auch nicht irgendwer. Das hat es für den Trainer auch nicht leicht gemacht, etwas umzustellen. Ich stand im Champions-League-Kader und habe die Atmosphäre und das ganze Drumherum mitgenommen. Natürlich hat es da immer wieder gekitzelt.
SPORT1: Gab er Ihnen viel Feedback?
Samardzic: Wir haben jetzt nicht täglich über meine Situation gesprochen. Das war aber auch nicht nötig, da ich die Lage gut einschätzen konnte und wusste, wo ich stehe. Er war immer sehr ehrlich zu mir. Wie gesagt, ich hätte gern mehr gespielt, wusste das mit 18 aber schon einzuordnen bei meiner ersten Station weg von zuhause. Jetzt bin ich wesentlich gieriger, was das angeht - aber eben auch weiter in meiner Entwicklung.
SPORT1: Was waren Ihre bisher schönsten Erfahrungen in Italien?
Samardzic: In besonderer Erinnerung bleibt vor allem mein allererstes Spiel gegen Spezia, bei dem ich acht Minuten nach meiner Einwechslung in der 89. Minute direkt mein erstes Tor geschossen habe, was auch gleichzeitig das Siegtor war. Von so einem Start träumt man im Vorfeld. Ansonsten die ganzen Spiele gegen die Top-Teams und Spieler in der Serie A, auswärts in Neapel zu treffen, auf Top-Stars wie Cristiano Ronaldo, Franck Ribéry oder Zlatan Ibrahimovic zu treffen, der im März übrigens gegen uns das letzte Spiel seiner Karriere gemacht hat - sowas bleibt in Erinnerung. Ibrahimovic ist eine Maschine. Ganz persönlich gesprochen zählt auch die abgelaufene Saison, vor allem die Rückrunde, zu meinen Highlights.
SPORT1: Sie haben sich mit Ihren Leistungen in den Fokus der serbischen A-Nationalelf gespielt. Der Verband konnte Sie auch letztlich davon überzeugen, dem DFB eine Absage zu erteilen. Wenn man sich das schwache Abschneiden der deutschen U21 bei der EM ansieht, war Ihre Wahl scheinbar nicht die schlechteste, oder?
Samardzic: Ich habe die Spiele zum Teil gesehen. Gegen Tschechien beispielsweise war die zweite Halbzeit wirklich gut, aber irgendwie wollte der Ball nicht ins Tor. Da stehen überragende Jungs auf dem Platz, die meisten kenne ich ja sehr gut. Natürlich hätte ich den Jungs wesentlich mehr gegönnt. Am Ende sind die Dinge dann irgendwie komplett gegen sie gelaufen. Ich bin aber ganz unabhängig von der U21 sehr glücklich über meine Wahl. Das würde sich auch nicht ändern, wenn sie den EM-Titel geholt hätten. Ich habe die Entscheidung intensiv abgewogen. Es war für mich der richtige Schritt, ich habe in den beiden Lehrgängen bereits viel gelernt, auch wenn ich noch nicht so viel spielen durfte. Bis zur EURO 2024 bleibt noch knapp ein Jahr, um mich noch besser einzufinden und dann hoffentlich eine wichtige Rolle zu spielen.
SPORT1: Jetzt stehen Sie mit ihren Kindheitsidolen Dusan Tadic und Aleksandar Mitrovic auf dem Platz.
Samardzic: Unglaublich! Das sind Spieler, die ich davor im Fernsehen verfolgt und mit denen ich mitgefiebert habe. Tadic hatte mir mal zu meinem 18. Geburtstag ein Video mit Glückwünschen geschickt - das war damals schon sehr cool. Mit ihm zusammen auf dem Platz zu stehen und sogar in meinem ersten Länderspiel für ihn eingewechselt zu werden, ist eigentlich fast schon zu kitschig, um wahr zu sein. (lacht) Tadic und Mitrovic bringen unfassbar viel Erfahrung mit, die beiden haben gefühlt schon alles erlebt und spielen seit Ewigkeiten auf Top-Niveau. Vor allem sind das aber zwei richtig coole Typen, die echt viel Spaß verstehen. Ich habe mich als Neuling direkt aufgenommen gefühlt.
SPORT1: Ihr Nationalmannschaftskollege Dusan Vlahovic wurde zuletzt mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht. Hat er sich bei Ihnen schon mal nach Deutschland oder der Bundesliga erkundet?
Samardzic: Bisher noch nicht, nein.
SPORT1: Kann Vlahovic einer der besten Stürmer der Welt werden?
Samardzic: Dusan ist ein sehr lockerer und lustiger Typ, der aber nie den Fokus auf seine Leistung verliert. Er kann noch so viele Späße im Training machen, wenn es drauf ankommt, ist er immer da. Fußballerisch ist er eine Maschine. Im Training bei der Nationalmannschaft habe ich das aus nächster Nähe erleben können. Er hat in Florenz bewiesen, was er drauf hat, und mit Juventus auch bei einem noch größeren Verein. Mich wundert es nicht, dass er mit Vereinen wie Bayern in Verbindung gebracht wird. Das hat er sich erarbeitet. Er bringt eigentlich alles mit, was ein Top-Stürmer braucht - er ist groß, kopfballstark, zweikampfstark und vor allem eiskalt im Abschluss.
SPORT1: Wie sieht es mit Ihrer eigenen Zukunft aus? Mehrere Klubs sollen an Ihnen interessiert sein. Bleiben Sie bei Udine?
Samardzic: Mein Fokus liegt aktuell darauf, mit neuer Energie in die neue Saison zu starten. Natürlich will man als Spieler immer das Maximum erreichen. Aber aktuell denke ich nicht viel darüber nach, was in Zukunft passieren kann. Es hat sich gezeigt, dass Udine ein ideales Umfeld für meine Entwicklung ist.
SPORT1: Käme eine Rückkehr nach Deutschland für Sie infrage?
Samardzic: Ich verfolge den deutschen Fußball nach wie vor. Mit Berlin ist meine Heimat dort, meine Familie und Freundin, meine beiden Ex-Klubs. Einige Freunde von mir kicken auch in Deutschland. Ich bin gerade einmal 21 Jahre alt und kann natürlich noch nicht sagen, was die Zukunft mit sich bringt, aber Deutschland wird immer ein besonderer Ort sein.
SPORT1: Wie verfolgen Sie die zuletzt sehr negative Entwicklung bei Ihrem Heimatverein Hertha BSC?
Samardzic: Hertha ist und bleibt meine Heimat, dort hat alles angefangen. Ein paar meiner Jungs von früher sind noch da. Mit „Zecke“ Neuendorf ist auch mein größter Förderer aus Berliner Zeiten, der damals mitentscheidend dafür war, dass ich zu den Profis kam, ja wieder bei Hertha dabei. Dementsprechend tut auch mir der Abstieg sehr weh. Das mag vielleicht nicht für jeden Herthaner schön klingen, aber vielleicht bringt so ein Abstieg auch was Gutes mit sich. In dem Sinne, dass sich der Verein nochmal komplett neu sortieren kann, nachdem man die vergangenen Jahre nahezu konstant gegen den Abstieg gespielt hat. Das bringt auch immer wieder einen gewissen Stress mit sich.
SPORT1: Gelingt der direkte Wiederaufstieg?
Samardzic: Ich bin mir sicher, dass sie direkt wieder hochkommen. Da gehören sie auch hin, mit der Strahlkraft, der Jugendarbeit und einfach auch aufgrund der Stadt. Ich habe zuletzt gelesen, dass sie jetzt schon mehr Dauerkarten verkauft haben als letztes Jahr - und das trotz Abstieg. Das spricht für den Verein und das Umfeld!