Es gibt diese Szenen - dramatisch, meist tief in der Nachspielzeit -, die Teams rückblickend als Schlüsselmomente auf dem Weg zur Meisterschaft betrachten.
England feiert Tuchels Traum-Sechser
Genau eine solche Szene erlebte der FC Arsenal am Dienstagabend in der Premier League: Es lief die 97. Minute im Auswärtsspiel bei Aufsteiger Luton Town - einem undankbaren Gegner, der in der Tabelle weit unten steht, alles gegen den haushohen Favoriten hineinwarf und ihn bis weit in die Nachspielzeit bei einem Unentschieden hielt.
Doch dann schlug die Stunde von Declan Rice: Der 24 Jahre alte defensive Mittelfeldspieler der Gunners rannte in den Strafraum, wo er sonst eher selten zu finden ist, stieg nach einer Flanke mustergültig nach oben, setzte sich im Kopfballduell durch und nickte zum 4:3 ein. Danach war Schluss.
Declan Rice ist der teuerste Engländer aller Zeiten
Ekstase bei Arsenal, Ernüchterung bei Luton Town! Und ganz England feiert Rice, der im Sommer für eine Rekordablösesumme von umgerechnet 122 Millionen Euro von West Ham United zu den Gunners gewechselt war. Als teuerster Engländer der Geschichte.
Nicht nur in Zeitungen und sozialen Medien wird Rice hochgejubelt, wo etwa der User „Rory Talks Football“ auf X, ehemals Twitter, schreibt: „Große Spieler stehen in großen Momenten auf. Declan Rice macht es sich zur Gewohnheit.“ Transfer-Guru Fabrizio Romano findet: „Fantastischer Spieler. Fantastischer Anführer. Fantastische Unterzeichnung. Declan Rice. Unbezahlbar.“
Die Daily Mail schrieb: „Große Spieler mit großen Persönlichkeiten leisten ihren Beitrag in Schlüsselmomenten von Schlüsselspielen.“ Die Sun bewertete die Leistung des Arsenal-Stars wie folgt: „Er erledigte seine Aufgabe in aller Ruhe - er unterbrach das Spiel, wenn es nötig war, und ließ sich manchmal tief fallen, um Vorstöße nach vorne zu starten.“
Selbst die Kritiker, die damals daran zweifelten, dass Rice eine derart hohe Ablösesumme wert wäre, dürften so langsam verstummen.
Denn für den Defensiv-Star könnte es mit dem FC Arsenal kaum besser laufen. In der Champions League sind die Gunners vor dem letzten Gruppenspiel bereits als Tabellenerster für das Achtelfinale qualifiziert, haben vier ihrer fünf Spiele gewonnen, dabei insgesamt nur drei Gegentore kassiert. In der Premier League holte das Team, für das auch DFB-Star Kai Havertz aufläuft und ebenfalls gegen Luton Town traf, 11 Siege aus 15 Spielen. So steht Arsenal nun souverän auf der Spitzenposition. Zumal der große Favorit Manchester City am Mittwoch einmal mehr patzte.
Ist Rice das fehlende Puzzlestück zum Meistertitel?
Blieb Arsenal am Ende der vergangenen Saison letztlich doch noch fünf Punkte hinter den Citizens zurück und verpasste die Meisterschaft, so trauen viele Experten den Londonern in der laufenden Spielzeit den ganz großen Coup zu: Zum ersten Mal seit 2004 könnten sie die Meisterschaft wieder gewinnen. Schließlich spricht mit Declan Rice nun ein entscheidender Faktor für Arsenal. Er könnte das Puzzlestück sein, das bislang zum Titel fehlte.
Arsenal-Coach Mikel Arteta schwärmte auf der Pressekonferenz nach dem Luton-Spiel von seinem Defensiv-Mann: „Er hatte wieder ein unglaubliches Spiel“, sagte der Spanier. „Die Führung, die Qualität, die er jede Woche und jedes Spiel gezeigt hat – er wird immer besser und besser. Und dann hat er einfach diese Fähigkeit, wenn er in den Eckball geht, den Ball ins Netz zu befördern.“
Tatsächlich war der 4:3-Siegtreffer von Rice am Dienstag nicht sein erstes wichtiges Tor. So steuerte der englische Nationalspieler jüngst auch in der 96. Minute gegen Manchester United die 2:1-Führung bei (am Ende hieß es sogar noch 3:1) - und war mit seinem 1:2-Anschlusstreffer auch maßgeblich daran beteiligt, dass seine Gunners das Spiel gegen den FC Chelsea sehr spät in ein Remis ummünzten (Endstand: 2:2).
Bayern-Coach Thomas Tuchel wollte Rice unbedingt
Doch vor allem überzeugt der 24-Jährige bislang mit seinen Defensivqualitäten: Er hat starke Zweikampfwerte - ist sich auch für eine gelegentliche Grätsche nicht zu schade, fängt viele Pässe ab und stopft die Lücken in der Defensive. Mit einer hohen Passquote verteilt er zudem die Bälle im Spielaufbau.
All das hatte sich auch Bayern-Trainer Thomas Tuchel gewünscht, der Rice im Sommer unbedingt zum Rekordmeister holen wollte. Er war sein ausgesprochener Wunschspieler im defensiven Mittelfeld, die fehlende Ergänzung zu Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Co.
Der FC Bayern war erst aus dem Rice-Poker ausgestiegen als klar wurde, dass dieser ohnehin lieber beim FC Arsenal spielen will. Dazu wollte sich der Klub nicht auf eine Summe von über 100 Millionen Euro einlassen.
Rice? Tuchel zeigte sich wehmütig
Noch Mitte Juli zeigte sich Tuchel dennoch wehmütig, dass der Transfer des Spielers, den er auch schon als Chelsea-Trainer verpflichten wollte, nicht geglückt war, „Er hat ein Profil, das wir meiner Meinung nach so nicht im Kader haben“, sagte der Bayern-Coach damals über Rice.
„Es könnte eine interessante Ergänzung unseres Kaders sein, einen Spieler dieses Profils zu haben“, fügte Tuchel noch hinzu. „Wir brauchen eine gewisse Qualität und Persönlichkeit, um unseren Kader noch stärker zu machen, da gibt es nicht so viele. Rice ist jetzt zu Arsenal gewechselt, das ist auch okay. Guter Spieler, guter Klub - so ist es nun mal.“
Dass Rice beim FC Arsenal auf Anhieb so gut funktioniert, dürfte zumindest Tuchel also nicht überraschen.
Als der englische Nationalspieler nach seinem 4:3-Siegtreffer am Mikrofon bei NBC Sports gefragt wurde, wie ihm die schnelle Umstellung auf das Spiel der Gunners gelungen sei und warum er bereits einen derart großen Einfluss auf das Team habe, sagte er selbstbewusst: „Ich habe immer an meine Fähigkeiten geglaubt. Als ich bei Arsenal unterschrieben habe, war ich völlig zuversichtlich, dass ich hierherkommen und auf einem wirklich hohen Niveau Leistung erbringen könnte.“
Rice: „Haben die Einstellung, niemals aufzugeben“
Doch er warnte auch: „Aber es geht auch darum, einen kühlen Kopf zu bewahren, konzentriert zu bleiben und mit den Füßen nicht vom Boden abzuheben.“
Warum es im Vergleich zur vergangenen Saison nun zum Titel reichen sollte? „In dieser Saison haben wir die Einstellung, niemals aufzugeben, dass wir weiter Druck machen und bis zum Ende kämpfen“, so Rice. Das sehe man schließlich auch am bereits fünften Tor, das die Gunners in dieser Saison in der Nachspielzeit erzielt hätten.
Ob die Londoner nach genau 20 Jahren am Ende der Saison tatsächlich wieder die Meisterschaft feiern können? Mit einem Declan Rice in dieser Form erscheint es nicht unmöglich.