Die Nachwehen im englischen Fußball sind riesig. Das 1:4 der Tottenham Hotspur im heimischen Stadion gegen den FC Chelsea, von der englischen Sun als „das verrückteste Spiel aller Zeiten“ betitelt, hatte nahezu alles zu bieten.
VAR-Wahnsinn! „Es ist eine Schande“
Horrende Nachspielzeiten (insgesamt dauerte die Partie über 111 Minuten), Rote Karten, Tore, Elfmeter – aber eben auch unzählige VAR-Checks. Der BBC zufolge gleich neun an der Zahl. Die Unterbrechungen durch den Videoschiedsrichter nahmen dieser absurden Partie teils den Spielfluss – und hoben die Diskussion über die Schiedsrichter-Absicherung auf eine neue Ebene.
Spurs-Coach: „Bin mit Angst vor Schiedsrichtern aufgewachsen“
„Sie (die Schiedsrichter; Anm. d. Red.) haben irgendwann gar keine Autorität mehr, das wird alles weniger. Wir werden unter der Kontrolle von jemandem sein, der ein paar Meilen weiter weg auf einen TV-Bildschirm schaut“, feuerte Spurs-Coach Ange Postecoglou nach der ersten Liganiederlage der Saison am Sky-Mikrofon gegen die Entwicklung des VAR-Einsatzes.
Zwar habe er den gebührenden Respekt vor den Unparteiischen, so sei der 58-Jährige erzogen worden („Ich bin mit der Angst vor Schiedsrichtern aufgewachsen, als wären sie Polizisten. Ich bin von der alten Schule.“) - doch es sei eine Fehlentwicklung, wenn der Spielfluss derart massiv gestört würde.
„Ich möchte, dass meine Mannschaft schnellen, offensiven, temporeichen Fußball spielt, bei dem es um alles geht. Wenn wir eine Rote Karte und einen Elfmeter gegen uns bekommen, was soll‘s? Aber wir müssen zwei Minuten lang herumstehen, um herauszufinden, ob jemand im Abseits stand oder nicht“, so der Grieche.
„Lasst den Linienrichter die Entscheidung treffen. Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als im Zweifel für den Angreifer entschieden wurde? Damit haben wir alle gelebt. Das Spiel ist nicht zusammengebrochen. Aber ich bin ein alter Mann, der die Wolken anschreit“, ärgerte er sich weiter.
Eine harsche Kritik an der Obrigkeit des internationalen Fußball-Schiedsgerichtes und der für den VAR stimmenden Verbände!
Doppelpass-Diskussion über VAR: „Müssen Fehler minimieren“
Auch im SPORT1-Doppelpass war der Videoschiedsrichter am Sonntag Thema. Der Sportliche Leiter der Bundesliga-Schiedsrichter, Peter Sippel, sah sich mit Vorwürfen über falsch getroffene Entscheidungen konfrontiert – und machte den Kritikern ein Zugeständnis.
„Eine Woche ist jemand Schiedsrichter, in der anderen dann Videoassistent. Vielleicht muss man da Spezialisten schaffen“, räumte Sippel ein: „Es ist ein Thema, was menschlich ist. Man hat gedacht, wir sind durch den Videoassistenten auf einer Ebene, wonach man durch Ansicht der Bilder auf eine einheitliche Linie kommt. Aber am Ende sind es doch wieder Menschen vor den Bildschirmen. Wir müssen Fehler minimieren.“
England-VAR wurde sogar schon gesperrt
Fehler, die folgenschwer sein können! So war beim Tottenham-Spiel der Engländer John Brooks als Video-Schiedsrichter im Einsatz - ebenjener wurde im Februar bereits vom Ligaverband für zwei Partien gesperrt, nachdem er eine spielentscheidende Fehlentscheidung gefällt hatte.
Arsenal-Coach Mikel Arteta musste am Samstag ebenfalls eine (von insgesamt drei) folgenschwere VAR-Entscheidung zu Ungunsten seines Teams hinnehmen.
„Es ist eine Schande. Es ist peinlich. So fühle ich mich und so fühlt sich jeder in der Kabine“, sagte der Spanier nach der 0:1-Niederlage bei Newcastle United, dem heutigen CL-Gegner von Borussia Dortmund (ab 18.45 Uhr im SPORT1-Liveticker).
Eine VAR-Überprüfung pro 15 Minuten? Arteta wütet
Eine derart schwere Fehlentscheidung, die den Klub gar dazu veranlasste, ein kollektives Statement gen Ligaführung zu senden: „Die Premier League ist die beste Liga der Welt. Mit den besten Spielern, Trainern und Fans. Jeder verdient etwas Besseres.“
Wie der Liga-Alltag nach einem derart horrenden VAR-Wochenende weitermachen könne?
Während sich Fußball-Experte Gary Neville bei Tottenham über eine „verrückte Nacht von Anfang bis Ende“ freute, blieb Arsenals Arteta der Mund offenstehen: „Sie können nicht verstehen, wie verärgert wir sind. So kann es nicht weitergehen. Es ist peinlich, es tut mir leid, aber es ist peinlich.“
Fest steht: 12 VAR-Überprüfungen in zwei Premier-League-Spielen (im Schnitt einer pro 15 Minuten) sind dem Spielfluss nicht zwingend förderlich - und minimieren ebenso wenig das Ausmaß der Folgediskussion.