Es ist ziemlich genau fünf Monate her, dass Thiago Alcantara auf dem Fußballplatz einen echten Glücksmoment erlebte. Am 26. April feierte der Spanier mit dem FC Liverpool einen knappen Sieg über West Ham United, den das Mittelfeld-Ass beinahe noch ungewollt vereitelt hätte.
Was ist eigentlich mit Thiago los?
Kurz vor Abpfiff blockte Thiago einen Schuss im Strafraum bei einer Grätsche unübersehbar mit dem Arm, doch die Pfeife des Schiedsrichters blieb stumm. Die Reds durften feiern und Thiago bejubelte einen erfolgreichen Kurzeinsatz.
Zumindest für einen Augenblick, denn wenig später wurde der ehemalige Bayern-Spieler von einer traurigen Realität eingeholt. Wie schon so häufig seit seiner Ankunft in Liverpool streikte der Körper: Nach dem Sieg in London musste Thiago unters Messer, eine Operation an der Hüfte bedeutete das Saison-Aus.
Thiago verschwindet von der Bildfläche
Das Mittelfeld-Genie verschwand einmal mehr von der Bildfläche, das Verletzungspech verfolgt ihn Zeit seiner Karriere. In seinen ersten drei Liverpool-Spielzeiten absolvierte Thiago 97 Partien, 168 Pflichtspieleinsätze wären theoretisch möglich gewesen. Mittlerweile befindet er sich in seinem vierten und letzten Vertragsjahr beim LFC. Reha und Aufbautraining dominieren seinen Alltag.
Anfang September verkündete sein Trainer Jürgen Klopp, dass Thiago einen Rückschlag erlitten habe und langsamer machen müsse. Und während der Hochbegabte sich einmal mehr herankämpfte, startete seine Mannschaft nach einem extrem enttäuschenden Jahr voll durch.
Mit einem personell wie taktisch komplett umgebauten Mittelfeld marschierte Liverpool ungeschlagen durch die ersten sechs Spiele der Premier League, thront auf Platz zwei hinter Titelverteidiger Manchester City. Thiago, der nach seinem Triple-Gewinn mit den Bayern 2020 als einer der begabtesten Mittelfeldspieler Europas zu den Reds kam, geriet in Vergessenheit.
Klopp hatte im Sommer mit Dominik Szoboszlai, Alexis Mac Allister, Ryan Gravenberch und Wataru Endo vier Spieler fürs Zentrum geholt. Zusammen mit den Jungstars Stefan Bajcetic, Curtis Jones und Harvey Elliott bilden sie das neue Gesicht im Mittelfeld.
Hat Klopp überhaupt noch einen Platz für Thiago?
Thiago ist nach zahlreichen Abgängen (Fabinho, Jordan Henderson, Naby Keita, James Milner und Alex Oxlade Chamberlain) der letzte verbliebene Altstar im Klopp-Mittelfeld. Und die große Frage ist: Findet er in der Phalanx der jungen Wilden um ihn herum nochmal seinen Platz?
Das Portal Liverpool.com titelte zuletzt: „Liverpool hat seinen Thiago-Nachfolger bereits verpflichtet“. Die Rede war von Szoboszlai, der nach seinem Wechsel von RB Leipzig direkt eine tragende Rolle im Spiel der Reds antrat - und dabei überzeugte.
Szoboszlai spielt dabei meist einen offensiven Achter auf der halblinken Seite - die Position, die Thiago wohl noch am ehesten liegen würde. Der defensive Part im Mittelfeld wird meist von Mac Allister, Endo oder auch dem einkippenden Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold übernommen.
Wohin also mit Thiago, der ein Spiel an guten Tagen mit seinen zeitlos schönen Pässen diktieren kann wie kaum ein anderer? Wechselgerüchte gab es im Sommer so manche um den Hochbegabten, Saudi-Arabien und die Türkei sollen gelockt haben, auch die Ex-Klubs Bayern und Barcelona wurden genannt. Thiago, so schrieb es unter anderem der Transferexperte Fabrizio Romano, bestand auf einen Verbleib in Liverpool.
Klopps neuer Luxusspieler?
Aktuell kommt er einem Kaderplatz wieder näher. Für Klopp könnte Thiago zu einer Art „Luxusspieler“ werden (er soll zu den Topverdienern im Team gehören), der zum Beispiel immer dann zum Einsatz kommt, wenn ein tiefstehender Gegner mit brillantem Passspiel seziert werden muss. Erfüllt Thiago, der laut Klopp auch als erfahrener Anführer in der Kabine wichtig ist, eine solche Rolle, könnte sein Vertrag auch noch verlängert werden.
Ein fitter Thiago kann wohl jedem Team in Europa noch etwas geben, die Mentalität eines Siegers hat er. Sein ehemaliger Bayern-Trainer Pep Guardiola (“Thiago - oder nix“) nannte den Künstler mit dem Kämpferherz einst „furchtlos“. Selbstzweifel oder Angst nach einer langen Verletzungspause? Gab es bei Thiago nie.
Und auch die Meinung, dass er angeblich nicht ins Liverpool-System passe (TV-Experte und Ex-Liverpool-Profi Dietmar Hamann lässt grüßen), hat ihn bisher nicht gestoppt. Thiago ist taktisch bestens geschult, er könnte sich auch an die etwas abgeänderte Spielweise des LFC anpassen. Und im vergangenen Jahr war er in der ersten Saisonhälfte noch Stammspieler.
Die nächsten Monate werden zeigen, wo die Reise des Ballstreichlers hingeht. Die Gerüchte um eine Rückkehr zu Barca, wo Spieler mit auslaufenden Verträgen aus finanziellen Gründen derzeit ganz besonders genau unter die Lupe genommen werden (müssen), halten sich hartnäckig.
Ein Comeback beim FC Bayern wäre der Wunschtraum vieler Fans, die Münchner suchen aber eigentlich einen anderen Spielertyp für ihre Schaltzentrale. Zu gönnen wäre Thiago, dass er schon bald wieder Glücksmomente auf dem Platz erlebt.