Der 23. März 2023 sollte in die Historie des englischen Fußballs eingehen, man könnte ihn wohl den „Harry-Kane-Tag“ taufen.
„Er will sein wie Lewandowski“
Mit seinem 54. Länderspieltor für die Three Lions stieg der 29-Jährige zum erfolgreichsten Torschützen im Mutterland des Fußballs auf - übertrumpfte Wayne Rooney ausgerechnet mit einem Elfmetertor.
Besonders tiefgehende Einblicke in das Leben des Harry Kane hat der ehemalige Fußballchef des englischen Mirror, Harry Harris, in seinem Mitte Juni erschienenen Buch über die besten Torschützen der Premier-League-Historie gewonnen.
Der Journalist widmete dem 29-Jährigen gar ein Viertel seiner schriftlichen Memoiren - und wartete dabei mit spannenden Details auf.
Überzeugt der britische Premierminister Kane vom England-Verbleib?
So offenbarte Harris, dass der erst im Oktober zum Premierminister des Vereinigten Königreichs berufene Rishi Sunak Kane zum Rekord gratulierte - und ihm in wahrer Manier eines Journalisten seine Zukunftspläne entlocken wollte: „Ich weiß, dass du sehr bescheiden sein wirst, wenn man bedenkt, wie jung du bist, aber du hast den Torrekord der Premier League im Visier, oder?“
Wohl mit einem Augenzwinkern versehen, wirkt die Nachfrage aufgrund der ungeklärten Zukunftssituation durchaus plausibel. Mit 213 Toren liegt Kane nämlich als bester aktiver Spieler nur noch hinter dem legendären Alan Shearer, der die Liste mit 260 Treffern anführt.
„Ja es würde mich auf jeden Fall reizen. Wissen Sie, ich rücke näher heran, also ist es etwas, was ich auch definitiv erreichen will“, ließ Kane durchschimmern, nur um politisch korrekt nachzuschieben: „Es kann aber viel passieren im Fußball, ich versuche, nicht zu weit in die Zukunft zu blicken.“
Oftmals klingt im Profifußball so das erste Indiz für einen Wechsel, nicht zuletzt bei Dominik Szoboszlai, der im SPORT1-Interview vor dem Pokalfinale noch ähnliche Aussagen tätigte, ehe er nun zum FC Liverpool wechselte.
Sich selbst bezeichnet Sunak als „massiven Fußball-Fan“, Kane beschreibt der Premier als „phänomenales Vorbild“. Fast wirke es so, als offenbarte Harris ein staatliches Anliegen, den besten englischen Torschützen auch im eigenen Land zu behalten - und nicht an den FC Bayern zu verlieren.
Kane schoss mit sechs Jahren „wie ein Elfjähriger“
Fast wäre es ohnehin nicht so weit gekommen. Einst stellte sich Kane bei den Ridgeway Rovers, übrigens auch der Kindheitsverein von David Beckham, im Alter von sechs Jahren ins Tor.
Sein Trainer Dave Bricknell aber erkannte das Talent des Jungen und machte ihn kurzerhand zum Stürmer: „Er konnte spielen. Er war schon in jungen Jahren sehr, sehr gut. Selbst im Alter von sechs Jahren konnte er einen Ball schießen wie ein Elfjähriger.“
Auch ein ehemaliger Teamkamerad erinnerte sich an eine Anekdote am Rande eines Londoner Jugendturniers, die von der Fähigkeit Kanes zeugte: „Ich erinnere mich, dass wir im London Cup mit 1:5 hinten lagen, dann hat Harry fünf Tore geschossen und wir waren weiter.“
Die Arbeitsmoral Kanes bildete sich schon in jungen Jahren, wie sein ehemaliger Sportlehrer Mark Leadon offenbarte: „Er war keine Primadonna, manche Schüler denken, sie seien besser als andere. Aber er nicht. Er wollte immer seine Duftmarke hinterlassen, auch in jungem Alter konnte man beobachten, wie erfolgsorientiert er war.“
Andere wiederum trauten Kane die Weltkarriere nicht zu. Tottenhams U18-Coach Alex Inglethorpe erinnert sich in dem Buch an die damalige Zeit, als Kane 13 Jahre alt war.
„Ich würde gerne sagen, dass er der Goldmedaillengewinner in der Gruppe war und dass wir alle erkannt haben, dass er der fantastische Spieler sein würde - aber das wäre eine Lüge. Er war wahrscheinlich nicht einmal auf dem Podium“, verriet der Fußballlehrer.
Aber Kane unterschrieb im Alter von nur 16 Jahren ein Stipendium an der Fußballschule der White Hart Lane, entwickelte sich in vier Leihjahren in unterklassigen Ligen und verblüffte selbst nach dem Training noch seine Teamkollegen.
„Ich saß immer neben Harry in der Umkleidekabine“, wird der ehemalige Millwall-Verteidiger und Kane-Mitspieler Darren Ward in dem Buch zitiert, „jeden Tag nach dem Training saß er auf seinem Platz und blieb einfach da. Du denkst: ‚Was macht er da? Was schaut er an?‘“
Rooney: „Er möchte wie Lewandowski sein“
Und weiter: „Er hat sich eine Zeit lang nicht bewegt. Eines Tages fragte ihn jemand: „Was machst du da, Harry? Und er antwortete: ‚Ich denke nur darüber nach, was ich im Training verbessern kann, wie es gelaufen ist, was richtig war und was nicht.‘“
Und Kanes Plan schien aufzugehen. Nach nur 79 Sekunden traf er in seinem Länderspiel-Debüt, holte sich mehrmals die Torjägerkrone in der wohl bekanntesten Liga der Welt. Und nun?
Steven Gerrard sagte jüngst zu Channel 4: „“Ich war selbst schon an dem Punkt, an dem man sich fragt: Ist mein Team gut genug, um mir die Titel zu holen? Werde ich in meiner Karriere das erreichen, was ich erreichen will?‘“ Und so steht auch Kane, der mit Tottenhams leerer Titel-Vitrine wohl nicht zufrieden sein dürfte, vor dieser Entscheidung.
Schenkt man Harry Harris‘ Buch Glauben - oder eher einem darin versteckten Zitat von Wayne Rooney, die Entscheidung des Star-Stürmers wäre wohl klar.
„Er möchte wie der Pole Robert Lewandowski sein, eine Tormaschine, die mit Mitte 30 immer noch ganz oben steht“, sagte Rooney einst. Und Lewandowski spielte nun einmal bei den Bayern.