Nach zwölf Jahren im Verein und acht Jahren als Kapitän verlässt Jordan Henderson den FC Liverpool. Der 33-Jährige, dessen Vertrag an der Anfield Road noch bis 2025 lief, trainierte am Mittwoch bereits mit seinem neuen Klub Al-Ettifaq. Hendersons neuer Trainer in der Saudi Pro League wird Steven Gerrard, eine weitere Liverpool-Legende.
Liverpool-Legende am Pranger
Gerrard und Henderson, die vielleicht bedeutendsten Reds der Neuzeit, ziehen ab in die Wüste. Zwei Publikumslieblinge der englischen Arbeiterstadt kassieren in einem Autokraten-Staat ab.
Der Liverpool-Kosmos reagiert höchst aufgewühlt - und auch von anderer Seite hagelt es Kritik. SPORT1 hat Reaktionen zum Henderson-Wechsel nach Saudi-Arabien gesammelt.
Pressestimmen zum Henderson-Transfer
The Independent: „Jordan Henderson riskiert, sein Vermächtnis in Liverpool zu trüben, nachdem seine Karriere auf dem Triumph seines Charakters aufgebaut war.“
Sky News UK: „Henderson, der ein lautstarker Verbündeter der LGBT-Gemeinschaft im Fußball war, spielt nun in einem Golfstaat, in dem Homosexualität mit dem Tod bestraft wird.“
The Observer: „Die Saudis brauchen das Geld, das im modernen Sport fließt, nicht, aber sie lechzen nach dem Ruhm. Das Sportswashing verführt Spieler und Ligen - und ihre eigentlich Adressaten: die politischen Entscheidungsträger.“
Liverpool Echo: „Jordan Henderson muss sich vor seinem Transfer nach Saudi-Arabien der brutalen Frage nach seinem Liverpooler Vermächtnis stellen.“
The Athletic: „Jordan Hendersons möglicher Wechsel nach Saudi-Arabien ist nicht nur aus Gründen der Heuchelei von Bedeutung.“
Pink News: „LGBTQ-Fans weisen Jordan Hendersons frühere Verbundenheit zurück.“
Experten-Kritik an Liverpool-Legende
Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger (via Twitter): „Jordan Henderson bekommt also endlich seinen Wechsel nach Saudi-Arabien. Schön für ihn, er kann spielen, wo er will. Ich bin allerdings neugierig, wie die neue Marke JH aussehen wird. Die alte Marke ist tot! Eine Zeit lang habe ich geglaubt, dass seine Unterstützung für die LGBTQ-Gemeinschaft echt sein würde. Wie dumm von mir ...“
Der ehemalige Liverpool-Spieler Jose Enrique (bei Grosvenor Sport): „Ich weiß nicht genau, wie viel Henderson verdienen wird, aber es sollen etwa 40 Millionen Pfund pro Jahr sein. Sie werden ihm also in einem Jahr mehr zahlen, als er in seiner gesamten Karriere verdient hat. Er hat mit Liverpool jede einzelne Trophäe gewonnen, es stimmt, dass er vielleicht nicht mehr für England spielen wird, aber er hat viele Spiele für England bestritten, also würde ich den gleichen Schritt gehen. Wenn Henderson mich direkt gefragt hätte, hätte ich ihm gesagt, dass er dahin wechseln soll.“
Liverpool-Vereinslegende Graeme Souness (bei Sky Bet): „Er ist ein Verbündeter der LGBTQ-Gemeinschaft und Unterstützer von Rainbow Laces. Und dann geht er nach Saudi-Arabien! Ich denke, das wird zweifellos seinem Vermächtnis schaden.“
Liverpool-Legende Jamie Carragher (via Twitter): „Das Geld ist schwer abzulehnen, deshalb hat es kaum jemand getan. Er war ein großer Diener und Spieler des FC Liverpool. Er wird Kritik einstecken müssen, weil er in der Vergangenheit viel Lob für seine Haltung zu LGBTQ+-Menschen bekommen hat. Er ist kein Spieler im besten Fußballer-Alter, aber es ist ein großes Statement, den Liverpooler Kapitän in die saudische Liga zu holen.“
„Ich habe niemanden dafür kritisiert, dass er für Geld dorthin geht. Mein ursprünglicher Tweet bezog sich darauf, dass die Saudis versuchen, den Fußball zu übernehmen, und ich weiß nicht, wie das aufhört, denn niemand lehnt das Geld ab. Aber wenn Spieler in ihrer besten Zeit gehen und den CL-/Europafußball verpassen, ist das für mich ein großes Problem für den Fußball.“
Fanklubs enttäuscht von Henderson
Kop Outs, eine Vereinigung aus LGBTQ-Liverpool-Fanklubs (via Twitter): „Kop Outs hat die von Jordan Henderson gezeigte Verbundenheit sehr geschätzt. Wir sind entsetzt und besorgt, dass jemand in Erwägung ziehen könnte, für eine Sportswashing-Aktion eines Staates zu arbeiten, in dem Frauen und LGBT+-Menschen unterdrückt werden und der regelmäßig die Liste der weltweit verhängten Todesurteile anführt. Gerrards Beteiligung an diesem Sportswashing ist besonders empörend, da er zuvor seinen Teamkollegen Robbie Rogers von LA Galaxy unterstützt hat (der sich 2013 als schwul geoutet hat).“
Three Lions Pride, offizieller LGBTQ-Fanklub der englischen Nationalmannschaft (via Twitter): „Unsere Freude für Herrn Henderson war groß, als er bei der EM gegen die Ukraine mit seinen ‚glücksbringenden‘ Regenbogenschnürsenkeln ein Tor erzielte. Wir haben seine Freundlichkeit gegenüber der LGBTQ-Fußballgemeinde sehr geschätzt. Wir widmeten ihm damals ein Banner. Auch, um an die niedrige Messlatte zu erinnern, die er erreicht hatte, indem er sich offen für unser Recht einsetzte, England zu unterstützen und auf dem Fußball-Spielfeld sichtbar zu sein. Wenn die Gerüchte wahr sind, dann wird dieses Banner in den Trümmern der Geschichte verschwinden. Ein weiterer Niederschlag in unserem Kampf um Akzeptanz im Fußball.
Wir haben lange gesagt, dass wir den Titel ‚Verbündeter‘ für diejenigen, die die LGBT+-Gemeinschaft unterstützen, nicht mögen. ‚Verbündeter‘ ist ein Begriff, der sich leicht selbst zuschreiben lässt, mit wenigen oder gar keinen konkreten Handlungen, und der oft nur dann relevant wird, wenn es brenzlig wird oder das Eintreten für Inklusion persönliche Konsequenzen nach sich zieht. Queere Menschen haben nicht das Privileg, den Konsequenzen ihrer Existenz zu entgehen - den Schäden an unserer psychischen Gesundheit als Folge unserer Zeit vor dem Coming-Out, den Risiken für unsere Sicherheit oder unser Leben als Folge unserer Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und dem Ausschluss aus Räumen wie dem Fußball als Konsequenz unserer Identität.
Die wankelmütige Natur der LGBTQ-‘Verbündeten‘ wurde in der jüngeren Geschichte deutlich, als David Beckham für Katar warb. Dafür haben das Attitude Magazine und Joe Lycett ihm den Ehrentitel ‚Schwulen-Ikone‘ nachträglich aberkannt. Nun schaut die ganze Welt auf das Sportswashing und den wachsenden Einfluss der saudi-arabischen Liga. Einmal mehr zeigt sich, dass das Konzept der ‚Verbundenheit‘ mit uns und unserer Identität schwächer ist als ein hoher Gehaltsscheck. Die richtigen Worte zu sagen, wenn es leicht fällt, und sie zu verwerfen, wenn das Geld lockt oder die Zeiten schwierig werden, ist genau der Grund, warum der Begriff ‚Verbündeter‘ veraltet und unwirksam ist.
Machen Sie es besser. Seien Sie ein Verfechter der Gleichheit, unserer Rechte und der Integration. Champions kämpfen, wenn die Zeiten hart sind, sie verdienen sich diesen Titel mit ihrer Beharrlichkeit.
Unsere letzte Botschaft lautet: Wir gehen nicht weg. Wir sind hier und queer - und wir werden weiter daran arbeiten, den Fußball zu einem schönen Spiel für alle zu machen. Wir werden uns nicht mit der Zerbrechlichkeit der Verbündeten zufrieden geben. An alle in der Welt des Fußballs: Wer von euch wird die Handlungen ergreifen, um sich den Titel des Champions zu verdienen?“