Bloß ein Zufall?
Wird Nagelsmann zum Spurs-Retter?
Kaum war Julian Nagelsmann beim FC Bayern gefeuert, da trennte sich Tottenham plötzlich von Cheftrainer Antonio Conte.
Zwar kam das Conte-Aus nicht so überraschend wie das von Nagelsmann, jedoch sorgte es schnell für Spekulationen. Dabei kursierten die ersten Gerüchte bereits, als Conte noch im Amt war.
Unmittelbar nach den ersten Schlagzeilen zum Nagelsmann-Aus forderte bereits Ex-Spurs-Star Jamie O‘Hara, den bisherigen Bayern-Trainer nach London zu lotsen.
Und auch Tottenhams Vorstandsvorsitzender Daniel Levy scheint von der Idee begeistert zu sein. Wie englische Medien übereinstimmend berichten, soll Nagelsmann seine Wunschlösung für das neu zu besetzende Traineramt sein. Deswegen wolle Levy schnellstmöglich Kontakt aufnehmen, zumal Nagelsmann nicht abgeneigt sein soll.
Tottenham wollte Nagelsmann schon 2019
Kurios: Eigentlich war Thomas Tuchel Topkandidat bei den Spurs, sogar erste Gespräche hatten angeblich schon stattgefunden. Der ist nun jedoch in München tätig und mitverantwortlich dafür, dass die Dienste von Nagelmann wieder frei verfügbar sind. Letzterer soll zwar ebenfalls mit der Nachfolge von Carlo Ancelotti bei Real Madrid liebäugeln, bekundete aber in der Vergangenheit schon sein Interesse an der Premier League.
„Bei einem Top-Angebot würde ich auch in die Premier League wechseln“, verriet Nagelsmann 2020 dem MDR, damals noch Trainer von RB Leipzig. In einem Interview mit dem Telegraph verriet er ein Jahr später, „dass es ein großes Ziel sein könnte, eines Tages ein großer Manager in der Premier League zu sein, so wie Jürgen Klopp“.
Als der vor sieben Jahren nach Liverpool kam, fand er womöglich sogar einen größeren Scherbenhaufen vor als den, den Nagelsmann in Nord-London wieder zusammensetzen müsste.
Laut der englischen Times hatte Nagelsmann sogar schon einmal Kontakt zu Tottenham, entschied sich 2019 aber trotz Spurs-Interesse für RB Leipzig. Auch vor seinem Wechsel zum FC Bayern soll es noch einmal Kontakt gegeben haben.
Wäre der Schritt aus Sicht von Nagelsmann richtig?
Möglicherweise klappt es ja im nächsten Anlauf. Bis zum Saisonende, so kündigte es Tottenham in der Meldung zum Aus von Conte an, soll der bisherige Co-Trainer Cristian Stellini der Mann an der Seitenlinie sein.
Im Sommer könnte dann der Weg frei sein für Nagelsmann, der nach dem ebenso plötzlichen wie überraschenden Aus bei den Bayern ohnehin nicht unmittelbar an einem neuen Job interessiert wäre.
Aber wäre der Schritt aus seiner Sicht überhaupt sinnvoll?
Es wäre ein langfristiges Projekt, bei dem sich Nagelsmann wieder beweisen könnte - was er eigentlich überhaupt nicht muss. Immerhin müsste er sich nicht sorgen, wegen ausbleibender Titel vor die Tür gesetzt zu werden.
Denn den letzten Titel für die Spurs gab es 2007/08 - und das war auch nur der englische Ligapokal. „Silverware“, wie man in England zu Titeln sagt, scheint in Tottenham ein Fremdwort zu sein.
Nagelsmann könnte die Spurs also in eine erfolgreichere Ära führen. So wie einst Mauricio Pochettino, der das Team um Harry Kane und Heung-Min Son 2019 bis ins Champions-League-Finale führte. Auch aktuell bietet der Kader der Spurs genug Potenzial, um das Team zurechtzubiegen, wenn auch an einigen Stellschrauben gedreht werden müsste.
Nagelsmann könnte Spurs-Stars zurück in die Spur bringen
Mit Richarlison (kein Premier-League-Tor) und Son (sechs Premier-League-Tore) spielen zwei hochveranlagte Angreifer bislang weit unter ihren Möglichkeiten. Auch Dejan Kulusevski stellte in der Vergangenheit schon sein Potenzial unter Beweis, zeigte es diese Saison jedoch zu selten (zwei Liga-Tore).
Einzig Kane (21 Liga-Treffer) liefert diese Saison ab. Die Fähigkeiten des 30-Jährigen hätte Nagelsmann wohl auch gerne in München gehabt.
„Er ist ein brillanter Spieler, einer der besten Stürmer in der Welt. Einer von vielleicht zwei, drei Mittelstürmern, die diese Position wirklich spielen können“, hatte Nagelsmann von Kane geschwärmt - zum Ärger von Conte. „Das ist respektlos gegenüber dem anderen Verein“, wütete der Italiener damals.
Trotz der formschwachen Offensivstars um Son, Richarlison und Kulusevski ist Tottenhams größtes Problem jedoch die Defensive. Dort blieb der Kasten des aktuell verletzten Hugo Lloris nur selten sauber. Trotz eines defensiven 3-4-3-Systems fing sich Tottenham in 28 Liga-Spielen bereits 40 Gegentore. Lediglich fünf Teams (!) kassierten mehr Gegentreffer.
Und das, obwohl die Defensive eigentlich als das Prunkstück Contes gilt. „Ich mag es nicht, offen zu spielen und viel Platz zu lassen, und sechs, sieben oder acht Gegentore zu kassieren“, hatte er zuletzt seinen stark kritisierten Spielstil verteidigt.
Dreierketten-System könnte Nagelsmann entgegenkommen
Dass Nagelsmann gerne mit der Dreierkette experimentiert, hat man schon in München gesehen. Mit Pedro Porro verpflichteten die Spurs einen dafür eigentlich bestens geeigneten Schienenspieler für die rechte Seite, der bislang jedoch noch nicht eingeschlagen hat. Auf der linken Seite ließ Conte dort zuletzt entweder Ivan Perisic (eigentlich Flügel) und Ben Davies (eigentlich Verteidiger) auflaufen - hier ist noch Nachholbedarf.
Ähnlich sieht es in der Innenverteidigung aus, in der zumeist Weltmeister Cristian Romero, Clément Lenglet, Davinson Sánchez oder Eric Dier spielten. In der Zentrale davor sieht es wiederum besser aus: Dort war neben Mittelfeld-Motor Pierre-Emile Höjbjerg zuletzt Talent Oliver Skipp gesetzt, der für den verletzten Rodrigo Bentancur einsprang.
Natürlich ist der Tottenham-Kader nicht mit dem der Bayern zu vergleichen. Mit gut durchdachten Transfers sollten sich die größten Baustellen jedoch beheben lassen, zumal finanzielle Engpässe auch nicht auftreten sollten.
Das Projekt Tottenham könnte im Sommer also durchaus interessant für Nagelsmann sein. Die aktuelle Tabellensituation (Platz 4) ließe sogar noch eine Qualifikation für die Champions League zu.
Wenn sich mit Real Madrid, das Nagelsmann offenbar als potenziellen Nachfolger von Carlo Ancelotti sieht, nicht mehr ergibt, wagt der Deutsche vielleicht den Sprung nach England.
Dort könnte er, wie er es einst selbst sagte „eines Tages ein großer Manager sein, so wie Jürgen Klopp“.