Die meisten Zuschauer mussten sich an diesem regnerischen Abend an der Anfield Road die Augen reiben. Sieben Tore gegen Manchester United - wirklich sieben?
Anfang einer spektakulären Wende?
Die Anzeigetafel log nicht - und Jürgen Klopp hatte es wieder getan: ein ganzes Stadion in Ekstase zu versetzen. Vorausgegangen war ein rauschender Sieg des FC Liverpool, an dessen Ende die Frage steht: Alles nur ein Ausrutscher oder das Signal zur großen Aufholjagd?
Die Bilanz der vergangenen fünf Liga-Spiele liest sich zumindest wie eine ernsthafte Kehrtwende: Keine Niederlage, fünfmal zu Null, 13 Punkte bei 13:0 Toren.
Der FC Liverpool hat einen famosen Lauf in der Premier League hingelegt und nach einer schwächeren und unsteten Saison zur rechten Zeit den Powerboost-Knopf gedrückt und darf als Tabellenfünfter mit einem Spiel in der Hinterhand nun wieder von der direkten Champions-League-Qualifikation träumen.
„Die zweite Hälfte war verrückt. Wenn dann Fußball mal so Spaß macht wie heute, dann machst du auch mal sieben. Wir wissen, dass das ein Freak-Ergebnis ist. Es gab nicht so viele Dinge diese Saison, die wir zu feiern hatten. Das fühlt sich schonmal sehr gut an“, analysierte Klopp bei Sky Sports.
Der Meisterschaftszug ist bei 21 Zählern Rückstand auf Tabellenführer Arsenal zwar bereits abgefahren und nach dem frühzeitigen Aus im FA Cup und Carabao Cup haben die Reds auch „nur“ noch eine Titel-Chance.
Dennoch feiert die internationale Presse Klopps Mannschaft ab und spricht von der „Wiedergeburt“ Liverpools. Wendet sich das Blatt jetzt an der Anfield Road noch?
Die Gründe für Liverpools durchwachsene Saison
In den vergangenen sieben Spielzeiten waren die Reds unter Klopp bis auf die Premierensaison (Platz acht) immer unter den ersten vier: Vize-Meister, Dritter, Meister, Vize-Meister und je zweimal Vierter - gewannen mit Kloppo wettbewerbsübergreifend neun Titel.
Doch 2022/23 erwies sich bis dato als eine Saison zum Vergessen: Am 3. Spieltag war Liverpool sogar Tabellen-16. und pendelte fortan zwischen dem neunten und fünften Rang.
Die englischen Medien fragten sich: Geht die Klopp-Ära zu Ende? Und wenn ja, was aber waren die Gründe für diesen Absturz?
Verletzungssorgen, Mentalitätsprobleme, ungeklärte Personalfragen, unnötige Unentschieden sowie Niederlagen gegen kleinere Klubs wie Aufsteiger Nottingham (0:1), Leeds (1:2), Brentford (1:3), Brighton (0:3) und Wolverhampton (0:3).
In diesen Spielen wurde deutlich, dass sich Liverpool schwertat, wenn der Gegner unangenehm spielte, wenn er direkt auf den Füßen der Reds stand.
Reds-Aufschwung dank zurückgewonnener Stabilität
Diese liefen mit ihrem Power-Fußball immer wieder ins eigene Verderben, erspielten sich zwar genug Chancen, ließen aber die gewohnte Effizienz der vergangenen Jahre vermissen und fingen sich durch zu leichte Fehler zahlreiche Kontertore.
„Wenn Fabinho so spielt, dann verändert sich auch einfach viel. Das ist eine super wichtige Position“, erklärte Klopp nach der United-Demontage die Rolle seines Sechsers. „Die Defensive ist immer der Schlüssel für alles. Vorne haben wir einfach die Qualität. Aber du kannst nicht immer einem 0:2 hinterherlaufen.“
Gerade die zurückgewonnene Stabilität im defensiven Zentrum mit Virgil van Dijk, Ibrahima Konaté, der nach langwieriger Knieverletzung zu alter Stärke gefunden hat, und Fabinho ist DER Grund für Liverpools Aufschwung - ebenso die Heimstärke, die ein schlechteres Abschneiden in der Premier League verhindert hat.
An der Anfield Road holte die Klopp-Truppe 30 Punkte, während auswärts lediglich zwölf Zähler eingefahren werden konnten.
„Das Energielevel ist zurück. Die Resultate mit den Spielen ohne Gegentore haben uns sehr geholfen in den vergangenen Wochen. Das ist ein wichtiger Sieg, natürlich. Aber wir müssen uns weiter konzentrieren in den nächsten Wochen“, mahnte nichtsdestotrotz Kapitän Jordan Henderson.
„Anfield träumt von einem neuen Sturm-Trio“
Ein nicht zu unterschätzender Punkt ist auch die zurückgekehrte Spielfreude, wie Rekordmann Mo Salah bei Sky erklärte: „Wir genießen den Fußball wieder. Das müssen wir weiterhin machen. Wir müssen weiter gewinnen. Wir sind immer noch nicht dort, wo wir sein wollten. Wir brauchen nicht überselbstbewusst sein und demütig bleiben. Ich hoffe aber, dass uns das einen Push gibt.“
Ein Auswärtssieg gegen Tabellenschlusslicht und Aufsteiger Bournemouth am kommenden Wochenende könnte weiteren Auftrieb für die Aufholjagd in der Premier League, vor allem aber auch für das Rückspiel in der Königsklasse an 15. Februar gegen Real, geben.
Dabei kann Klopp insbesondere auf seinen neuen Traumsturm zählen: Salah, Sommer-Neuzugang Darwin Núñez und Winter-Einkauf Cody Gapko erinnern immer mehr an Liverpools Dreizack vergangener Tage, als der Ägypter mit Roberto Firmino und Bayern-Star Sadio Mané die gegnerischen Abwehrreihen schwindelig spielte.
Gegen Manchester trafen alle drei Top-Stürmer je zweimal, ehe der Ex-Hoffenheimer Firmino den Schlusspunkt zum 7:0 setzte, und schrieben damit Geschichte. Nach 1999 trafen erstmals wieder und zum erst vierten Mal in der Premier League je drei Stürmer eines Klubs doppelt.
Salah knackte derweil einen Klubrekord und schwang sich mit 129 Toren zum Liga-Rekordschützen der Reds auf. „Der Rekord ist in meinem Kopf, seitdem ich hier bin. Ihn dann hier zu brechen bei einem 7:0 gegen United, ist besonders“, sagte Salah.
Wunderdinge? Klopp warnt kommende Gegner
Kein Wunder, dass die spanische Zeitung AS danach schwärmte: „Liverpool sorgt wieder einmal für Momente, die an die besten Phasen der Klopp-Ära erinnerten. Anfield träumt von einem neuen Sturm-Trio, das in eine neue Ära leiten soll“.
Und die italienische Sportzeitung Gazetta dello Sport brachte es treffend auf den Punkt: „Im Regen von Anfield kehrt das wahre Liverpool zurück, das dominante der vergangenen Jahre - gerade als alle dachten, es verschwindet von der Bildfläche. Die Reds erteilen der Konkurrenz eine Lektion.“
Die Königlichen sollten im Achtelfinal-Rückspiel (Champions League: Real Madrid – FC Liverpool am 15. Februar ab 21 Uhr im LIVETICKER) trotz des 5:2-Erfolgs aus dem Hinspiel gewarnt sein, denn Klopp hat nicht selten bewiesen, dass er zu Wunderdingen fähig ist. Erst recht nach so einem famosen Lauf.
Ist Liverpool zurück in Top-Form? „Für heute kann man das auf jeden Fall konstatieren“, sagte der 55-Jährige und schickte eine vielsagende Botschaft an die kommenden Gegner: „So ein Spiel wirkt - natürlich - auf uns, aber vor allem auf die Konkurrenz!“