Vom aktuellen Champions-League-Sieger zum Vorgänger.
Ist Liverpool jetzt unschlagbar?
Der Wechsel Thiagos vom FC Bayern München zum FC Liverpool ist ein schmerzhafter Verlust für Hansi Flick. Für Jürgen Klopp könnte sich der mit etwa 30 Millionen Euro relativ preiswerte Deal jedoch als echter Glücksgriff erweisen.
Für Thiago selbst ist ein Abgang von den Bayern auf den ersten Blick betrachtet kein sportlicher Rückschritt, auch wenn der Rekordmeister in der vergangenen Saison das Nonplusultra im europäischen Fußball war.
Doch die Herausforderung, die der 29-Jährige annimmt, hat es in sich: Der Virtuose soll eine neue Facette ins überfallartige Spiel des englischen Meisters hineinbringen. Die größte Umstellung für den Spanier dürfte es sein, sich an das höhere Tempo der für viele Experten stärksten Liga der Welt zu gewöhnen. Auch die Zweikampfhärte auf der Insel ist intensiver als in Deutschland. (Service: Ergebnisse und Spielplan der Premier League)
Gelingt Thiago die Umstellung, ist das Liverpooler Mittelfeld sowohl in der Breite als auch in der qualitativen Spitze so gut aufgestellt, wie selten zuvor. Gerade anhand der eng getakteten Saison und der damit höheren Belastung für die Spieler kann das ein wertvoller Schlüssel sein. Zudem besitzen die Reds die Möglichkeit, ihre Aufstellung und damit auch ihr Spiel an den Gegner anzupassen.
SPORT1 nimmt das Mittelfeld des englischen Meisters unter die Lupe und zeigt, welche Rolle Thiago dort spielen kann.
Klopp bevorzugt anderes System als Flick
Im Gegensatz zu Flick schwört Klopp in Liverpool auf sein altbewährtes 4-3-3 mit einem Sechser und zwei Achtern. Flick setzt dagegen vor allem auf ein 4-2-3-1, bei dem Thiago einen Teil der defensiveren Doppelsechs bildete.
Klopps favorisierte Dreierreihe bestand in der vergangenen Saison aus Abräumer Fabinho, Kapitän Jordan Henderson und Georginio Wijnaldum, der im Zuge des Thiago-Wechsels mit dem FC Barcelona in Verbindung gebracht wurde. Der Niederländer bleibt jedoch an der Anfield Road.
Als weitere Optionen stehen mit Alex Oxlade-Chamberlain ein umgeschulter Flügelspieler, Routinier James Milner und der frühere Leipziger Naby Keita zur Verfügung.
Offen ist noch die Rolle von Marko Grujic. Der Serbe will sich nach zwei Leihjahren bei Hertha BSC in Liverpool durchsetzen, muss sich aber hintenanstellen. Der junge Curtis Jones, der beim Auftaktsieg gegen Leeds United eingewechselt wurde, soll langsam herangeführt werden.
Auf dem Papier ähnelt Klopps System dem von Flick, der 53-Jährige interpretiert dieses jedoch völlig anders. Beide sind zwar Fan des Gegenpressings, statt einem klassischen Ballbesitzspiel setzt der Welttrainer von 2019 allerdings auf überfallartige Konter.
Mittelfeld als Balancegeber
Tragende Rollen im Offensivspiel nehmen neben den drei Offensivspielern auch die Außenverteidiger ein. Trent Alexander-Arnold und Andrew Robertson gehören zu den besten Vorbereitern der Liga. Sie schalten sich entweder durch Vorstöße oder lange Pässe ins Angriffsspiel des Klubs an der Merseyside ein.
Obwohl das Mittelfeld bei den Reds nicht in erster Linie zur Kreation von Torchancen da ist, ist es einer der wichtigsten Bausteine von Klopp. Die drei Mittelfeldspieler sorgen durch geschickte Raumaufteilung für Absicherung und Balance des riskanten Spiels. Außerdem sind sie wichtige Pressing- und Umschaltinstrumente.
Gerade in diesen Punkten hat Thiago in den vergangenen Jahren dazugelernt. Er ist längst nicht mehr der Schönspieler, den Kritiker in ihm sehen. Er arbeitet für die Mannschaft und gewinnt wichtige Bälle.
Reines Umschaltspiel dürfte Liverpool langfristig nicht mehr genügen. Immer mehr Teams in der Premier League stellen sich gegen den Meister hinten rein, wie man in der abgelaufenen Spielzeit gesehen hat. Dass Liverpool diese tiefstehenden Gegner dann meist doch knackte, lag vor allem an zwei Dingen: Der individuellen Klasse der Angriffsreihe um Mohamed Salah und Sadio Mané sowie der Lufthoheit nach Standardsituation, insbesondere in Person von Virgil van Djik.
Einfacher wird es Liverpool in der kommenden Saison nicht haben. Klopp muss einen Mittelweg aus seinem schnellen Umschaltspiel und spielerischer Dominanz finden. Wenn er das schafft, ist der Champions-League-Sieger von 2019 kaum zu stoppen.
So könnte Liverpool mit Thiago spielen
Und genau hier kommt Thiago ins Spiel. Doch wie könnte ein Reds-Mittelfeld mit dem Ex-Münchner aussehen? Je nach Bedarf kann Thiago die Sechser- oder Achterposition bekleiden. Zusammen mit Henderson und Wijnaldum könnte er im defensiven Mittelfeld das Spiel ankurbeln und die Bälle verteilen.
Ist mehr Robustheit gefragt, kann Klopp seinen Neuzugang auf die Acht vorrücken lassen. Hinter Thiago könnte dann Fabinho das Zentrum dicht machen. Auch Henderson kann diese Position spielen. Thiago wiederum könnte dann seine Kreativität im Offensivspiel besser zur Geltung bringen.
In einigen Spielen ließ Klopp seine Mannschaft auch im 4-2-3-1 agieren, das Thiago aus Bayern-Zeiten bestens kennt. Dafür bräuchten die Reds allerdings einen Zehner, den es so im Kader nicht gibt. Roberto Firmino kann diese Position bekleiden, dann könnte Divock Origi ins Sturmzentrum rücken.
Auch Thiago kann diese Position durchaus spielen, ebenso wie Georgino Wijnaldum.
Was wird aus Keita?
Spannend wird die neue Rolle von Keita sein. Der 25 Jahre alte Profi aus Guinea kam 2018 für 60 Millionen Euro von RB Leipzig. Keita ist von der Veranlagung ein ähnlicher Spielertyp wie Thiago. Nachhaltig durchsetzen konnte er sich bei Klopp auch verletzungsbedingt bisher nicht. Die Ankunft Thiagos dürfte für ihn die Sache nicht einfacher machen.
Klopp hat zur kommenden Saison die Qual der Wahl im Mittelfeld. Sein Vorteil: Dadurch, dass kein Leistungsträger abgeben wurde, kann er Thiago in Ruhe an Liverpools Spielweise heranführen.
Wie wichtig Thiago für das Reds-Spiel der Zukunft sein wird, lässt sich womöglich bald sehen. Wie wichtig er für Flicks Bayern war, auch.