Es hört sich an wie ein Fußball-Märchen, doch Will Still lebt seinen Traum wahrhaftig und in vollen Zügen aus.
Ein völlig verrücktes Fußball-Märchen
Der 30-Jährige hat sich vom „Football Manager“-Spiel zum jüngsten Erstliga-Trainer in Europas Top-10-Ligen hochgearbeitet!
Der gebürtige Belgier mit englischen Wurzeln trainiert seit Oktober 2022 Stade Reims und hat den abstiegsbedrohten Ligue-1-Klub ins gesicherte Tabellenmittelfeld zurückgeführt. Am Samstagabend geht es nun zu Spitzenreiter PSG (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER)
Seit elf Spielen ist der französische Erstligist unter seiner Leitung ungeschlagen und steht in der Ligue 1 nach vier Siegen und fünf Remis nun auf dem zehnten Rang.
Zur Belohnung wurde Still vom Interimstrainer zum Chefcoach befördert. Seine Antwort darauf: „Völlig absurd!“ Doch der Reihe nach.
Still zockt Football Manager nächtelang durch
Der Coach mit den markant roten Haaren wurde 1992 in Braine-l‘Alleud, Belgien geboren, nachdem seine Eltern England zuvor verlassen hatten. In der Jugend spielte er für Sint-Truiden und Mons.
Zum Fußball-Profi reichte es aber nicht, weshalb Still 2011 auf die Insel zurückkehrte, um am Myerscough College in Preston eine Ausbildung zum Trainer zu beginnen. (NEWS: Alle News und Gerüchte vom Transfermarkt)
Seinen Schwerpunkt vom Fußballspielen auf das Trainieren zu verlagern, fasste er im Alter von 17 Jahren, weil ihn das „Football Manager“-Spiel als Teenager davon überzeugt hatte. Kurios, aber wahr.
Obgleich seine Eltern Videospiele verboten hatten, blieben er und sein Bruder Ed immer wieder am äußerst beliebten PC-Spiel hängen.
„Ich habe Nächte verbracht, in denen man um 22 Uhr denkt: ‚Ok, noch ein Spiel‘ - und dann ist es plötzlich 4 Uhr morgens und ich bin immer noch dabei, oh“, so Still laut Daily Mail: „Aber jetzt weiß ich, dass das Verrückte daran ist, dass es eigentlich so realistisch ist.“
Belgien - Preston, England - und zurück in die Heimat
„Meine erste Erfahrung als Trainer machte ich in der Akademie von Preston North End“, sagte Still kürzlich in einem Interview mit Coaches‘ Voice: Daran beteiligt zu sein, war fantastisch. Ich hatte vorher schon mit meinem Bruder in Belgien trainiert, aber nicht auf diesem Niveau. Diese Kinder sind wirklich gut! - dachte ich. Danach wusste ich, dass ich als Trainer arbeiten wollte.“
2014 kehrte er deshalb zurück nach Belgien und machte bei seinem Jugendklub Sint-Truiden ein unbezahltes Praktikum. Mit Erfolg.
Still wurde als Video-Analyst eingestellt und verbrachte nach und nach mehr Zeit auf dem Rasen und trainierte Spieler, da sein Trainerkollege Yannick Ferrera ihm die Chance dazu gegeben hatte.
Nach drei Jahren wechselte Still als Scout und Video-Analyst zu Lierse SK und wurde nach der Entlassung des Cheftrainers Frédéric Vanderbiest vom Vereinseigentümer überraschenderweise zum Interimscoach ernannt - mit gerade einmal 24 Jahren! (NEWS: Alles zum Transfermarkt im SPORT1-Transferticker)
Er führte daraufhin Lierse vom vorletzten auf den dritten Platz, musste aber trotz sieben Siegen in Serie bei einem Remis und einer Pleite im Dezember 2017 dem neuem Chefcoach David Colpaert weichen - und wurde sein Co-Trainer.
Zur Saison 2018/19 wechselte Still nach Beerschot, wo er drei Jahre lang als Assistent arbeitete, bevor er für kurze Zeit die Nummer eins war. Als der belgische Erstligist 2021 einen neuen Trainer holte, sah sich der damals 29-Jährige nach neuen Möglichkeiten um und wurde schließlich in Reims Co-Trainer von Óscar García.
Reims stellt Messi, Mbappé und Co. kalt
Im Nordosten Frankreichs bot sich am 10. Spieltag der Ligue 1 plötzlich eine unerwartete Gelegenheit: García verpasste die Partie gegen Paris Saint-Germain, weshalb der belgische Jung-Coach einspringen musste. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Ligue 1)
Während das Pariser Star-Ensemble bis dahin die Liga kurz und klein schoss und bis zum Reims-Duell 29 Tore erzielte, war gegen Stills Truppe in einer offensiven 4-2-3-1-Formation mit hohem und aggressivem Pressing kein Kraut gewachsen. Der Underdog erkämpfte sich ein verdientes und torloses Remis gegen die Weltstars aus der Hauptstadt.
„Ich glaube, wir haben sie bis zum Siedepunkt gereizt“, erinnerte sich Still. „Unser Plan? Sie unter Druck setzen, sie foulen, sie im Grunde bei der Stange packen. Sie nicht ausspielen lassen, Mbappé nicht den Raum geben, den er braucht ... sobald es ein kleines Foul gibt, einfach auf den Schiedsrichter zulaufen und es so laut wie möglich machen. Wir müssen sie so sehr ärgern, wie wir können“, erklärte er weiter.
Kein weiterer französischer Erstligist hielt gegen Lionel Messi, Kylian Mbappé, Neymar und Co. bis heute die Null - nur Reims! Eine solche Serie kann Stade Reims zwar nicht vorweisen, dennoch ist auch der aktuelle Lauf der Gäste ziemlich beeindruckend.
Denn sie sind seit dem 18. September 2022, also seit vier Monaten oder umgerechnet 13 Pflichtspielen, ungeschlagen. Am vergangenen Samstag gewannen Les Rogues et Blancs im Coupe de France bei Les Herbiers mit 3:0.
Still: „Ich würde es für lau machen!“
Der 30-jährige Still hat das flache Land im Nordosten Frankreichs im Nu erobert. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Ligue 1)
Konnte er vorher noch unbemerkt durch die Region spazieren, wird der Rotschopf jetzt in und um Reims, im Supermarkt, auf der Straße und überall mit Glückwünschen überhäuft. Sein Posteingang ist voll mit Nachrichten der Verehrung.
„Ich bin kein Fan des Rampenlichts und der Aufmerksamkeit, die mit dem Amt des Cheftrainers einhergeht“, gab er zu Verstehen. „Ich bin nicht sehr kontaktfreudig. Ich bin offen und entspannt im Umgang mit Menschen, die ich kenne, aber ich fühle mich nicht wohl dabei, zu viel Aufmerksamkeit zu bekommen.“
Vielmehr will Still einfach nur Trainer sein: „Aber wenn ich jeden Tag mit 26 Fußballern, die wirklich sehr, sehr gut sind, und drei Säcken voller Bälle auf dem Rasen stehen kann, dann bin ich glücklich. Ich würde es für lau machen! Es nun als Job zu machen, ist wirklich ein wahr gewordener Traum!“
Verein zahlt Strafe für jedes Spiel von Will Still
Auch wenn Will Still sogar ohne Lohn als Trainer arbeiten würden, schätzt Stade Reims seine Fähigkeiten sowie seine offene und ehrliche Kommunikation mit dem jungen Team, in dem er vom Alter selbst noch spielen könnte, sehr.
Denn für jedes Ligue-1-Spiel, wo der Belgier an der Seitenlinie steht, muss der französische Erstligist eine Strafe von 25.000 Euro in Kauf nehmen, da der 30 Jahre alte Trainer noch keine A-Lizenz hat, die aber verpflichtend ist.
„Der Verein sagte: Wir sind bereit, in deine Karriere zu investieren, solange du weiterhin gewinnst!“, so Still. Mehr Wertschätzung geht nicht.
Übrigens: Auch sein Bruder Ed Still ist mittlerweile Trainer beim belgischen Erstligisten KAS Eupen. Vielleicht ist das Spielen von „Football Manager“ doch nicht so schlecht, wie die Eltern zunächst dachten.