Egal ist Vinícius Júnior den wenigsten. Entweder er wird geliebt, fast schon vergöttert, wie von den Fans von Real Madrid, oder er wird mit Argwohn betrachtet, oft sogar gehasst, wie von vielen gegnerischen Fans. Gerade die Wellen des Hasses erreichen dabei oft Ausmaße, die die Grenze des guten Geschmacks
Der Unverbesserliche
Doch warum polarisiert der Brasilianer so sehr? Das letzte Spiel der Königlichen beim FC Valencia zeigte einen der Punkte deutlich auf, den viele Fußball-Fans an Vinicius stört.
Es lief die 79. Minute, als sich der Flügelstürmer einen bösen Ausraster leistete. Der Brasilianer ließ sich vom gegnerischen Torhüter Stole Dimitrievski provozieren, griff dem Keeper ins Gesicht und schubste ihn zu Boden. Der VAR griff ein und entschied auf Rot.
Was aber viele Fans fast noch mehr ärgerte, war die Theatralik mit der er auf seinen absolut berechtigten Platzverweis reagierte. Er tobte und wollte auf den Schiedsrichter und seine Gegenspieler loszugehen. Wäre seine Mitspieler nicht dazwischengegangen, wäre die Situation wohl noch mehr eskaliert.
Real spielt Situation herunter
Vinícius selbst entschuldigte sich wenig später auf X: „Entschuldigung und danke an das Team.“ Sein Verein nimmt den Übeltäter in Schutz, spricht öffentlich von einer Fehlentscheidung und will sogar gegen eine mögliche Sperre klagen.
„Es war keine Rote Karte gegen Vini. Wir werden Berufung einlegen. Der Keeper hat ihn geschubst und Vini hat reagiert. Es hätte Gelb für beide geben sollen“, erklärte Reals Trainer Carlo Ancelotti auf der PK nach dem Spiel.
Vor Reals Auftakt in der Copa del Rey bei Deportivo Minera (am Montag ab 19 Uhr im LIVETICKER) nahm Ancelotti seinen Spieler erneut in Schutz: „Ich denke, es ist schwierig, Vinícius zu sein. Ich stecke nicht in seiner Haut, doch es ist schwierig. Es ist schwierig, all das auszuhalten, was passiert ist und passiert. Es wird nicht so einfach sein. Aber er versucht sich zu verbessern. Er ist natürlich traurig über die Rote Karte und hat sich entschuldigt."
Auch eine mögliche Provokation von Vini Jr. in Richtung des vom Abstieg bedrohten FC Valencia sah Ancelotti nicht so eng: „Ich habe nicht gesehen, was er gemacht hat. Ich sehe, was passiert ist, was in den Stadien passiert. Er hat seine Einstellung sehr verbessert, kann das noch weiterhin tun. Aber niemand ist perfekt. Er arbeitet in dieser Hinsicht sehr, hat sich sehr gesteigert – und ist der beste Spieler der Welt.“
Vinícius oft blankem Hass ausgesetzt
Dass Real Madrid sich in solch klaren Situationen trotzdem vor den eigenen Spieler stellt, ist im Falle von Vinícius sogar verständlich. Der Brasilianer wurde in den vergangenen Jahren leider schon zu oft Opfer von Hass, der im Fußballstadion und nirgendwo in der Gesellschaft einen Platz haben darf.
Der 24-Jährige wurde in der Vergangenheit schon mehrfach rassistisch beleidigt. Einer der schlimmsten Vorfälle ereignete sich im Mai 2023 ausgerechnet in Valencia, also an dem Ort, wo Vinícius sich jetzt zur Tätlichkeit hinreißen ließ.
Bei Reals 0:1-Niederlage wurde der Brasilianer damals mehrfach und extrem lautstark von den Rängen beleidigt. Anschließend macht Vinícius seinem Ärger in den sozialen Netzwerken Luft: „Das war nicht das erste Mal, nicht das zweite und nicht das dritte Mal. „Rassismus ist in La Liga normal. Die Konkurrenz hält es für normal, der Verband hält es auch für normal und die Gegner fördern es. Ich bedauere das sehr.“
Völlig bedient war damals auch Carlo Ancelotti: „Solche Vorfälle gab es schon oft, aber so wie heute? Das ist noch nie passiert. Die spanische Liga hat ein ernsthaftes Problem und das ist nicht Vinícius. So kann kein Fußball gespielt werden.“
Vinícius sorgt mit unsportlichem Verhalten für Ärger
Es folgte eine weltweite Welle der Anteilnahme und des Mutzusprechens. Die rassistischen Anfeindungen wurden zurecht überall verurteilt und auch wegen seiner unglaublichen fußballerischen Fähigkeiten schien es so, als ob der Brasilianer doch in die Fußstapfen seiner beliebten Vorgänger wie Ronaldinho schlüpfen könnte.
Doch der 24-Jährige machte sich durch sein eigenes Verhalten immer wieder unbeliebt. Gerade seine Theatralik nach Foulspielen, das ewige Fordern von Karten für seine Gegenspieler oder das extrem provokante Tanzen direkt vor den gegnerischen Fans sorgt immer wieder für Ärger
Hinzu kommen kleine unsportliche Aktionen, die für viele den Eindruck hinterlassen, dass er die Gegenspieler nicht respektiert. Beispielhaft ist die Situation aus dem Champions-League-Halbfinale der vergangenen Saison, als der Brasilianer in der Schlussphase einen Ball mehrfach extra aus der Hand fallen ließ, obwohl ihm Joshua Kimmich diesen mehrfach direkt in die Hand gab.
Kostete Ruf Vinícius den Ballon d’Or?
Eben jenes unsportliche Verhalten sorgt so auch weiterhin dafür, dass der Brasilianer polarisiert und das nicht nur bei Fans, sondern auch bei Kollegen, Experten und Journalisten.
Dass Vinícius beim Ballon d’Or leer ausging und nicht, wie erwartet, mit dem prestigeträchtigen Titel für den besten Fußballer des Jahres ausgezeichnet wurde, lag wohl nicht an seinen fußballerischen Fähigkeiten. Da der Spanier Rodri ein ähnlich erfolgreiches Jahr spielte, aber mehr für Werte wie Fairplay und Demut einstand, bekam der Mittelfeldspieler von Manchester City am Ende mehr Stimmen als der überragende Spieler von Champions-League-Sieger Real Madrid.
Nicht für alle war dies die richtige Entscheidung. „Meiner Meinung nach war es unfair“, sagte beispielsweise Cristiano Ronaldo am Rande der Globe Soccer Awards in Dubai: „Vinícius Júnior hätte es verdient gehabt, den Ballon d‘Or zu gewinnen.“
„Sie hätten ihn Vinícius Júnior geben sollen, weil er die Champions League gewonnen hat und im Finale getroffen hat“, begründete Ronaldo seine Aussage.
Für Vinícius war die Aussage seines Real-Vorgängers danach Grund genug, um nicht gerade demütig zu verkünden: „Wenn Cristiano sagt, dass ich der Beste bin, dann bin ich es auch.“
Droht Vinícius nur kurze Sperre?
Ob der selbsternannte beste Fußballer der Welt nach seinem Aussetzer am Wochenende seinem Verein womöglich länger nicht zur Verfügung stehen wird, ist dagegen noch offen.
Das Strafmaß wird nach der Roten Karte aufgrund der verlängerten Weihnachtsferien des spanischen Verbandes wohl erst am 7. Januar verhandelt.
Vinícius könnte aber Glück haben. Laut Iturralde González, dem Schiedsrichterexperten der spanischen Sportzeitung AS, ist es höchstwahrscheinlich, dass die Kommission ein Strafmaß von zwei bis drei Spielen vorsieht. Dieses Strafmaß sei für „gewalttätiges Vorgehen ohne Ball“ angemessen, wenn es „bei den anschließenden Protesten keine Beleidigungen gegen Spieler oder Schiedsrichter” gab.
Die AS berichtet zudem, dass auch Real selbst von diesem Strafmaß ausgehen würde, obwohl sie öffentlich weiter für die Unschuld ihres Spieler plädieren würden.
Was das Strafmaß angeht, könnte Vinícius für seinen erneuten Ausraster also nochmal mit einem blauen Auge davon kommen. Seinem eh schon angeknacksten Ruf dürfte die Aktion aber nicht geholfen haben.