Seit Monaten wurde es von den Dächern gepfiffen, seit wenigen Tagen ist es offiziell: Carlo Ancelotti übernimmt im kommenden Jahr die brasilianische Nationalmannschaft.
Ancelottis Ritt auf der Rasierklinge
Der Italiener soll die so stolze Fußball-Nation bei der Copa América direkt zum Titel führen und die Truppe auf die anstehende Weltmeisterschaft 2026 in Kanada, Mexiko und den USA bestens vorbereiten. Schließlich ist die Sehnsucht nach Titeln bei der Selecao riesig.
Doch erstmal liegt der Fokus für den Trainer weiter auf Real Madrid. Dort besitzt er schließlich noch einen Vertrag für die anstehende Spielzeit.
Bisher hat sich Ancelotti übrigens noch nicht zu seinem künftigen Job geäußert, auch sein Klub Real Madrid hat bisher keine Stellungnahme abgegeben. Das ist durchaus brisant, denn es gibt noch zahlreiche offene Fragen, die über dem künftigen Wechsel des 64-Jährigen schweben.
Ancelotti vor schwieriger Vorbereitung mit Brasilien
Das größte Problem dürfte die Vorbereitung darstellen: Die Copa América beginnt am 20. Juni in den USA - und somit nur rund drei Wochen nach dem Ende der europäischen Vereinssaison.
Am 1. Juni wird das Finale der Champions League ausgetragen, das die Königlichen bekanntlich jedes Jahr erreichen wollen. Die spanische La Liga endet nur wenige Tage vorher, am 26. Mai.
Viel Zeit bleibt Ancelotti somit nicht, sich auf sein erstes großes Turnier als Nationalmannschaftstrainer vorzubereiten. Schließlich muss er noch das Team kennenlernen, bis zum Turnier steht Flamengo-Trainer Fernando Diniz an der Seitenlinie. Der 49-Jährige wird eine Doppelfunktion ausüben.
Die beiden Fußball-Lehrer dürften sich sicherlich bereits vorher intensiv austauschen, wer ins Team kommen soll und wie die Spielphilosophie sein soll. „Wir bezeichnen ihn nicht als Interimscoach, er ist der Nationaltrainer. Er wird kommen und den Übergang zu Ancelotti machen“, betonte Brasiliens Verbandspräsident Ednaldo Rodrigues.
Allerdings birgt das auch Zündstoff, falls Ancelotti seinem Amtskollegen die Spielweise diktieren, dieser aber lieber seine eigene Idee umsetzen will.
Ancelotti droht Zwiespalt
Brisant könnte auch das Thema Nominierung der Spieler werden, Ancelotti könnte hier in einen Zwiespalt geraten. Schließlich befinden sich mit Vinicius Junior, Rodrygo, Reinier und Eder Militao gleich vier potenzielle Nationalspieler im Kader des spanischen Vizemeisters.
Sein Stürmer-Star, dem jüngst eine besondere Ehre zuteilwurde, spulte in der abgelaufenen Saison von allen Real-Profis die meisten Minuten ab und ist auch bei der Selecao unverzichtbar.
Doch Länderspielpausen während der Saison sind Vereinstrainern meist ein Dorn im Auge, schließlich birgen sie ein Verletzungsrisiko. Und auf einen fitten Vinicius Junior wird Vereinstrainer Ancelotti in der entscheidenden Saisonphase nicht verzichten wollen.
Auch rechtliche Fragen noch offen
Auf der anderen Seite braucht die Nationalmannschaft die Real-Stars auch in den Testspielen, um sich optimal auf die Copa América vorbereiten zu können. Ein heikles Thema also. Gleichzeitig muss Ancelotti auch die Belastung seiner brasilianischen Stars im Hinblick auf das große Ziel mit der Nationalmannschaft im Auge behalten.
Auch auf rechtlicher Seite müssen noch einige Dinge geklärt werden. Schließlich läuft der Kontrakt von Ancelotti in Madrid bis zum 30. Juni 2024 - und endet somit erst während der Copa América. Somit muss der brasilianische Verband mit den Königlichen eine Lösung finden.
Die Verantwortlichen um Real-Boss Florentino Pérez dürften ganz genau hinschauen, wie Ancelotti die beiden Jobs unter einen Hut bekommen wird.
Er muss den sportlich hohen Ansprüchen seines aktuellen Arbeitgebers gerecht werden - und gleichzeitig für die Nationalmannschaft interessante Spieler scouten. Beide Aufgaben sind enorm zeitintensiv, auch wenn der Italiener die großen Namen wie Neymar, Vinicius oder Gabriel Jesus bestens kennt.
Langweilig dürfte Ancelotti im kommenden Jahr nicht werden. Der 64-Jährige muss einen schwierigen Spagat zwischen Verein und Nationalelf meistern. Und dabei aufpassen, niemandem auf den Schlips zu treten.