Der spanische Fußballverein FC Valencia steht vor dem Abstieg in die zweite spanische Liga. Dabei spielte der Klub in der Saison 2019/2020 noch in der Champions League. Timo Hildebrand sieht die Entwicklung mit Sorge.
Sommer: Hildebrand wird deutlich
In der Saison 2007/2008 stand er bei den Blanquinegros im Tor. Es war seine erste Station im Ausland nach seiner Zeit beim VfB Stuttgart, mit dem er 2007 Deutscher Meister wurde. Im SPORT1-Interview spricht der 44-Jährige über den FC Valencia - und vergleicht den Absturz mit dem des FC Schalke 04 in Deutschland.
Außerdem spricht Hildebrand über die Kritik an Bayern-Keeper Yann Sommer.
SPORT1: Herr Hildebrand, Sie haben es sicher mitbekommen. Was sagen Sie zum Absturz des FC Valencia?
Timo Hildebrand: Das ist eine ganz traurige Geschichte. Ich verfolge den Klub natürlich immer und die Situation hat sich nach der Niederlage gegen Almeria leider verschlimmert. Offenbar gibt es immer noch viel Unruhe im Verein. Es hat sich in den vergangenen Jahren nicht gelegt. Es ist besorgniserregend, dass dieser große Klub auf einem Abstiegsplatz steht.
SPORT1: Vor drei Jahren spielte man noch in der Champions League. Von daher ist es umso tragischer.
Hildebrand: Das stimmt. Solch ein Absturz tut natürlich weh. Ich vergleiche diese Situation gerne mit meinem anderen Ex-Klub, Schalke 04. Die waren vor einigen Jahren noch top, spielten in der Königsklasse und hatten eine richtig starke Mannschaft. Heute haben die Schalker mit anderen Dingen zu kämpfen. Solch ein Absturz wie jetzt in Valencia gibt es also in vielen Ländern.
„Gattuso konnte bei Valencia nichts bewirken“
SPORT1: Selbst nach der Trennung von Trainer Gennaro Gattuso wurde es bei den Blanquinegros nicht besser. Was sagen Sie dazu, dass solch ein großer Name den Verein nicht in die Spur bekommen hat?
Hildebrand: Große Spieler sind nicht immer große Trainer. Und umgekehrt. Thomas Tuchel war kein großer Spieler, ist aber ein klasse Fußballlehrer. Es liegt also nicht immer an einem großen Namen. Es gab schon genügend Trainer, die große Karrieren als Spieler und als Trainer ihre Schwierigkeiten hatten. Da braucht man nun mal eine andere Qualität. Gattuso hat leider bei Valencia nichts bewirken können.
SPORT1: Wie blicken Sie zurück auf Ihre Zeit in Valencia?
Hildebrand: Mit gemischten Gefühlen. Ich bin zwar unter Trainer Ronald Koeman spanischer Pokalsieger geworden, hatte aber nicht immer eine leichte Zeit. Zwischen Juli 2007 und November 2008 hatte ich vier Trainer und zwei Sportdirektoren. Da war einiges los. Und diese Unruhen haben mich auch letztendlich die Teilnahme an der Euro 2008 gekostet. Trotzdem möchte ich die Zeit in Valencia nicht missen. Es hat mir viel Lebenserfahrung gegeben.
Hildebrand wäre gerne länger Valencia geblieben
SPORT1: Haben Sie den Schritt also nicht bereut?
Hildebrand: Nein, es war kein Fehler. In dem Moment, als ich den Vertrag unterschrieb, habe ich mich ganz bewusst dafür entschieden. Es war damals der richtige Schritt. Natürlich hätte ich es mir anders gewünscht und wäre gerne länger in Valencia geblieben. Aber alles hat seinen Grund und als Unay Emery einen neuen Torwart holte, war mir klar, dass ich weg muss. Und dann bin ich zurück nach Deutschland (zur TSG Hoffenheim, d. Red.).
SPORT1: Unter Koeman hatten Sie aber eine richtig gute Phase.
Hildebrand: Absolut. Bei ihm habe ich immer gespielt. Ich war die klare Nummer 1 im Tor. Das Problem war, dass er drei Legenden (Miguel Angel Angulo, Santiago Canizares und David Albelda, d. Red.) des Klubs abgesägt hatte und natürlich hatte er diese Drei danach gegen sich. Die Jungs trainierten nämlich weiter mit. Und darum wurde Koeman kurz vor Saisonende entlassen. Es war wirklich eine turbulente Zeit.
SPORT1: Sie sind nach der Meisterschaft mit dem VfB Stuttgart nach Valencia gewechselt. Wie wichtig war im Nachhinein, der Schritt ins Ausland zu gehen?
Hildebrand: Schon wichtig. Ich hatte mir viel davon versprochen. Ich war 27 und war zwölf Jahre beim VfB inklusive der Zeit in der Jugend. Da gab es für mich nur die Entscheidung für immer VfB oder etwas Neues machen.
Ein Abstieg wäre eine Katastrophe
SPORT1: Was würde ein Abstieg für den FC Valencia bedeuten?
Hildebrand: Für so einen traditionsreichen Klub wäre das eine Katastrophe. Da stehen auch Investoren dahinter. Es wäre sehr hart für Valencia und seine wunderbaren Fans. Und es wäre auch schwierig, wieder aufzusteigen.
SPORT1: Man sieht es in Deutschland am Hamburger SV, der im fünften Jahr in der 2. Liga spielt.
Hildebrand: Ganz genau. Das kann man ganz gut vergleichen. Es wäre bei Valencia abhängig von den handelnden Personen. Wenn wieder ein neuer Trainer kommen würde, wäre es fraglich, ob es mit einem Wiederaufstieg klappen würde. Man sieht es am VfB. Sie sind zweimal nach dem Abstieg wieder aufgestiegen. Aber es gibt auch Negativbeispiele wie den HSV. Oder den 1. FC Kaiserslautern, der auch mal in die 3. Liga absteigen musste. Es wäre für Valencia wirklich kein einfacher Weg.
SPORT1: Was wünschen Sie sich für den FC Valencia?
Hildebrand: Dass dieser wunderbare Klub in der Liga bleibt und zur Ruhe kommt.
SPORT1: Zur Ruhe kommt gerade auch der FC Bayern nicht - unter anderem auf der Torwartposition. Was sagen Sie zu Yann Sommer?
Hildebrand: Er ist ein europäischer Spitzen-Torwart. Sonst hätte ihn der FC Bayern nicht verpflichtet. Zudem ist Sommer Nationalspieler, WM-Teilnehmer und hat viele Jahre überragende Leistungen bei Borussia Mönchengladbach gezeigt. Leider hat Sommer bei Bayern gerade keine gute Phase.
SPORT1: Warum ist das so?
Hildebrand: Weil die Mannschaft nicht so funktioniert, wie es sein sollte. Beim FC Bayern knirscht es gerade fast überall und darunter leidet natürlich auch ein Torwart. Klar, Sommer hatte zuletzt den einen oder anderen Wackler, aber warum schießen sich alle auf Sommer ein? Das finde ich völlig übertrieben.
„Ich hasse es, wenn da über die Körpergröße geredet wird“
SPORT1: Auch Sommers vergleichsweise geringe Körpergröße wird nach vermeintlich haltbaren Gegentreffern in der Champions League gegen Manchester City und in der Bundesliga gegen die TSG Hoffenheim angeprangert. Können Sie das nachvollziehen?
Hildebrand: Absolut nicht. Ich hasse es, wenn da über die Körpergröße geredet wird. Iker Casillas (Torwartlegende bei Real Madrid, d. Red.) war von der Körpergröße her kein Riese. Oliver Kahn war auch nur einen Zentimeter größer als ich. Aber beide waren Welttorhüter. Es gibt gute oder schlechte Leistungen. Da spielt die Körpergröße keine Rolle. Yann Sommer ist kein Neuling im Fußballgeschäft. Über Jahre hat ihn jeder in den Himmel gelobt, weil er konstant stark gespielt hat. Die aktuelle Debatte über seine Körpergröße ist Schwachsinn.
SPORT1: Hat sich Sommer dennoch mit dem Wechsel nach München keinen Gefallen getan?
Hildebrand: Das war eine Riesenchance für ihn. Er musste das machen. Es gibt wenig Torhüter, die vom FC Bayern ein Angebot für einen Vertrag bis 2025 bekommen. Das konnte Sommer doch nicht ablehnen. Ich weiß nicht, wie es in der neuen Saison weiter geht, wenn Manu (Neuer, d. Red.) wieder zurück ist. Aber nochmal: Sommer musste diese Chance ergreifen.
SPORT1: Hat er zuletzt wirklich einen gravierenden Fehler gemacht?
Hildebrand: Ich finde die Kritik an Sommer einfach überzogen. Klar, mit etwas Glück hätte er den Freistoß gegen Hoffenheim gehalten. Aber es waren zwei überragende Tore von der TSG und Manchester City. Bei jedem anderen Torhüter hätten die Journalisten gesagt ‚Oh, mein Gott, was für ein Traumtor!‘ Aber bei Sommer wird gleich alles mit Neuer verglichen. Das ist nicht okay. Auch Neuer hat schon Fehler gemacht. Der FC Bayern hat gerade andere Probleme als den Torwart.
SPORT1: Bräuchte Sommer mal ein Spiel, das er alleine gewinnt?
Hildebrand: Er hat eine gute Leistung gezeigt, konnte sich wenig auszeichnen. Torhüter müssen kein Spiel alleine gewinnen, sondern immer auf hohem Niveau stabil spielen.
SPORT1: Seit Sommer im Bayern-Tor steht, spürt er den langen Schatten von Neuer. Hat das seinen Start erschwert?
Hildebrand: Natürlich war es für Sommer nicht einfach. In einer Leistungsgesellschaft wird oft verglichen. Und es gibt nicht viel Bessere als Manu. Von daher ist die Messlatte für Sommer sehr hoch. Man muss die Kirche im Dorf lassen. Er ist ein richtig guter Torwart.
SPORT1: Wird es nach dieser Saison umso schwerer für Sommer?
Hildebrand: Das kann schon sein. Aber der Torwarttrainer muss zusammen mit Tuchel entscheiden, wer die neue Nummer 1 wird. Es wird auf jeden Fall nicht einfach. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Neuer auf der Bank sitzen wird.
SPORT1: Abschließende Frage: Wer ist für Sie der bessere Torwart?
Hildebrand: Manu ist ein Weltklassetorwart. Sommer ist ein überragender Keeper, aber wahrscheinlich hat Manu etwas die Nase vorne. Ich wünsche mir, dass Sommer in Ruhe weiterspielen kann. Als es bei Bayern zu Beginn der Rückrunde gut lief, hat keiner an Sommer rumgemäkelt. Jetzt, wo es nicht läuft, sucht man die Gründe bei ihm. Das ist nicht fair.