David Wagner hat erneut sein Glück in England gefunden. Der 52-Jährige ist seit Januar 2023 Trainer des englischen Traditionsvereins Norwich City und ist drauf und dran, das Kunststück zu wiederholen, das ihm 2017 schon mit Huddersfield Town gelungen ist: der Aufstieg in die Premier League.
Wagner: „Bundesliga nicht Nonplusultra“
Während die Kanarienvögel, wie Wagners Team auch genannt wird, im vergangenen November noch Platz 17 belegten, steht der Klub aktuell auf Rang fünf in der Championship und spielt somit in den Playoffs.
Im exklusiven SPORT1-Interview spricht Wagner über den Erfolg, seinen Ex-Klub Schalke 04 und seinen besten Freund Jürgen Klopp - und überrascht mit einer Aussage bezüglich einer Rückkehr nach Deutschland.
SPORT1: Herr Wagner, seit Januar 2023 sind Sie Trainer bei Norwich City. Wie schauen Sie auf diese Zeit bisher zurück?
David Wagner: Ich schaue positiv zurück. Es war aber am Anfang ganz schön holprig. Damals kam ich zu einem Premier-League-Absteiger, der sofort wieder aufsteigen wollte. Aber in der vergangenen Saison klappte das nicht. Ich kam erst spät im Januar und wir konnten bezüglich Transfers wenig machen. Am Ende wurden wir 13., was für alle nicht zufriedenstellend war. Wir mussten dann einen Transfererlös von 20 bis 25 Millionen Pfund erzielen, das Gehaltsbudget eher senken und trotzdem eine gute Truppe zusammenstellen. Jetzt haben wir die Playoffs erreicht und da ist alles möglich.
SPORT1: Wie sieht die Situation mittlerweile aus?
Wagner: Es ist bisher eine wirklich gute Saison. Wir sind das zweitbeste Team in diesem Jahr. Im vergangenen Sommer konnten rund 30 Millionen an Transfererlösen erzielt werden. Aktuell sind wir Fünfter, und das ist schon sehr ordentlich, mit dem, was da mit einem möglichen Aufstieg noch obendrauf kommen kann.
SPORT1: Die Zeit in Norwich war nicht von Anfang an angenehm. Wie emotional war es?
Wagner: Es ist sehr herausfordernd, was wir uns da vorgenommen haben. Das ist wirklich sehr ehrgeizig. Als ich ankam, herrschte wenig Zusammenhalt im Klub. Zuletzt war der Klub vor vier, fünf Jahren erfolgreich. Er stieg aus der Premier League ab, dann gelang der Wiederaufstieg, doch wegen Corona konnte das keiner feiern. Als die Zuschauer zurückkehrten, stieg der Verein erneut ab. Es herrschte eine negative Stimmung, und der Zusammenhalt war aufgrund des Misserfolgs nicht mehr vorhanden.
SPORT1: Was war denn los?
Wagner: Gegen Ende der vergangenen Saison richtete sich der Unmut zunächst gegen den Vorstand, dann gegen die Besitzer und den Sportdirektor, und schließlich auch gegen mich. Im November wurde unser Sportdirektor ausgetauscht. Da hatte sich einiges aufgebauscht in keiner schönen Art und Weise. Aber ich erhielt volle Unterstützung. Dass wir jetzt um den Aufstieg mitspielen können, macht die ganze Geschichte unglaublich spannend.
SPORT1: Es wurden also viele Schuldige gesucht. Klingt nach Schalker Verhältnissen.
Wagner: Auf Schalke war das eine andere Nummer. Da ist noch viel mehr passiert. Das kann man nicht miteinander vergleichen. Norwich ist ein stabiler Klub, die Besitzer führen den Verein schon seit über 25 Jahren. Die ganze Stadt lebt für diesen Klub. Das schlägt sich sowohl positiv als auch negativ extrem aus. Eines der Highlights war der 1:0-Sieg gegen den größten Rivalen Ipswich Town. Das war einzigartig. Wir wollen den Aufstieg schaffen und ich glaube total daran. Wir haben nicht den besten Kader, aber das beste Team. Wir gehen als Außenseiter in die Playoffs, aber das finde ich gar nicht blöd. Wir nehmen das total an.
Trainer Wagner ein England-Experte?
SPORT1: Mit Huddersfield Town sind Sie 2017 in die Premier League aufgestiegen. Bei Schalke lief es weniger gut. Etwas ketzerisch gefragt: Funktionieren Sie nur in England?
Wagner: Es ist nicht fair, die Schalke-Zeit als repräsentativ für die Bewertung meiner Arbeit heranzuziehen. Sicherlich habe ich auch einige Fehler gemacht, aber in diesem Verein gab es zu viele Veränderungen. Clemens Tönnies, Jochen Schneider, Alex Jobst, Peter Peters und Michael Reschke - zu viele Führungskräfte sind damals gegangen. Zudem kam noch die Corona-Pandemie hinzu. Unter diesen Umständen konnte ich nicht erfolgreich arbeiten. Das hat jedoch nichts mit Deutschland zu tun, sondern mit Schalke. Es war eine schwierige Zeit, besonders psychisch sehr herausfordernd. Es wurde alles verändert und in Frage gestellt. Ich habe viel nachgedacht, aber irgendwann merkte ich, dass ich die Situation nicht mehr zum Guten wenden konnte.
SPORT1: Haben Sie sich nach dem Intermezzo auf Schalke Sorgen um Ihre Karriere gemacht?
Wagner: Ich hatte keine Angst bezüglich meiner Karriere, denn das, was ich zuvor beim BVB II und in Huddersfield erreicht habe, spricht für sich. Man sieht ja, wie es auf Schalke weiterging. Das sollte jedem helfen, die Situation rationaler einzuschätzen.
SPORT1: Huddersfield Town ist gerade in die 3. Liga abgestiegen, mit Ihnen spielte der Verein in der Premier League. Wieviel Mitleid haben Sie mit André Breitenreiter, der dort aktuell Trainer ist?
Wagner: Das hat mich schon mitgenommen. Es tut mir leid für André. In meinem Trainerteam haben wir vier bis fünf Jungs, die auch schon in Huddersfield gearbeitet haben. Das hat uns alle betroffen gemacht. Der Verein ist uns nicht egal. Aber der Abstieg von Huddersfield zeigt, wie schwierig die Championship ist.
Klopp? „Kann ich mir alles für ihn vorstellen“
SPORT1: Nachdem Jürgen Klopp seinen Abschied vom FC Liverpool verkündet hat: Wie beurteilen Sie die Leistungen der Reds in den vergangenen Wochen? Deutet alles darauf hin, dass seine Amtszeit ohne einen Titel enden wird?
Wagner: Einen Titel hat Kloppo im Februar bereits mit dem Liga-Pokal gewonnen. Ich möchte nichts über seinen Abschied sagen. Ich bin ganz sicher, dass er mindestens ein Jahr Pause macht, und danach kann ich mir alles für ihn vorstellen - auch, dass er sein Leben genießt und nicht mehr als Trainer arbeiten wird. Ich freue mich, dass es ihm gut geht und dass er ein glücklicher Mensch ist. Solange er mit seinen Entscheidungen zufrieden ist, bin ich auch glücklich damit. Es besteht eine enge Freundschaft zwischen uns. Es kann vorkommen, dass wir eine Woche lang keinen Kontakt haben, aber eigentlich ist das bei uns schon sehr regelmäßig. Er wird einen glücklichen Sommer erleben, er möchte viel Fußball gucken.
SPORT1: Wie enttäuscht waren Sie, dass Sie in Bern auf Platz 2 entlassen wurden? Da waren Sie mit der Champions-League-Quali sehr erfolgreich.
Wagner: Auf Grund gesundheitlicher Probleme in meiner Familie, welche mich zu dieser Zeit stark beschäftigt haben, war mein Energie-Level nicht auf dem notwendigen Stand. Daher war die Trennung in Bern auch einvernehmlich und alles lief reibungslos ab. Glücklicherweise ist mittlerweile alles wieder in Ordnung.
„Am Anfang war ich kein Fan davon“
SPORT1: Ein wichtiger Teil Ihres Privatlebens ist Ihre Familie. Wie stolz sind Sie, dass Ihre Tochter Lea so erfolgreich ist als Sport-Moderatorin?
Wagner: Ich bin natürlich stolz wie Bolle. Aber das wäre ich auch, wenn sie wie ihre Schwester als Sozialarbeiterin arbeiten würde. Ich bin nicht nur stolz, weil sie Moderatorin ist. Am Anfang war ich kein Fan davon, weil ich weiß, was es bedeutet, in der Öffentlichkeit zu stehen. Da gibt es für eine Frau in der Männerdomäne Fußball auch mal Gegenwind, und als Papa will man sein Kind immer beschützen. Aber sie hat etwas gefunden, das ihr richtig Spaß macht. Ich weiß, wie viel Arbeit dahintersteckt.
SPORT1: Wäre das komisch, wenn sie bei einem Spiel von Ihnen die Interviews machen würde?
Wagner: Das war noch nie so und das wäre sehr seltsam. Das werden sie und ich hoffentlich nicht erleben.
SPORT1: Wie sehr hoffen Sie nochmal auf eine zweite Chance in der Bundesliga?
Wagner: Ich hoffe nicht zwingend auf eine zweite Chance in der Bundesliga. Wenn ich nicht mehr in Deutschland arbeiten würde, könnte ich auch als glücklicher Fußballtrainer aufhören. Ich fühle mich nicht unerfüllt, wenn das nicht noch einmal passiert. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht wieder passieren könnte. In Deutschland gibt es sowieso nicht mehr so viele Vereine, die mich interessieren. Die Bundesliga ist toll, aber auch im Ausland wird spannend, gut und innovativ gearbeitet. Es ist schön, andere Dinge zu erleben. Ich bin total im Reinen mit mir. Die Bundesliga ist nicht das Nonplusultra.
SPORT1: Würden Sie Schalke nochmal übernehmen wollen?
Wagner: Nein, ich habe Schalke als Spieler und als Trainer von allen Seiten erlebt, und dieses Kapitel ist abgeschlossen. Ich bin davon überzeugt, dass sie die Klasse halten werden, weil ich es mir wünsche.