Der FC Basel steckt in der wohl schwersten Krise seiner Vereinsgeschichte. Auf dem Briefkopf des Schweizer Traditionsvereins prangen stolze 20 Meistertitel. In der Vergangenheit warf man namhafte Gegner wie Celtic Glasgow, den FC Liverpool oder Manchester United aus der Gruppenphase der Champions League.
Ein Ex-Serienmeister am Abgrund
Doch beim Blick auf die aktuelle Tabelle wird jedem Fan Angst und Bange. Nach zehn Spieltagen belegt der FCB den letzten Platz. Am Sonntag kommt es zum Keller-Duell gegen den Aufsteiger FC Lausanne. Keine Frage, die Lage in Basel ist brisant.
Die üblichen Mechanismen der Branche haben bereits gegriffen, denn Ende September wurde Trainer Timo Schultz beurlaubt. Der ehemalige Coach des FC St. Pauli war erst im Sommer gekommen.
Die sportliche Situation sei „unbefriedigend“, teilte der FC Basel im Zuge der Schultz-Entlassung mit, um dann konkreter zu werden. „Der FCB befindet sich in einer sportlichen Krise, in der es dem Trainer nicht gelang, den absoluten Siegeswillen auf die Mannschaft zu übertragen.“
Ein „viel besserer Saisonstart“ sei nicht nur möglich, sondern „zwingend gewesen“, hieß es in der Mitteilung noch. Was dann aber folgte, machte alles nur noch schlimmer.
Ex-FCB-Trainer Koller: „Wirklich schade“
Interimsweise übernahm Heiko Vogel, der in der Saison 2011/2012 schon einmal Cheftrainer in Basel war und bis Sommer 2022 die zweite Mannschaft von Borussia Mönchengladbach coachte, den Trainerposten. Der 47-Jährige konnte den freien Fall jedoch nicht stoppen und verlor die drei bisherige Ligaspiele, ohne dass sein Team auch nur einen Treffer erzielt hätte.
Damit datiert der letzte - und in dieser Saison einzige - Ligasieg vom 30. Juli, als man im heimischen St. Jakob Park mit 5:2 gegen den FC Winterthur gewann.
„Das ist wirklich schade für den FC Basel, aber auch für den Schweizer Fußball“, sagt Marcel Koller zu SPORT1. Der 62-Jährige war von 2018 bis 2020 Trainer beim FC Basel. Seit 2022 trainiert er den ägyptischen Fußballklub Al Ahly SC. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass viele Wechsel im Kader einen Trainer immer wieder vor neue Probleme stellen. Dazu bräuchte man Zeit, die bekanntlich im Fußballbusiness leider sehr rar geworden ist“
Zeit wird auch Vogel nicht mehr haben. Unter dem 47-Jährigen präsentiert sich die Offensive nur noch harmlos - und die Hypothek zu Platz 6, der noch für die Aufstiegsrunde berechtigt, wuchs auf zehn Punkte an.
„Ich bin zutiefst schockiert, dass der FC Basel innerhalb so kurzer Zeit ans Tabellenende abgerutscht ist“, sagt Erni Maissen im Gespräch mit SPORT1. Der heute 65-Jährige spielte von 1975 bis 1982, von 1983 bis 1987 und von 1989 bis 1991 für Basel.
Böni: „Zickzack-Kurs von Heiko Vogel“
Für Maissen kommt die ganze Situation bei seinem früheren Klub „nicht überraschend“. Und er legt den Finger in die Wunde: „Aufgrund der Strategie von David Degen (40, seit 2021 Klub-Präsident, spielte 2006 bis 2008 auch mal für Borussia Mönchengladbach, d. Red.) mit ausschließlich jungen ausländischen Spielern diesen Verein auf Erfolgskurs zu bringen, halte ich es nicht für erfolgversprechend.“
Jede Mannschaft brauche schließlich „ein Gerüst aus erfahrenen Spielern, die Verantwortung übernehmen“.
Für Andreas Böni, Chefredakteur von blue Sport ist ausgerechnet Heiko Vogel einer der Hauptschuldigen beim Schweizer Traditionsklub.
„Im Sommer gab es wahnsinnig viele Transfers, wodurch die neu zusammengestellte Mannschaft in eine Negativspirale geriet“, erzählt Böni bei SPORT1. „Dazu kam ein beispielloser Zickzack-Kurs von Heiko Vogel. Er kam erst als Sportchef, wurde dann Trainer, führte den Klub ins Halbfinale der Conference League und wollte dann wieder Sportchef sein. Er sagte, er wolle nicht wieder Trainer werden und hat dann Timo Schultz geholt - ein Missverständnis trotz langer Suche.“
Der Journalist fährt fort:„ „Und plötzlich ist Vogel wieder Trainer. Dadurch hat man sehr viel Zeit verloren. Wenn er gleich Trainer geblieben wäre, dann wäre es erfolgsversprechender gewesen. Als Sportchef wurde er nun abgesetzt. Jetzt braucht er Erfolg, sonst droht ihm auch als Trainer die Entlassung.“
Maissen: „Er wurde unter anderen Voraussetzungen verpflichtet“
Auch Maissen hält den jetzigen Interimstrainer für eine Fehlbesetzung. „Schon beim ersten Engagement 2011/2012 als Cheftrainer haben die Resultate gezeigt, dass er nicht der richtige Trainer ist.“
Dagegen sieht der frühere Nationalspieler beim geschassten Ex-Coach Timo Schultz keine Schuld.
„Er wurde unter anderen Voraussetzungen verpflichtet. Vor Abschluss der Transferperiode wurden mit Andi Zeqiri, Zeki Amdouni, Andy Diouf und Riccardo Calafiori wichtige Stammspieler verkauft und durch Spieler ersetzt, die in ihren Vereinen keinen Stammplatz hatten.“
Für Ex-Profi Maissen sind die Hauptschuldigen „der Präsident und der Sportchef, die den Kader zusammengestellt haben“. Degen müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, „mit seiner Strategie gescheitert zu sein“. Die Mischung von Jung und Alt fehle, und auch das Konzept „günstig zweitklassige Spieler einzukaufen und sie später teuer weiter zu verkaufen“ sei nicht aufgegangen.
Der eigene Nachwuchs habe in Basel keine Perspektive, zudem würden Identifikationsfiguren fehlen.
Veiga eine kluge Wertanlage?
Renato Veiga, der im Sommer vom FC Augsburg kam und als Wertanlage betrachtet wird, zeige, warum die Personalpolitik beim FC Basel derzeit zum Scheitern verurteilt ist.
„Er könnte demnächst wieder für ein Vielfaches dessen, was er gekostet hat, verkauft werden. Wie groß ist also seine Motivation? Er wurde mit der Absicht geholt, sich international präsentieren zu können und um den Schweizer Meistertitel zu spielen. Jetzt spielt er um den Abstieg und wird wohl Motivationsprobleme haben“, erklärt Maissen. „Keine Europa League! Trotzdem ist es ihm bis heute nicht gelungen, seine vermeintlichen Qualitäten unter Beweis zu stellen.“
In der Vergangenheit schaffte es der Verein, seine ausländischen Leistungsträger langfristig zu halten, um Konstanz zu wahren. So gewann der Argentinier Matias Delgado mit den Baslern ein halbes Dutzend Meistertitel.
Mittlerweile hat sich die Vereinsstrategie radikal geändert - und die früheren Stars, wie Jean-Pierre Nsame, den es zu YB Bern zog, wurden allesamt verkauft. Den heutigen Legionären haftet der Ruf an, Basel nur als Durchgangsstation zu betrachten und primär individuelle Interessen zu verfolgen.
„Der FCB ist zu einem Durchlauferhitzer von ausländischen, jungen Spielern geworden, die nur auf sich selbst schauen und nicht auf den Verein“, sagt Maissen. „Somit kann sich keine erfolgreiche Mannschaft bilden. Der FCB war auch schon zu dieser Zeit nicht mehr so erfolgreich wie Anfang 2000 bis 2015.“
Breitenreiter einer für den FCB?
Wer kann überhaupt helfen? Da nennt Maissen ohne zu zögern zwei Namen. „Es sollte ein Trainer sein, der den Schweizer Fußball kennt, wie zum Beispiel Martin Andermatt oder André Breitenreiter.“
Andermatt ist seit Juli dieses Jahres als Technischer Leiter der Jugendakademie U15-U21 beim FC Basel tätig und arbeitet gleichzeitig in der neu gegründeten Sportkommission der 1. Mannschaft des FCB. Der heute 61-Jährige stieg 1999 als Trainer mit dem SSV Ulm in die Bundesliga auf.
Breitenreiter wurde 2022 mit dem FC Zürich Schweizer Meister. Es war der erste Meistertitel seit 2009. Der 50-Jährige ist seit seiner Beurlaubung bei der TSG Hoffenheim Anfang Februar 2023 arbeitslos.