Julian Draxler wäre in diesem Sommer nicht der erste Star gewesen, der dem finanziellen Lockruf aus der Wüste folgt und sich Al-Ahli anschließt. Doch beim mittlerweile vollzogenen Wechsel des 30-Jährigen ist ein - nicht unwesentliches - Detail anders.
Das Ausmaß von Draxlers Schritt
Denn den Mittelfeldspieler zieht nicht etwa zu Al-Ahli aus der aufstrebenden Saudi Pro League, wo seit dieser Saison namhafte Größen wie Franck Kessié, Gabri Veiga, Roberto Firmino und Riyad Mahrez kicken, sondern zum Al-Ahli SC aus Doha. Zwangsläufig drängt sich die Frage auf, ob dieser Schritt endgültig der Anfang vom Ende von Draxlers Karriere ist.
„Die Präsenz eines Spielers wie Draxler, mit seinem Talent und seinen Fähigkeiten, bedeutet viel für den Klub und dessen Entwicklung“, wird Vereinspräsident Abdullah Al-Mulla in einer Vereinsmitteilung zitiert. Der Deutsche betonte wiederum, dass er froh sei, in Katar zu sein und versicherte, alles dafür zu geben, „um ein Profi zu sein, der so performt, wie es von ihm erwartet wird.“
Allerdings wartet auf Draxler sportlich eine Mammutaufgabe. Al-Ahli verlor die ersten drei Saisonspiele und rangiert mit einer Tordifferenz von 4:10 auf dem vorletzten Platz der katarischen Stars League. Noch nie gewann der Klub, der zu den ältesten in Katar gehört, die Meisterschaft, ist seit Jahren allenfalls Mittelmaß.
Draxler: Ein nie eingelöstes Versprechen
Rund neun Monate vor der heimischen Europameisterschaft dürfte Draxler zeitig von der deutschen Fußball-Bildfläche verschwinden - und damit auch vom Radar der Nationalmannschaft.
Wie schnell es denn manchmal mit einer Rückkehr gehen kann, zeigte Mario Götze noch vor einem Jahr. Als der 31-Jährige für die PSV Eindhoven spielte, wurde es in Deutschland stiller um ihn, ehe er im vergangenen Sommer bei Eintracht Frankfurt aufkreuzte. Bei den Hessen überzeugte der Kreativspieler auf Anhieb, erhielt dadurch nur ein halbes Jahr später sogar ein WM-Ticket.
Falls der gebürtige Gladbecker auf eine ähnlich wundersame Story spekulierte und noch irgendwie leise hoffte, sich im kommenden Sommer einen Platz im kriselnden DFB-Team zu sichern, so kann er dieses Thema nun ein für alle Mal abhaken. Zu seinem letzten Länderspieleinsatz kam er im März 2022 - beim 1:1-Unentschieden in den Niederlanden.
Insgesamt lief Draxler 58 Mal mit dem Adler auf der Brust auf, in denen er sieben Treffer erzielte. 2014 wurde der Offensivspieler mit dem DFB-Team Weltmeister, er selbst wurde beim unvergessenen 7:1-Triumph im Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien eingewechselt. Eigentlich sollte das nur der Anfang einer großen DFB-Karriere sein, doch letztlich blieb er ein nie eingelöstes Versprechen.
Schon bei der Europameisterschaft 2021, dem letzten Turnier von Joachim Löw, war Draxler nicht mehr an Bord. Und das, obwohl Löw stets große Stücke auf den Linksaußen hielt. Als Deutschland 2017 beim Confed-Cup erfolgreich war, galt er als der Anführer des Teams um Marc-André ter Stegen, Antonio Rüdiger, Emre Can, Joshua Kimmich, Leon Goretzka - und trug sogar die Kapitänsbinde.
Fehlende Konstanz war Draxlers Manko
Draxlers großes Problem: die Konstanz - in der Nationalmannschaft und bei seinen Vereinsstationen. So konnte Draxler auch bei Paris St. Germain, die ihn Ende 2016 für eine Ablösesumme von immerhin 36 Millionen Euro vom VfL Wolfsburg verpflichtet hatten, die Erwartungen trotz regelmäßiger Einsatzzeiten nie vollumfänglich erfüllen.
Fraglos war seine Zeit in der französischen Hauptstadt kein völliger Reinfall. Insgesamt 198 Pflichtspiele, in denen er 26 Tore und 41 Assists beisteuerte, stehen Draxler zu Buche. Viermal wurde er dort nationaler Meister. Zufrieden war PSG mit ihm im Laufe der Zeit aber kaum noch. Deswegen rückte das frühere Schalker Wunderkind mehr und mehr ins zweite Glied, wurde in der abgelaufenen Saison schließlich zu Benfica Lissabon verliehen.
Doch auch in Portugal schaffte es Draxler nicht, seine Karriere neu anzuschieben. Dass er häufig verletzt und in der Zuschauerrolle war, half selbstredend nicht. Wenig verwunderlich entschied Lissabon sich dagegen, aus der Leihe ein Kaufgeschäft zu machen. Zurück in Paris wurde er dann in die Gruppe der Aussortierten gepackt, der zwischendurch auch Superstar Kylian Mbappé angehörte.
Während Mbappé alle Streitigkeiten um seine Wechselambitionen erst einmal beiseite geschoben hat und wieder mit Toren verzückt, ist Draxler im Fußball-Niemandsland angekommen. An einem ganz anderen Ort als er es sich einst vorgestellt hatte - entgegen allen Prophezeiungen.