Der frühere U-Nationalspieler Matthias Strohmaier hat in seiner Zeit beim FC Bayern München unter Erik ten Hag und Pep Guardiola trainieren dürfen. Auch wenn der heute 29-Jährige keinen Profieinsatz beim FC Bayern zu verzeichnen hat, ließ er sich die Lust auf Fußball niemals nehmen.
Ex-FCB-Talent als Trainer-Überflieger?
Strohmaier hat frühzeitig seine Trainerkarriere ins Laufen gebracht und inzwischen als jüngster Teilnehmer seine A-Lizenz abgeschlossen. Der Kontakt zu ten Hag ist dabei nie abgerissen. Als der Niederländer ihn anrief und Mitte Juli 2023 als Termin für die Hospitation bei Manchester United nannte, „habe ich dem alles untergeordnet“, wie Strohmaier, Gründer der in München ansässigen Fußballschule Skillers.Academy, sagte.
Sein Fazit, was er für sich mitnehmen wird? „Bei mir ist extrem viel hängen geblieben, das würde das Interview sprengen (lacht).“ Für SPORT1 nahm sich Strohmaier dennoch Zeit und erklärte, wie ihn die zehntägige Beobachtungsreise zu seinem Mentor ten Hag geprägt hat.
SPORT1: Matthias Strohmaier, Sie durften zehn Tage bei Manchester United unter Trainer Erik ten Hag hospitieren. Wie haben Sie diese Zeit in England erlebt?
Strohmaier: Das waren außergewöhnliche Einblicke, die mir Erik ten Hag ermöglicht hat. Er hat mich zu jeder Ansprache mitgenommen und mir alles im Verein gezeigt. Es hat mich emotional sehr berührt, als ich mich dafür bedankt habe und er mir sagte, dass er für solche Hospitationen eigentlich keine Zeit und das bisher erst für einen Spieler gemacht habe - nämlich für Robin van Persie, der drei Jahre dort gespielt hat. Mich auf eine Ebene mit einem Profi wie van Persie zu stellen, das war eine große Wertschätzung meiner Person und das weiß ich sehr zu schätzen.
Ten Hag? „Das ist mehr als beeindruckend bei diesen Trainern“
SPORT1: Sie kannten Erik ten Hag schon aus Ihrer Zeit beim FC Bayern München. Hat er sich seitdem verändert?
Strohmaier: Als ich mit seinen Leuten aus dem Staff am Frühstückstisch saß, haben sie mich gefragt, ob sich ten Hag in den vergangenen Jahren verändert habe. Das konnte ich verneinen. Er tritt komplett so auf wie damals, aber er ist taktisch noch detaillierter geworden. Ten Hag ist ein absoluter Perfektionist, er schaut auf jedes Detail und gibt den Spielern auch Kleinigkeiten mit. Ich durfte in meiner Zeit beim FC Bayern die Analyse vor dem Champions-League-Halbfinale gegen Atlético Madrid unter Pep Guardiola miterleben. Wie ten Hag auch, hat er das eigene Spiel bis ins kleinste Detail taktisch selektiert. Das ist mehr als beeindruckend bei diesen Trainern.
SPORT1: Aber ist auch seine Ansprache zu den Spielern so geblieben, wie es beim FC Bayern München II der Fall war?
Strohmaier: Seine Ansprache ist sehr ähnlich zu meinen Bayern-Zeiten, nur halt auf Englisch (lacht). Aber es ist faszinierend zu sehen, wie in seinem Trainerteam ein Rädchen ins andere greift. Er hat eine klare Struktur und Aufgabenverteilung in seinem Trainierteam. Erik fokussiert sich stark auf die taktischen Elemente. In diesem Bereich ist er aber auch ein absoluter Ausnahmekönner und Perfektionist. Auf dem Trainingsplatz ist er der absolute Chef. Er hat eine klare Spielidee und diese ist auf den Verein angepasst.
Strohmaier berichtet aus Manchester
SPORT1: Können Sie das näher ausführen?
Strohmaier: Bei einem Abendessen bei einem Italiener habe ich ihn gefragt, ob er seinen Spielstil bewusst angepasst habe. Da er bei Ajax Amsterdam für ein außergewöhnliches Positionsspiel mit vielen kurzen Pässen stand. Ich erinnere mich noch sehr gut als sie damals in der Champions League im Bernabeu Real Madrid schwindelig spielten. Bei Manchester United hingegen spielt er schon einen deutlich anderen Fußball und mit viel mehr Fokus auf ein schnelles Umschaltspiel. Ten Hag erklärte mir, dass er sich vor seinem Amtsantritt die Identität von Manchester United und seinem Umfeld genau angeschaut hat. Wofür stand United in den erfolgreichen Jahren unter Sir Alex Ferguson? Wie ist das Umfeld? Wofür steht die Stadt? Es ist eine Arbeiterstadt, für die Fußball mehr als nur ein Spiel am Wochenende ist. Es beinhaltete eine sehr hohe Intensität und vor allem schnelles Umschaltspiel. So hat er seine Idee angepasst. Natürlich auch auf die zur Verfügung stehenden Spielern. Aber diese Anpassungsgabe ist mit Sicherheit einer der größten Schlüssel, immer das Maximum aus Mannschaft und Verein rauszuholen. Er hat schließlich auch durch die Bank fast immer Erfolg gehabt. Außer mit uns bei Bayerns U23 fehlte ihm der maximale Erfolg, sagte er mit einem Schmunzeln (lacht).
SPORT1: Eine ganz heikle Personalie hat seinen Rücken enorm gestärkt. Cristiano Ronaldo wurde von ihm abgesägt, er wechselte nach Saudi-Arabien. Ten Hag hingegen ist noch bei Manchester United. Habt ihr euch auch darüber ausgetauscht?
Strohmaier: Mit Erik habe ich nicht explizit über den Fall Cristiano Ronaldo gesprochen, sondern eher allgemein über das Thema Leadership bei einem so großen Verein wie ManUnited. Er hat dabei immer eine klare Vorstellung und ist ein Perfektionist in jeglicher Hinsicht. Die Thematik Cristiano Ronaldo hat sich am Rande eines Gesprächs mit seinem Co-Trainer Steve McClaren, der früher unter anderem englischer Nationaltrainer und Coach des VfL Wolfsburg war, ergeben. Es war damals keine einfache Situation, weil Cristiano eben aufgrund seiner vielen außergewöhnlichen Erfolge als Spieler auch eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit Strahlkraft hatte. Die Entscheidung der Trennung von so einer Ikone des Fußballs war mit Sicherheit alles andere als leicht, aber der Erfolg gab dem Trainerteam Recht, dass man im Sinne des Vereins die richtigen Schlussfolgerungen gezogen und Top-Transfers wie Raphael Varane, Casemiro oder Lisandro Martinez getätigt hat. Im ersten Jahr führte Erik den Klub auf Platz drei in der Premier League, in zwei Pokalendspiele und zum Titel im Ligapokal. Erik genießt eine große Anerkennung im Verein und das Vertrauen in ihn ist sehr groß. Das spürte man ab dem ersten Tag an.
„Er sagte mir, dass Sir Alex Ferguson der beste Mensch der Welt war“
SPORT1: Sie sprachen Raphael Varane an, der schon viermal die Champions League mit Real Madrid gewinnen konnte und Weltmeister ist. Wie sieht so ein Top-Star Ten Hag, der zuvor noch keinen großen Klub trainiert hat?
Strohmaier: Dazu gibt es eine nette Anekdote, welche sie auch Eriks Arbeitsweise sehr gut beschreibt. Vor dem Abflug nach Oslo, wo Manchester United ein Testspiel gegen Leeds United ausgetragen hat, fragte ich Raphael Varane, wie ten Hag auf ihn wirkt. Darauf antwortete er mir, dass er noch etwas über Fußball lernt und es ihm deshalb so viel Spaß macht. Diese Aussage ist bei mir hängen geblieben, weil sie das Fachwissen von ten Hag zeigt. Er ist ein Perfektionist. An solchen Sätzen merkt man, welchen Respekt die Spieler vor ihm haben.
SPORT1: Was hat Sie besonders beeindruckt bei der Beobachtung der Arbeit von ten Hag?
Strohmaier: Ich blicke nur noch aus der Trainerschiene auf seine Arbeit. Es ist herausragend, wie detailliert Erik arbeitet und wie er Dinge durchplant. Er hat einen 360-Grad-Blick. Wenn die Analysten ihm eine Präsentation über einen offensiven Schwerpunkt präsentieren, achtet er trotzdem immer noch auf die Restverteidigung. Es ist einfach beeindruckend, wie er immer auf jedes Detail achtet. Seine Meetings mit den Spielern gehen teilweise auch deutlich länger, als es üblicherweise gelehrt wird. Ich kenne natürlich auch noch die Spielerseite, deshalb habe ich mich lange mit seinem Analysten unterhalten. Er sagte mir, dass am Ende natürlich alles an den Ergebnissen hängt. Wenn du fünfmal verlierst, dann wird schnell auch die Anzahl und Dauer der Meetings kritisiert. So ist der Fußball. Aber bei Ajax gab es beispielsweise auch Zeiten, wo die Spieler aufs Trainerteam zugingen und wieder mehr Meetings einforderten. Das war für mich besonders einprägsam, dass er die Spieler dermaßen mit seinem Fachwissen abholt und sie ihm bedingungslos folgen.
SPORT1: Wie würden Sie seinen Führungssteil bezeichnen? Sir Alex Ferguson, mit dem er ja verglichen wird, galt oftmals in der Öffentlichkeit als sehr hart und unnahbar.
Strohmaier: Ich habe mit dem Torwarttrainer von Manchester United gesprochen, der sehr viele legendäre Trainer bei United erlebt hat. Unter anderem eben auch Sir Alex Ferguson. Er sagte mir, dass Sir Alex Ferguson der beste Mensch der Welt war. Das ist eine Aussage die hängen bleibt. Wenn du mitgemacht hast, dann hat er alles für dich getan. Wenn du nicht mitgezogen hast, dann hat er dir auch gerne einmal den „Arsch“ aufgerissen. Ich weiß nicht, ob man ihn unbedingt mit ten Hag vergleichen kann. Ten Hag holt die Spieler vor allem über sein enormes Fachwissen ab und ist kein hochemotionaler Trainer wie beispielsweise Jürgen Klopp. Er stellt sein Trainerteam und Aufgabenbereich auch so zusammen, um möglichst alle Kompetenzen im breiten Feld des Trainers bestmöglich abzudecken. Das war für mich persönlich und meine nächsten Schritte als Trainer natürlich sehr spannend zu sehen, wie hier wirklich ein Rädchen ins andere perfekt abgestimmt greift.