„Es fühlt sich an, als ob jemand die Queen Elizabeth 2 gewendet hätte!“
Auf Guardiolas Spuren
Mit diesen Worten beschrieb Kieran Scott, Sportdirektor des FC Middlesbrough, kürzlich in der BBC die Situation, seit Michael Carrick im vergangenen Oktober den Trainerposten beim Klub aus dem englischen Nordosten angetreten hat. (NEWS: Alles zum Fußball)
Dazu muss man wissen: Die Queen Elizabeth 2 ist ein Ozeandampfer, 293,5 Meter lang, knapp 49.000 Tonnen Wasserverdrängung. Ihn zu wenden, ist eine gewisse Leistung. Und der Vergleich mit diesem Manöver ein entsprechend großes Kompliment an Manchester-United-Legende Carrick - der nun als Trainer mehr und mehr aufhorchen lässt.
Mit Michael Carrick kommt die Wende
Als Carrick losgelegt hatte in Middlesbrough, steckte der Ligapokalsieger von 2004 mitten im Abstiegskampf in Englands zweiter Liga. Lediglich die bessere Bilanz an geschossenen Toren hielt „Boro“ über dem Strich - wobei der punktgleiche Verfolger aus Coventry zwei Spieler weniger absolviert hatte.
Carricks Auftakt an der Middlesbrough-Seitenlinie misslang zwar - gegen Preston North End setzte es eine bittere 1:2-Auswärtspleite bei einem direkten Konkurrenten. Aber seitdem läuft es bei dem langjährigen Premier-League-Team, wo man nach eigenem Selbstverständnis hingehört. Am besten schon wieder in der kommenden Saison.
Aus elf Championship-Spielen mit Carrick an der Seitenlinie sprangen 25 Punkte heraus. Lediglich gegen Tabellenführer Burnley ging man in dieser Zeit als Verlierer vom Platz. Dazu gab es gegen Bristol City am 20. Spieltag ein 1:1. (SERVICE: Alle Spiele und Ergebnisse der Championship)
Dieser Lauf spülte Middlesbrough vom Abstiegskampf direkt ins Aufstiegsrennen. Als Vierter liegt man aktuell auf einem Rang, der für die Playoffs berechtigt. Carrick scheint an diesem für ihn so emotionalen Ort also der richtige Mann zu sein. „Middlesbrough war der erste Profiklub, für den ich als neunjähriger Junge gespielt habe, daher ist es ein ganz besonderes Gefühl, hier als Cheftrainer zurückzukehren.“
Nun kann er diesem Klub etwas zurückgeben - und tut das auf ebenso ruhige und zielstrebige Weise, wie er als Spieler bei Manchester United agiert hatte. Das von seinem Vorgänger Chris Wilder bevorzugte 3-5-2-System änderte er in ein auf Ballbesitz ausgerichtetes 4-2-3-1. Dabei vertraut Carrick, der für Manchester United 464 Pflichtspiele absolvierte und neben fünf englischen Meisterschaften auch die Champions League (2008) gewinnen konnte, vor allem Zack Steffen.
Carrick macht es wie Guardiola und Arteta
Der von Manchester City ausgeliehene und für die WM überraschend nicht berücksichtigte Torhüter wird aktiv in den Spielaufbau einbezogen. Damit agiert der 27-Jährige bei eigenem Ballbesitz wie ein elfter Feldspieler. Hier werden Ähnlichkeiten zwischen den Spielphilosophien Carricks und City-Coach Pep Gaurdiolas sichtbar. (News: “Herzzerreißendes“ Aus für Ex-Bundesliga-Keeper Steffen)
Dazu ist der 34-malige englische Nationalspieler ein Verfechter der Überlastungs- und Isolationsmethode wie der Katalane, der mit dem FC Barcelona große Erfolge gefeiert und eine neue Art Fußball kreiert hat.
Dabei bedient sich Carrick allerdings nicht nur bei Guardiola. Sein System wandelt sich in der Offensive blitzschnell in ein 3-5-2 zurück, was die gegnerischen Verteidiger zwingt, ihre Positionen zu wechseln. Diese freien Räume nutzt die Boro-Offensive um Chuba Akpon und Marcus Forss gnadenlos aus - ähnlich wie der FC Arsenal.
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Und auch hier hat ein ehemaliger Mittelfeldakteur das Kommando. Wie Carrick und Guardiola zog auch Mikel Arteta in seiner Karriere im Mittelfeld die Fäden. Zusammen mit Xavi beim FC Barcelona scheinen aktuell also die Mittelfeldregisseure zu beweisen, dass aus ihrer Riege große Trainer erwachsen können.
Carrick als Trainer zu Manchester United?
Ob der 41-Jährige diesen Beispielen folgen kann, steht noch in den Sternen. Sicher ist aber, dass er aus einem taumelnden Krisenklub einen ernstzunehmenden Aufstiegskandidaten geformt hat. Für Louis Saha, Carricks ehemaliger Teamkollege bei den Red Devils, kommt dieser Erfolgslauf jedoch nicht überraschend.
Zwar würde man in Carrick nicht sofort den großen Trainer erkennen, da er ein sehr ruhiger Typ sei, „aber er ist ein sehr kluger Junge“, betonte der ehemalige Stürmer bei compare.bet: „Er ist sehr lernfähig und liebt es, von den Besten zu lernen.“ Und Gelegenheit, von den Besten zu lernen, hatte Carrick genug. Bei United arbeitete er unter anderem mit Louis van Gaal, José Mourinho und Sir Alex Ferguson zusammen.
Vor allem auch von der United-Legende hat er viel übernommen, wie Saha weiß. „Er analysiert die Dinge sehr schnell und kann die Stärken und Schwächen der Menschen gut einschätzen. Er hat viele Ratschläge von Sir Alex erhalten.“ Daher könne er auch eines Tages in dessen Fußstapfen treten und als Trainer in das Theatre of Dreams zurückkehren. „Ich bin sicher, das wird seine Motivation sein.“
Erfahrung auf dem United-Trainerstuhl hat Carrick bereits gesammelt. Ab 2018 war er drei Jahre Co-Trainer beim englischen Rekordmeister, ehe er im November 2021 nach der Entlassung von Ole Gunnar Solskjaer interimsweise für drei Spiele übernahm. In der Champions League gewann er in der Gruppenphase 2:0 gegen den FC Villarreal. In der Premier League holte er gegen den FC Arsenal (3:2) und den FC Chelsea (1:1) vier Punkte, bevor er an Ralf Rangnick übergab. (SERVICE: Championship-Tabelle)