Istanbul - die Perle am Bosporus. Die Brücke zwischen Asien und Europa. Das ehemalige Konstantinopel ist durch seine einzigartige geographische Lage eines der größten Kultur- und Handelszentren der Welt.
Istanbul - Das Fußball-Pulverfass
Der Bosporus trennt die türkische Metropole in einen europäischen und asiatischen Teil. Aber nicht nur geographisch ist die Stadt geteilt. Auch der Fußball teilt die Stadt. Nun aber nicht in zwei, sondern in drei Teile.
Die drei Istanbuler Vereine Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas sorgen mit ihren Fanlagern für die typisch türkische Stimmung bei Fußballspielen.
Die Hölle von Istanbul
Erstmals erlangte die schon an Fanatismus grenzende Vereinsliebe der türkischen Fans 1993 europäische Bekanntheit. Vor dem Champions League-Match gegen Manchester United bereiteten die Galatasaray-Fans den "Red Devils" einen derart heißen Empfang, wie man es vorher noch nicht erlebt hatte.
Bereits am Flughafen wurden die englischen Spieler mit wütenden Fangesängen und Kopf-ab-Gesten empfangen. Die ganze Fahrt bis zum Hotel hämmerten die Fans gegen den Mannschaftsbus und skandierten "Welcome to hell!" Seitdem ist bei Auswärtsspielen in der Türkei nur noch von der "Hölle in Istanbul" die Rede.
Eine Woche das Haus nicht verlassen
Aber nicht nur ausländische Mannschaften haben ihre Erfahrungen mit der Emotionalität der Anhänger gemacht. Noch schlimmer ist es, wenn man ein Derby gegen einen der Istanbuler Erzrivalen verliert. Der deutsche Trainer Rainer Hollmann, der 1993 an der Seitenlinie Galatasarays verantwortlich war, erinnerte sich. "Wenn du gewinnst, bist du der König der Welt, wenn du verlierst, dann wirst du durch die Stadt getrieben."
Vor seinem ersten Istanbul-Derby wurde er von seinem türkischen Co-Trainer Ahmet Akcan gefragt, ob sein Kühlschrank gut gefüllt sei, denn "falls wir verlieren, kannst du eine Woche nicht aus dem Haus gehen."
Todesfälle, aber auch einzigartige Atmosphäre
Allerdings blieb es nicht immer nur bei wütenden Fangesängen und Kopf-ab-Gesten. Im Jahr 2000 kam es im Vorfeld des UEFA-Cup-Halbfinal-Hinspiels zwischen Anhängern von Leeds United und Galatasaray zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen zwei Engländer niedergestochen wurden. Als "Besorgnis erregend und schrecklich" bezeichnete der damalige für den Sport zuständige Minister Fikret Ünlü den Vorfall.
Dennoch zeigen sich Spieler und Trainer immer noch begeistert von der einzigartigen Atmosphäre in türkischen Stadien. "Das Spiel (gegen Manchster United/Anm.d.Red.) begann um 21.45 Uhr, das Stadion war aber bereits um 10 Uhr morgens voll. Die Fans haben vierzehn Stunden durchgesungen", erinnerte sich Hollmann.
Und der damalige Galatasaray-Star Gheorge Hagi meinte nur: "Unsere Fans erwecken Tote!"
Alles konzentriert sich auf die Istanbuler Vereine
Aber die türkischen Fans leben ihre Liebe zum Fußball nicht nur bei internationalen Spielen aus. Der jeweilige Lieblingsverein nimmt vielmehr einen festen Platz im Alltagsleben der Istanbuler ein. "Ein Mann ohne Verein ist kein Mann", umschrieb Fenerbahce-Anhänger Selahaddin Bey in einem Spiegel-Interview den Stellenwert der Vereinsliebe.
Dabei dominieren in der Fangunst eindeutig die Istanbuler Vereine. Nicht nur in der Stadt selbst geben sie den Ton an, sondern im ganzen Land. Eine Umfrage der Tageszeitung Habertürk aus dem Jahr 2011 ergab, dass sich 89 Prozent der türkischen Bevölkerung mit einem der drei Klubs aus Istanbul identifizieren.
Fenerbahce und Galatasaray für die Eliten - Besiktas, der Underdog
Warum sich die Menschen für einen der Vereine entscheiden, liegt also weniger in lokalen Gründen. Die Fans identifizieren sich aufgrund bestimmter Eigenschaften mit den Vereinen. Galatasaray und Fenerbahce stehen dabei eher für die wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes.
Besiktas hingegen versteht sich als der Underdog, der eben diese Eliten herausfordert. So sind in der Besiktas-Fan-Szene hauptsächlich Linke und Intellektuelle zu finden. Bezeichnenderweise ist das "A" im Namen der größten Besiktas-Fangruppierung "Carsi" auch eingekreist, wie im Anarchie-Logo.
Dieses unterschiedliche Selbstverständnis der Fangruppen führt auch zu dem lodernden Hass, den die Gruppe aufeinander empfinden. "Im vergangenen Jahr (2014, Anm.d.Red.) wurde der Mannschaftsbus von Fenerbahce beschossen. Das war der absolute Tiefpunkt und ein krimineller Akt", beschrieb Christoph Daum in einem 11Freunde-Interview die Situation.
Höhepunkt der Fanrivalitäten in den siebziger und achtziger Jahren
Aber verglichen mit den siebziger und achtziger Jahren sind die heutigen Verhältnisse schon fast gemäßigt. Damals fanden alle Istanbuler Derbys im Inönü-Stadion statt. Da ein geregelter Kartenvorverkauf sowie Kartenkontigente für die Vereine nicht vorgesehen waren, campierten die verfeindeten Fanlager vor dem Stadion, um am Morgen die Eingänge und Blöcke zu besetzen.
Dabei kam es regelmäßig zu Massenschlägereien, bei denen auch der Einsatz von Messern üblich war. Die "Carsi" erzählen heute noch stolz, dass in dieser Zeit jahrelang kein Fenerbahce- oder Galatasaray-Anhänger ins Stadion kam.
Nach zahlreichen Verletzten und Toten kam es 1997 endlich zu einem Waffenstillstand unter den verfeindeten Fanlagern. Dieser brüchige Frieden hält bis heute an. Zwar gibt es gelegentlich immer noch Tote, die werden von Chefs der Fanlager aber als Einzelfälle abgetan. Zu einer Vergeltung wird in der Regel nicht aufgerufen.
Istanbul United am Taksim
Kurioserweise haben sich die drei Fanlager ausgerechnet bei den Protesten gegen Recep Tayyip Erdogan im August 2013 zusammengetan. Bilder von Ultras, die in den Trikots ihrer jeweiligen Vereine nebeneinander auf der Bosporus-Brücke standen, gingen wie ein Lauffeuer durch das Land. Erst wenige Wochen zuvor war ein Fenerbahce-Fan nach dem Derby gegen Galatasaray noch abgestochen worden.
Aber bei diesem Ereignis lebten die Istanbuler Fans das weltweite Ultra-Motto: "In den Farben getrennt, in der Sache vereint!" Auf einmal standen die Gruppierungen als "Istanbul United" zusammen.
Die Anhänger von Besiktas - aufgrund ihrer linken Ausrichtung mit engen Kontakten zur autonomen Szene - hatten durch jahrelange Zusammenstöße mit der Polizei die meiste Erfahrung im Straßenkampf. Daher skandierten die Demonstranten am Taksim erleichtert "Carsi kommt!" als die Besiktas-Ultras den Platz erreichten. Selbst Fenerbahce- und Galatasaray-Anhänger sagten im Gedenken daran in späteren Interviews, dass sie Carsi im Herzen tragen.
Dieser Satz zeigt, wie einzigartig dieses Ereignis war. Denn in den Jahrzehnten davor und auch in den Jahren danach würden sich die beiden Fanlager lieber die Zunge abbeißen, als das zu sagen.
Zurück zur alten Rivalität
Aber dieses "Istanbul United" war nur eine kurze, wenn auch bemerkenswerte, Episode in der Geschichte der Rivalität zwischen den Istanbuler Fanlagern. Gerade die Anfüher der großen Fenerbahce- und Galatasaray-Gruppierungen "Genc FB" und "UltrAslan" distanzierten sich von den Protesten und hielten an den alten Feindschaften fest.
Heute stehen sich die Gruppen wieder fast so unversöhnlich gegenüber, wie vor den Protesten. Damit bleiben die Istanbuler Derbys eine der hitzigsten und gefährlichsten Stadtrivalitäten der Welt und es bleibt zu hoffen, dass die Worte des ehemaligen Vizepräsidenten des türkischen Fußball-Verbandes, Ufuk Özerten, Gehör finden. "Wir müssen lernen, dass Fußball ein Spiel ist."