1972 begann Gernot Rohr als Spieler seine Profikarriere beim FC Bayern, seine Trainerlaufbahn startete er 1989 bei Girondins Bordeaux. Neun Jahre war er für den französischen Traditionsverein tätig. Als Fußballlehrer gearbeitet hat Rohr in Deutschland nie.
Rohr erklärt Nigerias Erfolg
Seit 2016 ist der gebürtige Mannheimer nun Nationaltrainer von Nigeria. Neben Joachim Löw war er der einzige deutsche Coach bei der Weltmeisterschaft in Russland.
Mit Nigeria hat Rohr aktuell beim Afrika Cup Großes vor. Vor dem Halbfinale gegen Algerien (ab 21 Uhr im Liveticker) spricht der 66-Jährige bei SPORT1 im Interview. (Service: Spielplan des Afrika Cups)
Rohr: Paderborns Collins "tut ganz Afrika gut"
SPORT1: Herr Rohr, Sie haben mit Nigeria im Viertelfinale einen Last-Minute-Sieg gegen Südafrika errungen und stehen nun im Halbfinale gegen Algerien. Wie fühlen Sie sich?
Gernot Rohr: Wir sind alle sehr glücklich. Es ist eine tolle Sache.
SPORT1: Was gab den Ausschlag für den Sieg?
Rohr: Wir haben im Mittelfeld sehr gute Spielzüge gezeigt und sind stark über die Flügel gekommen. Das war unsere Strategie. Da sind wir schnell und der Gegner war dort verwundbar. Defensiv wurden wir stark durch den Einbau von Jamilu Collins, der beim SC Paderborn spielt. Er hat uns in der Defensive viel Stabilität gegeben.
SPORT1: Wie wichtig ist Collins für das Team?
Rohr: Sehr wichtig. Das ist ein Spieler, der offensiv und defensiv sehr stark ist. Sein linker Fuß ist sehr wertvoll für uns - in einer Mannschaft, in der es kaum Linksfüßer gibt. Ich habe die tollen Spiele mit Paderborn alle mitverfolgt und mich sehr für ihn und seine Kollegen über den Aufstieg gefreut. Collins ist ein Spieler mit einer deutschen Mentalität: Er ist ein harter, seriöser Arbeiter, der auch mal extra Einheiten an freien Tagen und nach dem Training macht. Das tut ganz Afrika gut. Collins hatte sich vor dem ersten Spiel gegen Burundi eine leichte Muskelverletzung im Abschlusstraining zugezogen und musste ein paar Tage pausieren. Er hat sich dann aber so reingekniet, dass er unbedingt wieder ins Team musste. Obwohl es schwierig ist, eine erfolgreiche Mannschaft zu ändern. Ich habe es dennoch gemacht und er hat es mit seiner sehr guten Spielweise honoriert. Ich bin froh, dass er bei uns ist.
SPORT1: Nun geht gegen Algerien um den Einzug ins Finale. Wie schwer wird es?
Rohr: Algerien war bis zum Viertelfinale ohne jedes Gegentor und ohne Punktverlust. Es wird jetzt Zeit, dass sie auch mal verlieren. Wir haben Algerien in der Weltmeisterschafts-Qualifikation ausgeschaltet und haben keine Angst vor dem Spiel. Wenngleich sie schon der Favorit sind. Sie haben im offensiven Bereich vier wunderbare Stürmer, die sie ohne Qualitätsverlust ein- und auswechseln können. Algerien hat eine Dynamik, die sehr schwer zu stoppen ist.
SPORT1: Nigeria war bisher auch schwer zu stoppen. Verraten Sie doch mal Ihr Erfolgsgeheimnis.
Rohr: Wir haben hart gearbeitet und seit sechs Wochen wirklich extrem gut trainiert. Wir hatten zu Beginn des Turniers einige verletzte Spieler und mussten uns konzentrieren, dass wir in den Rhythmus kommen. Das haben wir clever gemacht. Es haben bereits 19 oder 20 von meinen Jungs gespielt. Im dritten Spiel haben wir dann etwas ausgetauscht, weil wir da schon qualifiziert waren und den zweiten Torhüter und anderes ausprobieren konnten. Das zahlt sich jetzt aus.
"Ich will nicht unbedingt nur der Vater sein"
SPORT1: Wie war für Sie bisher die Zeit als Nigerias Nationalcoach?
Rohr: Es hat von Anfang an für mich gepasst. Menschlich und sportlich. Wir haben damals gleich die ersten drei WM-Qualifikationsspiele gewonnen und konnten 2018 schließlich zur WM nach Russland fahren. Das war ein Riesenerfolg für Nigeria. Wir hatten von Anfang an eine sehr junge Mannschaft. Es war auch mein Wunsch, das Team zu verjüngen. Das hat sofort geklappt. Auch der Mannschaftsgeist und die Solidarität innerhalb der Truppe, das waren sofort unsere Stärken.
SPORT1: Was noch?
Rohr: Junge frische Leute, die nicht nur wegen des Geldes kamen, sondern in erster Linie, um für das Land spielen zu dürfen. Wir haben eigentlich keine großen Stars, die in der Champions-League spielen. Im Vergleich zu Kamerun, bei denen Spieler von Ajax Amsterdam oder Paris Saint-Germain spielen. Wir haben Alex Iwobi, er ist beim FC Arsenal Ersatzspieler und Ahmed Musa aus Saudi Arabien, er spielt aber nicht immer auf höchstem Niveau. Alles andere ist kollektive Mannschaftsarbeit. Das bringt uns hoffentlich ins Finale.
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SPORT1: Sind Sie für die jungen Spieler auch eine Art Vaterfigur?
Rohr: Das sagen die Spieler bei den Journalisten. Nigeria ist wie eine kleine Familie. Und ich bin in dieser familiären Atmosphäre der väterliche Teil. Aber ich will nicht unbedingt nur der Vater sein, sondern der Trainer, der die Spieler versteht, sie auch auf dem Boden hält und sie lenkt, was in Afrika gar nicht immer einfach ist, wenn man die Begeisterung nach Siegen sieht. Ich möchte die Bescheidenheit bei den Spielern aufrecht erhalten. Das macht mich auch stolz und es macht Spaß.
SPORT1: Welcher Spieler in Ihrem Team hat Sie am meisten überrascht?
Rohr: Überrascht hat mich keiner, ich kannte sie alle schon sehr gut. Die Fortschritte von Samuel Chimerenka Chukwueze sind sehr beachtlich, ein junger Spieler vom FC Villarreal. Der Linksfuß, der auch gegen Südafrika der Mann des Spiels war. Auch unser Mittelfeld mit Etebo, Iwobi und Ndidi hat mir bisher sehr gefallen. Das funktioniert gut. Aber es ist eigentlich keine Überraschung, es ist die Bestätigung für die geleistete Arbeit.
Rohr über Favoritensterben: "Überheblichkeit wird bestraft"
SPORT1: Wie beurteilen Sie das bisherige Turnier?
Rohr: Alle starken Mannschaften haben sich für das Turnier qualifiziert, das auf 24 Mannschaften aufgestockt wurde. Die Fußballplätze und die Bedingungen sind alle hervorragend. Die Hitze ist abends erträglich, deshalb sind die Spiele um 18 Uhr möglich. Die Spiele ab 21 Uhr sind ebenfalls gut zu spielen. Nur die wenigen Spiele um 16.30 Uhr waren natürlich schwierig in der Sonne. Aber alles ist sehr gut organisiert. Wir spielen in einem sehr gastfreundlichen Land. Vor allem hatten wir zu Beginn des Turniers in Alexandria eine sehr schöne Zeit am Meer. Dies hat uns Kraft gegeben. In Kairo ist es leider nicht so schön, weil es sehr schmutzig ist, da muss man durch die Stadt mit viel Verkehr und einer extremen Hitze. Aber das bekommen wir alles hin.
SPORT1: Warum sind viele Favoriten wie zum Beispiel Ägypten früh gescheitert?
Rohr: Ich denke, sie waren nicht gut genug vorbereitet. Das Niveau ist sehr ausgeglichen und in einem Spiel ist alles möglich. Überheblichkeit wird sofort bestraft. Man hat den Eindruck, bei einigen der sogenannten Favoriten war dies der Fall. Gegen Kamerun haben wir das selbst gespürt. Sie dachten bereits in der Halbzeit, das Spiel sei gewonnen. Auch bei Ägypten hatte es nach den drei Siegen den Anschein, dass das Spiel gegen den Drittplatzierten der gegnerischen Gruppe bereits gewonnen sei. Sie haben die Stärke des Gegners unterschätzt. Warten wir ab, ob es noch weitere Überraschungen geben wird. Für mich war Madagaskar bisher eine der positiven Überraschungen des Turniers.