Ungläubig stapfte Leo Prantner durch die Mixed Zone der gewaltigen Herninger Handball-Arena. Der Italiener wusste nicht, wohin mit seinen Emotionen, nachdem ihm als Protagonisten zuvor ein kleines Handball-Wunder gelungen war.
Ein Comeback aus dem Bilderbuch
Klar, der Sieg gegen Tunesien am ersten Vorrundenspieltag der Weltmeisterschaft war nicht überraschend und fiel nach einseitiger erster Halbzeit deutlich aus (32:25). Die Begleitumstände dessen sind aber dennoch ganz besondere.
Teamkollege Domenico Ebner kamen die Tränen, als er in einer Gesprächsrunde mit SPORT1 Einblicke in seine Gefühlswelt gab. „Ich habe acht Jahre hier gespielt und hatte mit Italien das große Ziel, ein großes Turnier zu spielen“, sagte der im Breisgau geborene Torhüter, der sich für die italienische Nationalmannschaft entschied und eine ganz starke Leistung zeigte. Wie auch Prantner.
Nach Kreuzbandriss rechtzeitig fit für die Handball-WM
Der Rechtsaußen steht bei HBW Handball Balingen-Weilstetten unter Vertrag und musste im März einen bitteren Rückschlag wegstecken. Im Bundesligaspiel gegen die MT Melsungen zog er sich einen Kreuzbandriss zu und musste lange pausieren. Sein Klub stieg ab, für Prantner reichte es in der Vorrunde der aktuellen Saison zu keinem Einsatz mehr. Rechtzeitig zur WM war er wieder fit – und wie!
Bereits in der Vorbereitung spielte der 23 Jahre alte Linkshänder groß auf, nur um zum Turnierauftakt alle Erwartungen zu pulverisieren. Lange sah es so aus, als würde Prantner das perfekte Spiel gelingen. Zur Pause hatte er alle seine neun Würfe im gegnerischen Tor versenkt und seinem Team eine komfortable Führung verschafft. Wieder und wieder hatte er in Tempogegenstößen seine Schnelligkeit ausgespielt.
Auch der erste Versuch in Halbzeit zwei saß. Dann scheiterte Prantner aus sieben Metern. „Natürlich ärgert man sich ein bisschen im Spiel“, sagte er auf Nachfrage von SPORT1. Doch der Sieg und das für ihn immer noch surreale Erlebnis Weltmeisterschaft stehe über allem. „Ich hätte auch alle verwerfen können.“ Wenig überraschend stellte der Südtiroler mit seiner Torausbeute auch einen Landesrekord auf.
„Wir haben ganz Italien stolz gemacht“
Schließlich kann Italien nicht auf eine prall gefüllte Handballhistorie zurückblicken. Erst einmal gelang die Qualifikation für eine WM. 1997 reichte es mit einem Sieg in fünf Spielen nur für Rang 18. Auf die zehn Treffer von Prantner kam damals keiner. Und nach einer EM-Teilnahme im Folgejahr (Platz elf von zwölf) verschwand Italien für lange Zeit von der großen Bühne. Damals als Spieler dabei: Jürgen Prantner, Vater von Leo und mittlerweile Co-Trainer der Nationalmannschaft.
Für Leo Prantner, den so lange Verletzten, der seine Nation zurück auf die Handball-Landkarte gebracht hatte, war das Geschehene folglich kaum zu verarbeiten. „Wir haben ganz Italien stolz gemacht“, war er von seinen Emotionen überwältigt. Er sprach ein großes Dankeschön an seine Teamkollegen und an all jene aus, die ihn während seiner Leidenszeit unterstützt hatten. „Vor ein paar Monaten konnte ich noch nicht einmal Handball spielen - und jetzt stehe ich hier bei so einem großen Event. Das ist schon mega geil.“
Den Italienern war von der ersten Sekunde an deutlich anzumerken, wie besonders für sie die Gelegenheit ist, sich einem weltweiten Publikum zu präsentieren. Jede Aktion wurde abgefeiert, Torhüter Ebner pushte seine Mitspieler ununterbrochen. Mitte der ersten Halbzeit rannte er sogar nach vorne und feierte seinen Teamkollegen Tomas Bortoli ab, als dieser einen Siebenmeter herausgeholt hatte.
„Die Leute wussten nicht, was Handball ist“
Nach dem ersten Etappenziel soll für Prantner und Co. nicht Schluss sein. Neben den übermächtigen Dänen wartet am Donnerstag außerdem noch Algerien in der Vorrunde - stärker einzuschätzen als Tunesien, aber für Italien keineswegs unschlagbar. Mit einem weiteren Erfolg wäre der Einzug in die Hauptrunde sichergestellt. Dort würde es aller Wahrscheinlichkeit nach auch zum Duell mit Deutschland kommen.
Prantner richtete den Blick allerdings auch auf die generelle Entwicklung des Sports in seinem Heimatland. Viele Jahre sei die Sportart „einfach nicht bekannt“ gewesen, „die Leute wussten nicht, was es ist.“ Nun werde Handball auch in den Schulen viel mehr unterrichtet. Erste Früchte seien bereits zu sehen. Große Teile der Mannschaft sind unter 25.
Ebner, der seinem Kollegen Prantner aufgrund dessen Qualitäten eine baldige Rückkehr in der Bundesliga prophezeit, sieht im italienischen Handball „eines der spannendsten Projekte in den nächsten Jahren. Wir haben die Infrastruktur, können die Hallen übernehmen vom Basketball, vom Volleyball. Diese Sportart kann in Italien sehr schnell wachsen.“
Mit weiteren sportlichen Ausrufezeichen bei der Weltmeisterschaft könnte diese Entwicklung beschleunigt werden.