„Das ist eine meiner großen Sorgen.“ Eigentlich bekam Deutschlands Handball-Nationaltrainer Alfred Gislason nur eine Frage zu Leistungsträger Juri Knorr gestellt. Es ging darum, ob es gut sei, dass dieser nicht mehr so stark im Fokus stehe wie bei vorangegangenen Turnieren.
Eine große Sorge treibt Gislason um
Spätestens bei der Weltmeisterschaft 2023 hatte sich dieser nämlich ins ganz grelle Rampenlicht gespielt. Der heute 26 Jahre alte Knorr erzielte auf dem Weg zu Platz 5 53 Tore (Platz 3 in der Torschützenliste), mehr als jeder andere Deutsche. Auf die 52 Torvorlagen des Spielmachers kam sogar kein einziger WM-Teilnehmer. Folgerichtig wurde er zum besten Jungprofi des Turniers gewählt – und machte sich somit auch bei jenen einen Namen, die sich nicht regelmäßig mit Handball beschäftigen.
Logischerweise stand Knorr im Fokus einer breiten Öffentlichkeit, Medienanfragen stiegen rasant an und seine Leistungen wurden fortan einer besonders genauen Analyse unterzogen. So auch bei der Heim-Europameisterschaft im vergangenen Januar. Der Ausgang war mit Platz vier erfreulich, doch bei Knorr lief es nicht durchgehend rund.
Im ersten Hauptrundenspiel gelang ein knapper Sieg gegen Island, wonach mehrere Ex-Handball-Stars deutliche Worte in Knorrs Richtung fanden. Pascal Hens bezeichnete einige Entscheidungen von Knorr auf dem Spielfeld als „Harakiri“ und „Selbstmordkommando“, Stefan Kretzschmar unterstellte ihm, im Spiel „besonders cool und lässig“ wirken zu wollen.
Knorr-Klartext nach deutlicher Kritik
Kritik, die Knorr nach einer weiteren durchwachsenen Leistung gegen Österreich nicht auf sich sitzen lassen wollte: „Man sollte immer das große Ganze sehen, bevor man mit dem Finger auf den anderen zeigt.“ An die Journalisten gerichtet, sagte er weiter: „Ich weiß nicht, was ihr wollt. Ich glaube, ihr wollt, dass wir erfolgreich sind, oder? Wenn wir alle das gleiche Ziel haben, dann sollten wir auch so lange dafür arbeiten, solange es möglich ist.“
Gislason hatte sicher auch diese Ereignisse im Hinterkopf, als er nun am Freitag beim Medientag des deutschen Handballbundes seine eindringlichen Worte wählte. Bereits bei besagter WM in Polen und Schweden sei Knorr „aus allen Richtungen belagert“ worden. Damit, so der Isländer, habe Knorr „eine Weile ziemlich große Probleme“ gehabt – „egal, was er gemacht hatte, alles wurde auf die Goldwaage gelegt“.
Nun ist es ein anderer Spieler, den Gislason dieser Gefahr ausgesetzt sieht: Renars Uscins. Der wurfgewaltige Rückraumspieler von der TSV Hannover-Burgdorf entwickelte sich nach seinem Debüt in der A-Nationalmannschaft im März 2023 schnell zu einem integralen Bestandteil des Teams. Kurz darauf gewann er mit den U21-Junioren die Weltmeisterschaft – als Kapitän. Und spätestens seit dem unfassbaren Olympia-Viertelfinale gegen Gastgeber Frankreich, als Uscins Deutschland in letzter Sekunde in die Verlängerung rettete, dürfte ihn nahezu jeder Sportinteressierte kennen.
Uscins „kann Geschichte nicht zehnmal erzählen“
Im Bezug auf die Entwicklungen, die es bei Knorr gab, sagte Gislason also: „Die große Sorge, die ich jetzt habe, ist, dass dieser Medienfokus auf Renars übergegangen ist. Ich befürchte, dass wir versuchen müssen, ihn ein bisschen aus diesem Trubel, den ihr macht, wegzuhalten.“
Dass sich viele Dinge für Uscins verändert haben, verdeutlichte auch der Spieler selbst, der von einer Vielzahl von Anfragen berichtete. Seine „Geschichte“ gebe es allerdings nur einmal. „Und die kann man dann halt nicht zehnmal erzählen.“ Uscins zeigte sich allerdings skeptisch, ob sich dies allzu schnell ändern werde.
Und Knorr? Während Gislason lobend hervorhob, dass der Spieler der Rhein-Neckar Löwen mit dem Druck mittlerweile deutlich besser umgehen könne und „befreit“ aufspiele, wies dieser auf den großen Druck bei Großereignissen hin. „Es gibt eine große Erwartungshaltung, auch an mich selbst. Für uns Handballer in der Nationalmannschaft ist der Januar immer eine Extremsituation, auf die man sich nicht so richtig vorbereiten kann. Im restlichen Jahr gibt es nicht diese Berichterstattung.“
Doch Knorr betonte auch, dass es ihm ein bisschen „Ruhe“ gebe, „dass ich Teil einer Mannschaft sein kann, die vorne mitspielt.“ Zudem vertraue er darauf, „dass ich dazugelernt habe ich den letzten Jahren und weiß, wer ich bin und wofür ich stehe.“ Handball sei zwar „ein wesentlicher Lebensinhalt von mir und entscheidet darüber mit, wie es mir geht - aber auch nicht komplett. Ich versuche, das alles nicht zu ernst zu nehmen. Die Welt dreht sich auch danach weiter.“
Vielleicht kann sich auch Uscins von Knorrs Strategien zum Umgang mit den hohen Erwartungen etwas abschauen.