Am Wochenende stehen für die deutsche Handball-Nationalmannschaft die ersten Tests nach der Europameisterschaft auf dem Programm (Deutschland vs. Ungarn 16 Uhr LIVE auf SPORT1).
Bitter: „Keinen großen Spaß gemacht“
Dabei muss das Team von Bundestrainer Alfred Gislason ohne Routinier Johannes Bitter auskommen. Der erfahrene Torhüter steht nicht mehr zur Verfügung, auch wenn er bei der EM im Januar noch einmal aus der Not heraus sein Comeback gegeben hatte.
Im SPORT1-Interview spricht Bitter über seinen Rücktritt aus dem DHB-Team, das Not-Combeback, den Abschied von Patrick Wiencek und die Zukunft der Nationalmannschaft. Daneben setzt der 39-Jährige seinen Fokus auf den angepeilten Klassenerhalt in der Handball-Bundesliga mit dem HSV Hamburg.
SPORT1: Herr Bitter, Sie sind im Sommer nach fünf Jahren in Stuttgart nach Hamburg zurückgekehrt. Haben Sie sich schnell wieder hier einleben können? Wie fällt Ihr Fazit der ersten Monate aus? (NEWS: Alles zum Handball)
Johannes Bitter: Ich bin gerne nach Hamburg zurückgekommen. Das Einleben war nicht schwer, weil ich vorher schon viel gependelt bin und mein Teillebensmittelpunkt immer in Hamburg war. Von daher habe ich mich schnell wohlgefühlt. Auch in der Mannschaft macht es unheimlich viel Spaß und ich glaube, dass es wirklich stark ist, was wir in dieser Saison bisher geschafft haben. Auch wenn wir mal ein paar Spiele in Folge verloren haben, haben wir nie den Glauben an uns selbst verloren. Wir sind froh, dass wir trotz einiger Niederlagen immer noch ein kleines Polster zu den Abstiegsrängen haben. Das war unser Ziel und das haben wir bis heute erreicht. Jetzt können wir recht beruhigt in die weiteren Saisonspiele gehen und werden unsere Punkte ganz sicher noch holen.
Bitter: „Alle haben gerne ein paar Überstunden gemacht“
SPORT1: Sie haben den Aufstieg in die 1. Liga live miterlebt und anschließend auch schon mitgefeiert. Wie sehr hat das bei Ihrem Amtsantritt hier beim HSVH nochmal gepusht?
Bitter: Ich war schon das letzte halbe Jahr vor meinem Wechsel emotional total involviert, weil es für mich natürlich auch wichtig war, dass das mit dem Aufstieg in die 1. Liga auch klappt. Natürlich habe ich mich wahnsinnig gefreut und ich glaube, es hat alle Leute hier im Verein nochmal gepusht, dass es am Ende wirklich geklappt hat. Alle haben hier gerne ein paar Überstunden gemacht, alle haben nochmal die Extraportion herausgeholt, um den Erfolg in dieser Saison auch irgendwie vorzubereiten.
SPORT1: Sie haben vor Ihrer Zeit beim TVB Stuttgart bereits in Hamburg, damals noch für den HSV Handball, gespielt. Hat sich durch den Neustart wirklich alles verändert oder gibt es Dinge, die immer noch wie früher sind?
Bitter: Es hat sich schon einiges verändert. Wahrscheinlich deutlich mehr als die Hälfte, aber zumindest die Trainingshalle und die Räumlichkeiten hier sind gleichgeblieben. Von daher hat es noch ein bisschen die Anmutung von damals, aber der Spirit ist jetzt ein völlig anderer. Nicht schlechter und nicht besser, sondern einfach anders. Wir sind jetzt Teil eines neuen Klubs mit einer neuen Philosophie und das macht uns allen sehr viel Spaß.
DHB-Rückzug: „Schon vor den Spielen klar“
SPORT1: Neben der Bundesliga sind Sie auch auf der internationalen Handballbühne aufgetreten. Haben insgesamt 175 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft absolviert. Vergangenes Jahr haben Sie dann beschlossen, sich etwas zurückzuziehen und nur noch für Notfälle bereitzustehen. Was war der Grund für die Entscheidung?
Bitter: Für mich hatte dieser olympische Zyklus nochmal einen großen Reiz – und dann natürlich bis zu den Olympischen Spielen auch zu spielen. Nach Olympischen Spielen findet oft ein Umbruch statt und es ist ganz normal, dass dann junge Leute herangeführt werden. Deshalb war es mit dem Bundestrainer so besprochen, dass ich dann auch zurücktrete und es war für mich eigentlich auch schon vor den Spielen klar, dass es so kommen wird. Ich wäre natürlich gerne mit einer Medaille abgetreten, aber das hat leider nicht geklappt. Ich glaube aber, dass die Mannschaft eine große Zukunft vor sich.
SPORT1: Wie schwer ist Ihnen dieser Schritt, die Nationalmannschaft zu verlassen, gefallen? Sie sind schließlich fast zehn Jahre Teil der Nationalmannschaft gewesen.
Bitter: Ich habe zwischendurch ja auch schon einmal ganz bewusst eine längere Pause von der Nationalmannschaft genommen, aber die letzten Jahre haben mir nochmal wahnsinnig viel Spaß gemacht und ich habe es jedes Mal genossen. Gerade mit diesem großen Ziel, noch einmal bei den Olympischen Spielen zu spielen, war der Fokus immer ganz klar. Die Teilnahme an Olympischen Spielen ist etwas Einmaliges, was sich ganz viele Leute wünschen, aber womöglich nie erreichen. Von daher habe ich diese große Ehre immer wieder gespürt.
Wiencek-Rücktritt überrascht Bitter
SPORT1: Neben Ihnen haben zu dem Zeitpunkt auch Uwe Gensheimer und Steffen Weinhold Ihre Karriere im Nationalteam beendet. Würden Sie sagen, dass gerade so eine Art Umbruch stattfindet? Dass jetzt die Zeit für die jüngere Generation langsam kommt?
Bitter: Ja, das ist wie gesagt ganz normal. Im Idealfall gibt es alle vier Jahre Olympische Spiele und danach ist der Bundestrainer irgendwie auch in der Pflicht, neue Leute einzubauen, weil das einfach der Gang der Dinge ist. Da gilt es, den nächsten olympischen Zyklus vorzubereiten und da wieder möglichst erfolgreich zu sein. Ich glaube, viele von den genannten Spielern waren auch vorher schon in Gedanken so weit, dass sie sagen, ,es war eine tolle Zeit, aber weitere vier Jahre werden es nicht werden‘.
SPORT1: Ganz aktuell hat jetzt gerade auch Patrick Wiencek nach mehr als 12 Jahren seine Nationalmannschaftskarriere beendet. Wie haben Sie die Meldung aufgenommen? Waren Sie überrascht?
Bitter: Ich war tatsächlich kurz überrascht, weil ich es vorher nicht wusste und es jetzt mitten in der Saison war. Ich habe größten Respekt vor seiner Leistung und vor dem, was er immer wieder abliefert. Bei einem Top-Team wie dem THW Kiel absolviert er 70, 80 Spiele in der Saison und spielt mehr oder weniger durch. Da ist es klar, dass diese Entscheidung irgendwann mal reift.
Bitter: So lief das Not-Comeback bei der EM
SPORT1: Sie haben ja zu Beginn des Jahres noch einmal in der Not Ihr Comeback gegeben, wurden für die EM nachnominiert. Wie ist das genau abgelaufen? Haben Sie gezögert oder kam sofort das Ja?
Bitter: Natürlich musste ich das kurz besprechen und zehn Minuten drüber nachdenken, aber lange gezögert habe ich nicht. Ich hatte ja versprochen, dass ich zur Verfügung stehe, wenn wirklich etwas passiert. Ich habe natürlich im Traum nicht daran gedacht, dass bei einem Turnier drei Torhüter auf einmal ausfallen. Das ist vorher noch nie passiert und wird wahrscheinlich auch nie wieder passieren. Von daher war mir dann aber auch klar, dass ich das jetzt machen muss und habe es aus voller Überzeugung gemacht.
SPORT1: Hat das nochmal Lust auf mehr gemacht? Kann es sein, dass es nochmal in der Not ein Comeback gibt oder war das jetzt der endgültige Schlussstrich?
Bitter: Das kann ich mir im Moment nicht vorstellen und dieses Turnier, unabhängig vom sportlichen Erfolg, hat nicht Lust auf mehr gemacht. Ich denke, das wissen wir alle. Das war ein Turnier, das nicht unter den günstigsten Vorzeichen stattgefunden hat und hat den Spielern insgesamt mit all den Nebengeräuschen keinen großen Spaß gemacht.
SPORT1: Sie haben es selbst bereits angesprochen. Die EM war ein großes Corona-Chaos, sicherlich auch mit Schuld daran, dass Deutschland nicht so ganz sein Ziel erreicht hat bei dem Turnier. Wie sehen Sie die Zukunft der Mannschaft? Gibt es ebenbürtige Nachfolger für die Weltmeistermannschaft von 2007?
Bitter: So einen Erfolg wie 2007 kann man nicht auf den Punkt planen, das ist vollkommen klar. Aber ich glaube, dass der Bundestrainer gerade in den letzten zwei Jahren eine wichtige Sache weiterentwickelt hat. Wir gehen besser nach vorne, wir haben teilweise jetzt auch bei der EM mit einer nicht eingespielten Mannschaft überragende Spiele im Angriff gemacht. Klar, wenn du ein Turnier gewinnen willst und eine Medaille holen willst, sind die Abwehr und die Torhüter immer die Basis. Diese Basis haben wir mit Sicherheit. Wir haben gute junge Leute, die da noch weiter hineinwachsen werden. Und wir haben mit Johannes Golla jemanden, der das leiten kann und der auch in der Abwehr ein gewichtiges Wort mitzureden hat. Wir haben mit Andi (Andreas Wolff, Anm. d. Red.) und Till Klimpke Torhüter, die hinten mal zumachen können. Also mir ist da ganz und gar nicht bange für die Zukunft.
Bitter glaubt an Klassenerhalt mit HSVH
SPORT1: Kommen wir noch einmal auf Ihre Aufgabe hier beim HSVH zurück. Wie zufrieden sind Sie bisher mit Ihren Auftritten in der ersten Saison in Liga 1?
Bitter: Wenn wir Stand heute einfach auf die Tabelle schauen, müssen wir alle zufrieden sein. Das darf nicht anders sein. Mehr kann man nicht erwarten von dieser Mannschaft und von dem, was in den letzten Monaten passiert ist. Trotzdem sind wir jetzt natürlich angehalten, noch ein paar Spiele zu gewinnen, um den Klassenerhalt zu sichern. Ich glaube aber, dass wir bis zum Ende der Saison die Punkte holen werden, die uns von den Abstiegsrängen fernhalten.
SPORT1: Wenn wir einen Blick auf die Zukunft werfen, was sind Ihre gesteckten Ziele mit dem Verein?
Bitter: Gefühlt sind wir mit unserer jetzigen Mannschaft zwar noch nicht am Optimum, aber schon so bei 80, 85 Prozent von dem, was wir mit diesem Kader leisten können. Wir hoffen, dass sich das zur neuen Saison ein Stück weit ändert, wenn wir Verstärkung durch unsere Neuzugänge bekommen. Wir wollen uns Stück für Stück wieder in der Liga etablieren. Und irgendwann in der Zukunft soll natürlich auch wieder ein einstelliger Tabellenplatz herauskommen. Und mal sehen, was dann noch so möglich ist.
SPORT1: Sie haben einen Vertrag bis 2026 unterschrieben. Wie lange wird man Sie noch aktiv auf dem Feld sehen können, bevor Sie nur noch neben dem Spielfeld tätig sind?
Bitter: Ich habe noch viereinhalb Jahre Vertrag als Spieler und den möchte ich erfüllen.