Bei der am Donnerstag beginnenden Handball-EM wird ein Mann fehlen: Bob Hanning.
Hanning-Vorwurf an den DHB
Zwischen 2013 und 2021 war der heute 53-Jährige als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes aktiv, ehe er sein Amt im Oktober niederlegte. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der Handball-EM)
Das Wort des Machers der Füchse Berlin, der jahrelang produzierte, polarisierte und auch provozierte und seine Erfahrungen in der Autobiografie „Hanning. Macht. Handball.“ zum Besten gab, hat aber weiterhin Gewicht.
Im SPORT1-Interview vor der Handball-EM, bei der Deutschland am Freitag mit der Partie gegen Belarus einsteigt, spricht Hanning über die deutschen Chancen, Andreas Wolff und eine mögliche Zukunft im Fußball.
SPORT1: Herr Hanning, mit welchen Gefühlen gehen Sie in die EM? Ist der Druck oder die Aufregung eine andere als Vizepräsident?
Bob Hanning: Es ist insofern entspannter, weil es keinen Tagesbedarf gibt. Aber die Hoffnung und Freude an den Erfolgen ist genauso groß – mit oder ohne Amt.
SPORT1: Wo steht die deutsche Nationalmannschaft aktuell im Vergleich zur Weltspitze – und was ist bei der EM drin?
Hanning: Schon bei den letzten Turnieren war das sehr eng. Wenn man das Ägypten-Spiel (Niederlage bei Olympia im Viertelfinale, Anm. d. Red.) positiv gestaltet hätte, wäre man Richtung Halbfinale unterwegs gewesen. Wir sind überhaupt nicht weit weg von der Weltspitze, sollten uns aber in diesem Turnier eher ein Stückchen rausnehmen - ähnlich wie 2016. Die Spieler sollen mit Freude und Leidenschaft agieren und die Menschen vor den Fernsehbildschirmen begeistern.
SPORT1: Hätten Sie das auch als DHB-Vizepräsident noch so formuliert?
Hanning: Ja! Ich bin immer ein Fan von hohen Zielen, in dem Fall bin ich aber der Meinung, dass man gut daran tut, die Mannschaft sich entwickeln zu lassen. Die Gruppenauslosung gibt einem dazu auch die Möglichkeit.
SPORT1: Gibt es Parallelen zu der Situation 2016, als Deutschland überraschend Europameister wurde? Oder ist das eher eine reine Hoffnung, weil die jetzige Mannschaft auf den ersten Blick nicht wie ein Medaillenkandidat erscheint und man sich ein solches Märchen erhofft? (NEWS: Alles Wichtige zum Handball)
Hanning: Es gibt Parallelen, eindeutig. Aber nicht jedes Märchen geht mit einem Happy End zu Ende.
Hanning: Wolff muss bei Handball-EM Unterschied machen
SPORT1: Inwieweit wird es bei der EM auf Andreas Wolff ankommen, der bei der WM 2021 nicht sein bestes Turnier erwischt hat und bei den Länderspielen Ende 2021 nicht mehr berücksichtigt worden war, jetzt aber als Nummer 1 ins Turnier geht? (Bericht: Wird Wolff zum großen Faktor?)
Hanning: Andi kann und muss den Unterschied machen. Dafür muss er sich maximal wohlfühlen - und wertgeschätzt werden. Die jetzige Konstellation macht ihm das einfacher, zu dem alten Andi Wolf zu werden, der er in früheren Turnieren war. (News: Deutsche Torhüter-Entscheidung gefallen)
SPORT1: Sie haben selbst im SPORT1-Interview im August von einem goldenen Jahrzehnt des Handballs gesprochen mit Blick auf die Heim-WMs und -EMs. Wie wichtig wäre in dieser Hinsicht zwar nicht zwingend eine Medaille, aber eine Euphorie entfachende Nationalmannschaft?
Hanning: Gerade im Zuge der Pandemie tut uns jeder Erfolg gut und ist für jeden Sportbegeisterten Balsam auf der Seele. Es wäre schön, wenn wir wieder an alte Erfolge anknüpfen könnten. Ich sage immer: Nicht das Erlebnis zählt, sondern das Ergebnis. In diesem Fall bin ich aber der Meinung, dass wir auch über das Erlebnis kommen können, wenn wir mit Leidenschaft auftreten.
Hanning: DHB soll sagen, mit wem er ein Problem hat
SPORT1: Glauben Sie an eine relativ reibungslos und fair verlaufende EM – oder wird Corona zum Problem?
Hanning: Corona ist schon ein großes Problem für viele Mannschaften. Wir sind belächelt worden für unsere Vorsicht, aber im Moment scheint es so, dass wir dafür belohnt werden. Die Mannschaft mit den wenigsten Corona-Zwischenfällen hat die größten Chancen. (DATEN Tabellen der Handball-EM)
SPORT1: Ein großes Diskussionsthema waren zuletzt auch die Absagen in der Nationalmannschaft. Axel Kromer hat verlauten lassen, dass einige Spiele „ihre Karriere aus unterschiedlichsten Gründen nicht so konstant im Nationalteam sehen, wie es in anderen Nationen der Fall ist. Das ist eine Sache, die uns nicht gefällt.“ In einem Artikel war von einer „Wertedebatte, die für eine ganze Sportart gefährlich ist“ die Rede. Wie beurteilen Sie das?
Hanning: Verdiente Spieler wie Uwe Gensheimer haben das Recht, Karrieren zu beenden. Auch Spieler mit einer extremen Belastung von Mannschaften, die in der Champions League spielen, dürfen mal ein Turnier auslassen, weil anders als im Fußball, jährlich ein Großevent auf dem Plan steht. Zudem gibt es tatsächlich persönliche Gründe oder verletzungsbedingte Absagen, die man akzeptieren muss. Ich fand die Absage von Fabian Wiede bei den Olympischen Spielen nicht zwingend notwendig. Die Absage beim jetzigen Turnier ist für mich aber mehr als nachvollziehbar. Ein Paul Drux, der jedes Turnier trotz Verletzungen gespielt hat, darf auch mal auf ein Turnier verzichten. Es darf nur nicht zur Routine werden, und es ist nicht alles über einen Kamm zu scheren. Wenn man die Fälle anspricht, dann soll man auch Ross und Reiter nennen und die Kritik nicht allgemein halten. Wenn der DHB mit der Entscheidung eines Spielers ein Problem hat, dann soll er auch sagen, mit wem er ein Problem hat und warum.
SPORT1: Also sehen Sie auch keine grundsätzliche Wertedebatte.
Hanning: Überhaupt nicht.
Hanning vor Handball-EM: Viele Spieler besser als Knorr
SPORT1: Wie stehen Sie zur Personalie Juri Knorr, der wegen seines Status als Ungeimpfter nicht zur EM darf. Verpasst er nicht dadurch eine große Chance, den nächsten Schritt seiner Entwicklung zu machen? Sie haben im August 2021 bei SPORT1 erklärt: „Die nächsten zwei Jahre werden zeigen, wo sein Weg hingeht.“
Hanning: Um das klar zu sagen: In dieser Saison waren viele Spieler besser als Juri Knorr mit seinen gezeigten Leistungen – geimpft oder nicht geimpft. Beim Impfen ist das ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wir sollten über Vorbild führen. Wir nehmen ja auch viele Schmerztabletten ein und hinterfragen das nicht. Auf der anderen Seite muss man Beweggründe akzeptieren. Die von Juri Knorr sind mir nicht genug bekannt, deswegen kann ich dazu auch kein Urteil abgeben.
SPORT1: Fehlen werden bei der EM auch Ihre ausgefallenen Outfits. Wer bringt denn jetzt ohne Sie Farbe ins Spiel? (Das Rätsel Bob Hanning)
Hanning: (lacht) Ich würde mich freuen, wenn die Mannschaft Farbe ins Spiel bringt. Das wäre das Beste, was uns passieren könnte. Dabei sollten wir es auch belassen.
Hanning: Hertha-Wende gegen Union oder Bayern
SPORT1: Und wann starten Sie eine Rettermission bei Hertha BSC? Oder eher beim Hamburger SV? In Ihrer Autobiografie heißt es: „Wenn mich in Hamburg noch einmal eine sportliche Aufgabe reizen würde, dann tatsächlich im Fußball.“
Hanning: (lacht) Ich glaube, dass Hertha mit der jetzigen Spitze Schiller/Bobic gut aufgestellt ist. Ich würde mir wirklich wünschen, dass sie am Mittwoch im DFB-Pokal gegen Union Berlin die Wende hinkriegen. Und wenn das nicht reichen sollte, dann bitte am Wochenende drauf gegen Bayern München. Zum HSV: Da gilt nur mein Wunsch den handelnden Personen, dass wir sie endlich in der Bundesliga sehen. Denn sie gehören wie die Handballer in die erste Liga.
SPORT1: Aber wäre denn ein Engagement im Fußball noch reizvoll für Sie?
Hanning: Nein. Wenn ich in meinem Leben noch was außerhalb des Handballs tun würde, dann etwas ganz anderes. Aber ich fühle mich bei den Füchsen sehr wohl. Wir versuchen uns Richtung Champions League zu orientieren, spätestens im nächsten Jahr. Das wird viel Kraft kosten. Ansonsten halte ich Vorträge für Führungskräfte, das macht mir auch extrem viel Spaß und ist etwas, das mich gereizt hat. Und mit dem Trainerjob beim VfL Potsdam bin ich dann auch komplett ausgelastet.