Es war, als wäre er nie wirklich weg gewesen.
Papa Bitter als EM-Retter
Und voll da war Johannes Bitter spätestens Mitte der ersten Halbzeit. (NEWS: Alles Wichtige zum Handball)
Als der Keeper im Eins-gegen-Eins gegen Arkadiusz Moryto nervenstark Sieger blieb (21. Minute), dürfte Handball-Deutschland geahnt haben, dass sich diese Nachnominierung als ganz großer Glücksgriff entpuppen mag. (BERICHT: Geht die EM für Deutschland jetzt erst richtig los?)
Bitters Leistung bei der Gala des DHB-Teams im letzten EM-Vorrundenspiel gegen Polen (30:23) ist gar nicht hoch genug einzuordnen, mit Blick auf seine irre Reise zurück aufs EM-Parkett.
Bitter wird Vater und EM-Retter
„Man muss sich das vor Augen halten: Wenn man vor ein paar Tagen erst Papa geworden ist und deshalb wahrscheinlich auch wenig Schlaf dazu kommt, dafür aber viele neue Emotionen, dann ist das schon etwas ganz Besonderes“, verneigte sich Paul Drux auf SPORT1-Nachfrage vor seinem Teamkollegen
Erst vor wenigen Tagen wurde Bitter zum vierten Mal Vater, Lebensgefährtin Anna Loerper, die selbst 246 Länderspiele für die DHB-Frauen absolvierte, brachte das erste gemeinsame Kind zur Welt.
Dann klingelte am Montagabend beim Abendessen das Telefon. „Ich sah dann irgendwann, ich habe einen verpassten Anruf von Alfred Gislason“, berichtete Bitter - der sich für den Notfall zur Verfügung gestellt hatte und sein Wort hielt.
Und so klingelte am Dienstag um 4.30 Uhr der Wecker (“Dadurch dass ich in den letzten zehn Nächten auch nicht so viel geschlafen habe, war das jetzt nicht so komplett ungewöhnlich“) und der Keeper machte sich auf nach Bratislava, um dort Deutschlands Handballern den Hintern zu retten.
„Das zeigt erstens, was für ein unglaublicher Sportsmann er ist, aber auch, wie er sich in den Dienst der Mannschaft und des Verbandes stellt und vor dieser Herausforderung nicht zurückschreckt“, dankte Drux bei SPORT1: „Da gebührt ihm schon ein Riesenrespekt.“
Bitter: Rücktritt nach Olympia - furioses EM-Comeback
Das Comeback war denn auch zu herausragend: Sechs ganz starke Paraden, darunter ein unangenehmer Flatterball des Polen Michal Daszek (16.), gerade mal sieben Gegentore nach 20 Minute.
Und immer wieder ballte Bitter die Faust in Richtung deutscher Bank, motivierte und euphorisierte. (das Spiel zum Nachlesen im Liveticker)
Zur Erinnerung: Vor 20 (!) Jahren hatte der Torhüter des HSV Hamburg sein Debüt in der Nationalmannschaft gegeben, 170 Spiele später nach den Olympischen Spielen in Tokio seinen Rücktritt aus dem DHB-Team erklärt - um nun also in der Stunde der größten Not wieder zurückzukehren.
Gleich neun (!) Corona-bedingte Personalausfälle hatten das Team bis zum Anpfiff ereilt - mit gravierenden Folgen nicht zuletzt für die Position zwischen den Pfosten.
Mit der Folge, dass nach den positiven Tests von Andreas Wolff und kurzfristig auch noch Till Klimpke der zehn Stunden vor Anwurf in Bratislava noch auf Reisen befindliche Bitter sogar der einzige Torhüter im deutschen Kader war.
Als absoluter Notnagel hatte sich Drux (ebenfalls nachgereist) zur Verfügung gestellt, falls auch Bitter noch ausgefallen wäre. „Ich habe mich in der Halbzeit sogar schon warm gemacht. Ich weiß nicht, warum Alfred dann nicht auch mal gewechselt hat“, scherzte der Rückraumspieler Paul Drux: „Man kann froh sein, dass ich nicht ins Tor gehen musste.“
All das war kein Grund zur Nervosität für Bitter, den Weltmeister von 2007: Von der ersten Minute an avancierte er zum erhofften Rückhalt. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der Handball-EM)
Handball-EM 2022: Bitter lässt Polen verzweifeln
Sogar mehr als das: Am Ende standen für den bereits 39 Jahre alten Schlussmann des HSV Handball starke 25 Prozent gehaltene Würfe (7 von 28) in der Statistik.
Und das, obwohl er gar „nicht viel Handball trainiert“ habe „in den letzten Tagen“, wie er der Hamburger Morgenpost gestand.
Trotzdem wirkte es so, als spielten Bitter und seine neuen, aus vielen Rookies bestehenden Vordermänner schon seit einer Ewigkeit zusammen. Die deutsche Abwehr zauberte eine Weltklasseleistung auf die Platte. (DATEN Tabellen der Handball-EM)
Bitter: So lief die Rückkehr nach dem Gislason-Anruf
Erst am Tag vor dem Polen-Spiel hatte der Bundestrainer bei dem Torhüter angeklopft und ihn um sein Comeback gebeten.
Und für Bitter, der nun bereits sein zehntes großes Turnier spielt, war es eine Selbstverständlichkeit, das Team nicht hängen zu lassen, fühlte sich der Vorbild-Profi in der Verantwortung.
„Wenn man sagt, dass man im Notfall bereit ist und der Bundestrainer anruft, dann muss man zu seinem Wort stehen“, erklärte der Routinier.
Trotz Happy End gegen Polen - der Weg dahin hatte Bitter doch einiges abverlangt, vor allem mental: „Wenn ich die letzten 12 bis 15 Stunden Revue passieren lasse, war das das Verrückteste, was ich im Handball je gemacht habe“, sagte er.
Immerhin körperlich sei es indes kein absoluter Kaltstart gewesen, versicherte Bitter schon vorab. Er habe im Kraft- und Konditionsbereich trainiert, weshalb er überzeugt war, entsprechende Leistungen zu zeigen: „Ich möchte dem Team in dieser schwierigen Lage helfen und werde mein Möglichstes tun.“
Ex-Teamkollege Christophersen lobt Leistungsbreite
Doch nicht nur Bitters Bereitschaft und Leistung nötigte seinem ehemaligen Teamkollegen Sven-Sören Christophersen Respekt ab.
Der mittlerweile in der Geschäftsführung des TSV Hannover-Burgdorf tätige Ex-Nationalspieler sagte im ZDF: „Welche Nation schafft das, dass neun Leistungsträger ausfallen und man dann so hochqualitativ nachlegt? Das zeigt die enorme Breite.“
Bitter lässt Deutschland auch halbwegs entspannt in die Hauptrunde gehen. (die Handball-EM im LIVETICKER)
Zum Auftakt gegen Handball-Hochkaräter Spanien soll der 39-Jährige, neben dem nun noch Daniel Rebmann (Frisch Auf Göppingen) als Keeper zum Team stößt, zur nächsten Topleistung auflaufen - und sich weder verletzen, noch coronabedingt positiv auffallen.