Es hatte sich mal wieder gelohnt, auf Bob Hanning zu warten.
Das Rätsel Bob Hanning
Der Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes fand nach dem überzeugenden Sieg gegen Österreich klare Worte – auch wenn er dabei zunächst auch die Pressevertreter ins Visier nahm.
"Das ist ganz großer Journalismus, dazu kann ich euch allen nur gratulieren", sagte der DHB-Vizepräsident - angesprochen auf die Diskussionen um Christian Prokop - mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus.
Hannings unglückliche Formulierung
Schließlich hätten die Medien das Trainer-Thema aufgemacht, niemand anderes: "Ich habe den Trainer öffentlich nie infrage gestellt. Von daher bin ich in der Situation, dass ich es sehr amüsant finde, die Frage beantworten zu dürfen."
Nun, Hanning hatte zwar nicht direkt an Prokops Stuhl gesägt, mit einer unglücklichen Formulierung aber zumindest die Debatte mit angestoßen.
Es werde sich gegen Österreich zeigen, "was die Mannschaft mit dem Trainer macht", hatte der gebürtige Essener verlauten lassen. Gemeint habe er aber, das stellte er in der ARD klar, "was die Mannschaft und der Trainer macht."
Also nicht, dass die Spieler über Prokops Zukunft entscheiden, sondern dass sie gemeinsam mit dem Trainer eine Reaktion zeigen sollen.
Klare Meinung und Kalkül
Dass ausgerechnet Hanning aber für solche Irritationen sorgt, überrascht. Denn der 51-Jährige ist ein Mann mit viel Kalkül, der normalerweise ganz genau weiß, was er sagt – und eben auch, wie man es interpretieren könnte. (Handball-EM 2020: Spielplan, Ergebnisse und Tabellen)
"Wie er die ganze Situation moderiert hat, passt doch total zu ihm. Zuerst macht er eine Trainerdiskussion auf, am nächsten Tag will er davon nichts mehr wissen und fühlt sich angeblich falsch verstanden. Bob legt es immer so aus, wie er es gerade braucht, das ist seine große Stärke, und damit stellt er die ganze Handball-Welt auf den Kopf", erklärte Ex-Nationalspieler Christian Schwarzer im Tagesspiegel: "Damit habe ich ein Riesenproblem, zumal er ja nicht auf den Kopf gefallen ist. Dahinter steckt eine Strategie, ein ganz klarer Plan."
So gab sich Hanning auch am Montagabend, als er sich, obwohl er nicht wollte, doch noch zu einem Statement zu Daniel Stephan hinreißen ließ, das es in sich hatte. "Jeder disqualifiziert sich so gut, wie er das selbst kann. Das hat er in eindrucksvoller Weise schon häufiger bewiesen, dass er da die Goldmedaille verdient hätte", erklärte Hanning in Richtung des Welthandballers von 1998er, der zuvor Prokop zum wiederholten Male kritisiert hatte.
Der Zwist zwischen Hanning und Stephan läuft bereits einige Jahre, auch mit Heiner Brand gab es Unstimmigkeiten. So erkannte der frühere Bundestrainer eine "narzisstische Persönlichkeitsausprägung" und viel "Eigeninszenierung".
Nachwuchsarbeit als Leidenschaft
Hanning ist ein streitbarer und umstrittener Mann, hat mit seiner Art aber nicht nur beim DHB einiges ins Rollen gebracht.
"Man kann von ihm halten, was man will", sagte Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar im Vorjahr dem Tagesspiegel: "Fakt ist: Der DHB ist so gut und so professionell aufgestellt wie seit Jahren nicht – und das hängt vor allem mit der Person Bob Hanning zusammen."
Hauptberuflich ist Hanning bei den Füchsen Berlin als Geschäftsführer tätig, geht dort aber auch seiner Leidenschaft, der Jugendarbeit, nach.
Seitdem er das Ruder übernommen hat, mischen die Füchse den Nachwuchsbereich auf. Zudem gewannen sie unter anderem auch zweimal den EHF-Pokal. Und mit dem neuen Vorstand Sport Kretzschmar sollen auch in Richtung Bundesliga-Spitze Ansprüche erhoben werden.
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Machtmensch mit schrillen Outfits im Rampenlicht
Hanning ist ein Machtmensch und bestens vernetzt. Er ist leidenschaftlich und aktiv - und ausgesprochen wortgewandt und äußerungswillig. "Was kann ich für euch tun?", fragt er nach Spielen die wartenden Journalisten, die meist wissen, dass von ihm die klarsten Aussagen kommen.
Diese Aufmerksamkeit genießt Hanning, ebenso wie die Blicke, die er mit seinen schrillen Outfits auf sich zieht. Beim HSV Handball karikierte sich der 1,68-Meter-Mann einst selbst, ließ sich im Napoleon-Kostüm ablichten.
Hanning steht gerne im Rampenlicht, das lässt sich nicht anders sagen – weiß dieses aber auch zu nutzen.
Erfolg des Handballs auch Hannings Erfolg
Fast immer hat er mit seinen Worten und Taten ein größeres Ziel im Hinterkopf. Und jedes Jahr im Januar, wenn die Welt- und Europameisterschaften stattfinden, geht es ihm mit seinen polarisierenden Auftritten auch darum, den Fokus auf "seine" Sportart zu legen.
Der Handball und dessen Status als "Mannschaftssportart Nummer zwei", wie er nicht müde wird, zu betonen, sind ihm ungemein wichtig. Die mediale Aufmerksamkeit kommt also gelegen.
"Der deutsche Handball ist auf einem guten Weg, wir haben in der Spitze gestern neun Millionen Zuschauer gehabt", betonte Hanning nach dem Kroatien-Spiel im Gespräch mit SPORT1: "Es ist uns gelungen, im Laufe der Jahre die Begeisterung für den Handball zu manifestieren."
Um diese Euphorie sowie die Entwicklung des Verbandes aufrecht zu erhalten, sei es "elementar wichtig", dass die Nationalmannschaft Erfolg habe.
Heißt: Das DHB-Team solle bei der EM nach dem verpassten Halbfinale zumindest Fünfter werden – und im April aber bitteschön die Qualifikation für die Olympischen Spiele schaffen.
Vision Olympia-Gold 2020
Denn bereits 2013 hatte Hanning eine Vision: Olympia-Gold 2020. Und von dieser rückt er bislang auch nicht ab, nein, er bekräftigt sie immer wieder.
Seine Devise ist es, groß zu denken. So hielt er auch – gemeinsam mit der Mannschaft – das Halbfinalziel bei der diesjährigen EM hoch. Trotz der Absagenwelle, die besonders dem Rückraum große Qualität entzog.
"Ich setze mir lieber hohe Ziele und verpasse dann auch mal eines, als ständig auf Understatement zu machen", beschrieb Hanning einst sein Motto.
Am olympischen Ziel muss sich Hanning messen lassen. Seit er als Vize im Amt ist, gewann Deutschland den EM-Titel 2016 und Bronze bei Olympia 2016.
Bei Weltmeisterschaften sprangen aber nur die Plätze sieben, neun und vier heraus. Vier Jahre ohne Edelmetall wären zu wenig für die Ansprüche des Funktionärs, der sein DHB-Amt im kommenden Jahr niederlegen will.
Verhinderte Hanning Prokops Entlassung?
Und am Maßstab Olympia wird auch Prokop gemessen, der vom DHB am Dienstag - trotz des dritten verpassten Ziels in drei Jahren - öffentlich das Vertrauen ausgesprochen bekam.
Prokop ist Hannings Trainer, er holte ihn 2017 für die Ablöse von 500.000 Euro vom SC DHfK Leipzig und kämpft gegen Widerstände für den gemeinsamen Erfolg.
Daniel Stephan äußerte im Februar 2018 bei SPORT1 gar die These, dass nur "die Macht von Bob Hanning" eine Trennung von Prokop nach der verkorksten EM 2018 verhindert habe.
Hanning habe "sicherlich alles daran gesetzt, dass an seinem Schützling festgehalten wird, denn sonst hätte er auch zurücktreten müssen. Das hätte sein Ego wahrscheinlich nicht verkraftet."
Hanning geht seinen Weg
Auch wenn Stephans Worte etwas hart und nicht völlig objektiv waren, würde bei einem Scheitern des Bundestrainers wohl auch Hanning seinen Hut nehmen (müssen). Gleichzeitig wäre ein Erfolg Prokops aber in gewisser Weise auch Hannings Meisterstück.
Mittelfristig will er sich ohnehin auf die Füchse konzentrieren, bis dahin aber auch sein Werk vollenden - und weiter seinen Weg gehen.
"Die Leute können sagen, was sie wollen", beschrieb Hanning am Montag in der ARD sein Selbstverständnis: "Das hat mich sieben Jahre nicht interessiert und wird mich auch die nächsten eineinhalb Jahre meiner Amtszeit nicht interessieren."