Kann Italien im Handball tatsächlich in die absolute Weltspitze vordringen? Nach einer überragenden Handball-WM und vielen Überraschungen will der einstige Underdog mehr.
Hanning? „Ich war total begeistert“
Das zeigt auch die Verpflichtung von Bob Hanning, Ex-Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), der seit Januar als Nationalcoach der Italiener fungiert und am vergangenen Wochenende einen Start nach Maß feierte. In der EM-Qualifikation gab es zwei souveräne Siege gegen Lettland.

Eine wichtige Stütze für die Italiener ist weiter Domenico Ebner, der in der Handball-Bundesliga für DHfK Leipzig aufläuft und schon bei der Weltmeisterschaft zu den Stars zählte.
„Haben gezeigt, was der italienische Handball kann“
Der 30-Jährige - gebürtig aus Freiburg - nimmt sich nach seiner Rückkehr Zeit für SPORT1 und berichtet im exklusiven Interview, wie er das Debüt von Bob Hanning erlebte.
SPORT1: Herr Ebner, Sie haben mit Ihrer Nationalmannschaft zwei sehr erfolgreiche Auftritte gegen Lettland hingelegt. Wie haben Sie die Spiele erlebt?
Ebner: Im ersten Spiel hat im Angriff nicht alles geklappt, wobei die Abwehr das größere Problem war. Trotzdem haben wir zwei Siege geholt, bei denen wir über die vollen 60 Minuten stärker waren als der Gegner. Wir haben gezeigt, was der italienische Handball wieder kann. Für uns war es zudem wichtig, aus dem ersten Spiel zu lernen und im zweiten Spiel Dinge besser zu machen. Und das mit einer abgeänderten Abwehrformation, die Bob (Hanning; Anm. d. Red.) integrieren wollte. Insofern kann man von einer erfolgreichen Woche sprechen.
Hanning? „Nicht mehr das kleine Italien darstellen“
SPORT1: Inwiefern hat Ihr neuer Trainer Bob Hanning bereits Einfluss genommen? Welche Rolle spielt er bei den Erfolgen?
Ebner: Es ist sehr gut, dass Bob da ist. Er kannte viele Spieler noch nicht persönlich und konnte sich nun einen ersten Eindruck machen. Er hat viele Einzelgespräche geführt und dabei die einzelnen Spieler besser kennengelernt. In den Trainingseinheiten und auch im Hinblick auf die Spiele hat er dann bereits versucht, seine Idee umzusetzen und uns einige Dinge mitzugeben. Natürlich kann man nicht innerhalb von einer Woche alles komplett umstellen, deshalb hat er die Änderungen auch dosiert eingeführt. Ihm war wichtig, dass wir uns nicht mehr als das kleine Italien darstellen, sondern dass wir jetzt sogar manchmal die Gejagten sind. Er versucht, das Mindset der Spieler zu ändern, dafür waren beide Spiele und vor allem die Siege extrem wichtig.
SPORT1: Ihre Mannschaft hat schon bei der WM gut gespielt. Was hat sich dadurch verändert?
Ebner: Natürlich nehmen uns die Gegner ganz anders wahr, weil wir bei der WM gute Spiele abgeliefert haben. Aber der italienische Handball steckt trotzdem noch in den Kinderschuhen. Viele Dinge haben wir auf eine bestimmte Art und Weise gemacht, auch weil die Rahmenbedingungen noch nicht so sind wie beispielsweise in Deutschland. Das müssen wir auch in unserem Kopf ändern. Wir müssen verinnerlichen, dass wir jetzt den italienischen Weg einschlagen, und wir müssen voll und ganz dahinterstehen. Wir können auch größere Gegner schlagen - das ist eine Erkenntnis nach der WM. Wir müssen uns nicht verstecken. Aber das muss sich auch erst einmal in den Köpfen der Spieler verankern.
SPORT1: Sie haben bereits erwähnt, dass Bob Hanning viele Einzelgespräche geführt hat. Wie haben Sie ihn in den zurückliegenden eineinhalb Wochen erlebt?
Ebner: Ich war von Bob in der ersten Woche total begeistert. Er hat viele Spieler abgeholt. Er hat natürlich auch Sachen umgestellt, einige davon sind vor allem für die Zukunft des italienischen Handballs wichtig. Dabei geht es auch um Kleinigkeiten wie Disziplin und Pünktlichkeit. Ich glaube, es tut dem italienischen Handball gut, eine Person wie Bob Hanning zu haben. Er hat natürlich durch seine Stationen bei den Füchsen Berlin, beim 1. VfL Potsdam und beim DHB viel Erfahrung gesammelt, das ist für den italienischen Verband Gold wert.
„Italiener sind in Sachen Pünktlichkeit nicht unbedingt führend“
SPORT1: Sie erwähnten bereits das Thema Disziplin. Wie sorgt Ihr neuer Trainer denn für mehr Disziplin? Gibt es einen Strafenkatalog?
Ebner: Italiener sind in Sachen Organisation und Pünktlichkeit nicht unbedingt führend. Dementsprechend ist das eine Angelegenheit, die Bob sehr wichtig ist. Natürlich hat er das Thema angesprochen und seitdem sind die Jungs nicht einmal zu spät gekommen. Es ist sehr positiv und wird auch von den Leuten angenommen. Die Mannschaft hat großen Respekt vor ihm, was mich positiv stimmt. Es ist wichtig für uns zu zeigen, dass der italienische Handball mehr kann als das, was er in den zurückliegenden Jahren gezeigt hat.
SPORT1: Was hat sich im Vergleich zum vorherigen Coach sonst konkret verändert?
Ebner: Vor allem taktische Themen. Wie wir in der Abwehr agieren, wie wir im Angriff bestimmte Situationen erkennen, dass wir mit mehr Überzeugung spielen wollen. Und es geht um Kommunikation. Bob lässt uns viele Freiheiten und hört auch auf die Führungsspieler, so können diese ebenfalls mitentscheiden, wie wir spielen. Das ist natürlich sehr positiv, weil du dadurch die Spieler abholst und sie sich noch einmal mehr mit dem Spiel an sich beschäftigen müssen. Unsere Zielsetzung haben wir zwar noch nicht konkret besprochen, aber es geht im Prinzip darum, dass wir Jahr für Jahr bei EM und WM dabei sein wollen. Das kommt aber auch aus der Mannschaft heraus, wobei Bob diese Gedanken und Ansprüche noch mehr fokussieren möchte. Jeder soll komplett dahinterstehen, das wurde klar kommuniziert.
SPORT1: Was fordert Hanning von den Spielern?
Ebner: Jeder Spieler muss der Nationalmannschaft als solcher mehr geben. Zusatzschichten, zusätzliche Videoanalysen, zusätzliches Krafttraining – alles wird ganz wichtig sein, damit wir uns bestmöglich vorbereiten. Zusätzlich sollte sich jeder selbst noch mehr mit dem Spiel beschäftigen, um sich weiterzuentwickeln. Disziplin und Eigenverantwortung sind ganz wichtig.
SPORT1: Was erhoffen Sie sich persönlich von der Zusammenarbeit mit Ihrem neuen Nationaltrainer?
Ebner: Ich glaube, dass Bob als Persönlichkeit für den italienischen Handball sehr wichtig sein kann. Ich hoffe, dass wir gemeinsam eine erfolgreiche Zeit haben. Medial werden wir bereits ganz anders wahrgenommen, vor allem auch im Vergleich zu vor der WM. Es wird sich viel verändern. Ich habe keine extrem hohen Erwartungen, aber ich glaube, er wird den italienischen Spielern beratend zur Seite stehen. Einige von ihnen haben in der Vergangenheit so manche Karriereentscheidung vielleicht nicht immer richtig getroffen, um in ihrer Laufbahn den nächsten Schritt machen zu können. Ich erhoffe mir, dass sie in solchen Situationen mit Bob kommunizieren und er ihnen einen guten Weg aufzeigt, wie sie den nächsten Schritt gehen können. Denn für eine Nation wie unsere ist es extrem wichtig, dass viele Nationalspieler außerhalb Italiens spielen. Um internationales Level zu erreichen, muss man raus aus Italien.
Ebner stünde Hanning für Nationalhymne als Nachhilfelehrer zur Verfügung
SPORT1: In einem Interview hat Bob Hanning gesagt, dass er von der italienischen Nationalhymne begeistert ist, diese üben und beim nächsten Spiel bereits mitsingen möchte. Würden sie sich als Nachhilfelehrer eignen?
Ebner: Absolut! Wir haben bereits darüber nachgedacht. Bob hat bis Mai Zeit, die Hymne zu lernen – bis zum nächsten Lehrgang möchte er sie aber unbedingt können. Ich glaube, die Mannschaft hat mit ihm ganz viel Spaß. Die Spieler sind mit einer Überzeugung dabei, sie wollen trainieren und weiterkommen und sie wollen wissen, was Bob ihnen vermitteln möchte. Ich weiß nicht, ob das Wort „Klassenfahrt“ dafür das richtige ist, aber wir haben eine begeisternde Gemeinschaft. Unsere Nationalmannschaft kann man mit keinem anderen Team vergleichen, das ist eine andere Mentalität. Die Atmosphäre ist toll und Bob war total begeistert, denn das ist genau das, was er gesucht hat.
SPORT1: Die Begeisterung ist augenscheinlich auf beiden Seiten groß. Was wäre Ihre Traumvorstellung, wie die kurz- und langfristige Zukunft ihres Nationalteams aussehen soll? Wo kann es hingehen?
Ebner: Als Erstes steht die EM-Qualifikation an, im Jahr darauf dann wieder die Qualifikation für die WM. Alles Weitere ist zu langfristig gedacht. Dafür müssen wir erst sehen, wie sich die nächsten Jahre entwickeln. Wir haben viele junge Spieler in der Mannschaft, die die nächsten fünf, vielleicht sogar zehn Jahre zusammenspielen können. Wir haben wirklich das Potenzial, um mehr zu erreichen, aber so weit will ich noch gar nicht denken.