Siegen oder fliegen - unter diesem Motto treffen die deutschen Handballer im WM Viertelfinale am Mittwoch (ab 20.30 Uhr im SPORT1-Liveticker) auf Portugal. Im Falle einer Niederlage ist die Weltmeisterschaft für das Team von Alfred Gislason vorbei, bei einem Sieg würden wohl erneut die nahezu übermächtigen Dänen warten.
Vor ihm zittert Deutschland
Für den Gelegenheitszuschauer mögen die Portugiesen als Underdog in die Partie gehen, bei genauerem Hinsehen ist diese Einschätzung allerdings falsch.
Dies liegt unter anderem an einer Goldenen Generation, die der portugiesische Handball in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Dessen beeindruckende Offensivstärke stellte die Mannschaft von Trainer Paulo Pereira beim aktuellen Turnier schon mehrfach unter Beweis, zuletzt beim 46:28-Kantersieg gegen ein chancenloses Chile.
![Djibril M'Bengue steht aktuell beim Bergischen HC unter Vertrag](/_next/static/images/fallback-image-16-9-eaa0aba7a536c27bcdf9caee94ca26cb.png)
„Portugal spielt einen sehr schönen Handball – sehr jung und erfrischend“, sagt Djibril M‘Bengue im Gespräch mit SPORT1. Der ehemalige deutsche Nationalspieler, der derzeit beim Zweitliga-Spitzenreiter Bergischer HC um die Bundesliga-Rückkehr kämpft, verbrachte zwischen 2018 und 2022 vier Jahre beim FC Porto.
„Portugals Entwicklung war vorherzusehen“
„Die Entwicklung war schon vorherzusehen“, findet der 32-Jährige. „Als ich damals nach Porto gewechselt bin, hat der 1998er-Jahrgang mit André Gomes und anderen, die jetzt auch im Kader sind, die Junioren-WM gespielt. Da hat man gesehen, welches Potenzial im portugiesischen Handball steckt. Sie haben schon damals Deutschland Kopfzerbrechen bereitet.“
Die Entwicklung schritt in den folgenden Jahren voran und hat nun ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Wie das Pereira-Team das entscheidende Hauptrundenspiel gegen den Nachbar Spanien mit 35:29 für sich entschied, sollte in Deutschland für gehörigen Respekt sorgen. Zuvor besiegte Portugal bereits Gastgeber Norwegen. Nur die Topteams Dänemark und Frankreich sind bisher ebenfalls unbesiegt.
Zur jüngeren Historie Portugals gehört allerdings auch ein traumatisches Ereignis, das das Team zurückwarf. Der Tod ihres Stammkeepers Alfredo Quintana, der am 26. Februar 2021 den Folgen eines Herzinfarktes erlag, hemmte die Entwicklung für einige Zeit.
Erst 2023 hatten Quintanas Teamkameraden den Schock so weit verdaut, dass sie bei der WM in Polen und Schweden die Gruppenphase als Sieger überstanden und nur knapp das Viertelfinale verpassten. Zwei Jahre später hat sich das Team vor allem in der Offensive zu einer echten Gefahr gemausert: Keine einzige Mannschaft hat bei der aktuellen WM bislang so viele Tore erzielt wie die Portugiesen - nicht einmal der haushohe Favorit Dänemark, der das DHB-Team bekanntlich mit einem 40:30 demontiert hatte.
„Dass jetzt noch weitere junge Spieler dazugekommen sind, ist auch eine Folge der Jugendarbeit, die in Portugal geleistet wird“, sagt M‘Bengue. „Die besten Jugendspieler des ganzen Landes werden bei Benfica, Sporting oder Porto konzentriert und dann an andere Vereine verliehen. So können sie in der Liga schon in jungen Jahren Erfahrungen sammeln und kommen dann zurück, wenn sie alt genug sind. Deswegen ist es kein Zufall, sondern ein tolles Jugendkonzept mit sehr guten Trainern.“
„Costa-Brüder sind keine Alleinunterhalter“
Zu den begehrtesten Spielern zählen die beiden Costa-Brüder Martim und Francisco, den alle nur „Kiko“ nennen. Der 19-Jährige, wie sein Bruder bei Sporting Lissabon unter Vertrag, traf im aktuellen Turnier bislang 37 Mal ins Schwarze und steht längst auf den Zetteln der europäischen Top-Klubs.
Als damals 17-Jähriger hatte Francisco Costa bereits bei der Handball-WM 2023 für Furore gesorgt und unter anderem den DHB-Star Lukas Mertens verblüfft. „Für sein Alter hat er schon sehr viel Erfahrung. Er ist mit 17 Jahren wirklich gut. Da kommt noch einiges auf den europäischen Handball zu“, vermutete Mertens damals bei SPORT1.
„Die beiden sind natürlich ein Riesen-Faktor“, sagt M‘Bengue, erklärt aber weiter: „Sie sind keine Alleinunterhalter. Sie haben einen überragenden Kreisläufer (Luis Frade, d. Red.), der seit Jahren mit Barcelona in der Weltspitze spielt. Zudem haben sie zwei starke Torhüter, einen jungen (Diogo Marques, d. Red.) und einen im besten Torhüter-Alter (Gustavo Capdeville, d. Red.).
Portugal-Star schickt Kampfansage an DHB-Team
Auch der Spielgestalter, Rui Silva, und die Außen seien „richtig stark“, urteilt der 19-malige deutsche Nationalspieler. „Portugal ist als Mannschaft gereift und hat mit den Costa-Brüdern einen Extra-Bonus dazubekommen. Und was man nicht vergessen darf: Salvador Salvador spielt ebenfalls ein überragendes Turnier, obwohl er gar nicht so oft zum Einsatz kommt.“
Der Rückraumspieler schickte bereits eine Kampfansage Richtung DHB-Team: „Es wird kein Zuckerschlecken, aber wir werden hart arbeiten, damit es ein weiteres Spiel für die Geschichtsbücher des portugiesischen Handballs wird.“
Geht es nach M‘Bengue, dürfe das Duell gegen Deutschland für die jungen Portugiesen gerne noch zu früh kommen. „Ich finde, dass Deutschland ein gutes Turnier spielt und verdient ins Viertelfinale eingezogen ist. Deswegen bin ich positiv gestimmt und hoffe, dass wir am Mittwoch gewinnen. Dann wären wir im Halbfinale und hätten nach Olympia die nächste Chance auf eine Medaille.“