Angefeuert vom heimischen Publikum stehen die deutschen Handball-Junioren bei der U21-Weltmeisterschaft souverän im Viertelfinale. Doch ein wenig unter dem Radar sorgt eine andere Nation für Furore, die sonst nicht die Schlagzeilen der Sportwelt beherrscht.
Die absolute Sensation der U21-WM
Die Färöer deklassierten am letzten Spieltag in Hauptrundengruppe II die hochgehandelten Portugiesen mit 27:19. Der erstmalige Einzug der Juniorenauswahl der Inselgruppe in das WM-Viertelfinale hatte bereits nach dem 33:27-Erfolg über Brasilien festgestanden.
Noch mehr Aufsehen erregte zuvor nur der 34:31-Sieg im abschließenden Vorrundenspiel gegen Spanien. Die U21-Auswahl der Iberer wurde von den Färingern zu Beginn regelrecht überrollt, zur Pause stand es 21:10 für die Färöer.
Erst in der zweiten Hälfte ließen die Spanier ihre Klasse aufblitzen, doch da war es schon zu spät und die Färöer retteten eine 3-Tore-Führung über die Zeit.
Die IHF bezeichnete das Ergebnis auf ihrer Webseite als „großen Schock“ und sprach von „einem der beeindruckendsten Ergebnisse in der Geschichte des Wettbewerbs“.
Erste EM-Teilnahme für die Färöer
Beeindruckend ist die Bilanz der Färinger bei dieser U21-WM. Auch wenn die achtzehn Inseln der Färöer nur etwa 54.000 Einwohner beherbergen, stürmte das Team mutig und unbeirrt mit fünf Siegen aus fünf Spielen ins Viertelfinale.
Doch der Handball-Zwerg ist noch nicht satt. „Wir sind zufrieden mit dem, was wir erreicht haben, aber wir haben noch viel vor uns“, betonte Spielmacher Elias Ellefsen á Skipagøtu, der sowohl bei den Toren (39) als auch bei den Vorlagen (31) die Turnier-Statistik anführt.
Erst vor zwei Monaten hatte sich der Rückraumspieler, der im Sommer zum THW Kiel wechselt, mit der A-Nationalmannschaft für die EM 2024 in Deutschland qualifiziert. Auch das war ein Novum für die Färöer, die in ihrer Geschichte noch nie an einem großen Turnier teilgenommen haben.
Beim anstehenden Turnier in der Bundesrepublik warten in der Vorrunde mit Norwegen, Slowenien und Polen harte Brocken - klar, dass die Färöer hier als krasser Außenseiter gelten.
Achtbare Auftritte gegen die DHB-Auswahl
Doch bereits vor einem Jahr in der Vor-Qualifikation für die Handball-WM 2023 zeigten die Färinger ihr Potenzial. Nach Siegen gegen Lettland und Italien profitierten sie von der Suspendierung von Belarus und lösten das Ticket für die WM-Playoffs gegen Deutschland.
Gegen die Auswahl von Bundestrainer Alfred Gislason schlug sich das deutlich unerfahrenere Team trotz zweier Niederlagen äußerst achtbar.
So legten die Färöer in beiden Spiele einige Baustellen der deutschen Mannschaft offen. Vor allem die harte Gangart brachte das DHB-Team in der Offensive mehrfach aus dem Konzept.
Zusammenfassend deuten aktuell mehrere Anzeichen auf einen Aufbruch im färöischen Handball hin. Dazu gehört auch die bemerkenswerte Leistung bei der U20-EM im vergangenen Jahr, bei der die Färöer sensationell mit 33:32 gegen Schwergewicht Dänemark gewannen.
Färöer viele Jahre ohne Erfolgserlebnis
Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, welche Entwicklung die Färöer im Handball bereits zurückgelegt hat.
In den Qualifikationen zur EM 2002, 2004 und 2010 sowie zur WM 2005, 2009, 2011 und 2019 konnte das Nationalteam insgesamt nur zwei Unentschieden erringen. Erst in der Qualifikation zur WM 2021 gelang Färöer ein 24:22-Auswärtssieg gegen Luxemburg.
Dazwischen gewannen die Färinger jedoch die ersten beiden Ausgaben der IHF Emerging Nations Championships, eine Art Weltmeisterschaft für Nationen, in denen gezielt an der Entwicklung des Handballs gearbeitet werden soll.
Nach vielen Jahren des Leidens scheint diese Entwicklungsarbeit auf den Färöern endlich Früchte zu tragen. Insbesondere das Aufkommen einiger talentierter Spieler mit individueller Klasse zeichnet den färöischen Handball mittlerweile aus.
Das Aushängeschild der Färinger ist wenig überraschend U21-WM-Topscorer Ellefsen á Skipagøtu, der 2022 in seiner Heimat als Sportler des Jahres ausgezeichnet wurde.
Besonderes Hallen-Konzept auf den Färöer Inseln
„Ich habe mich schon früh in den Handball verliebt, weil mein Vater diesen Sport gespielt hat, er hat mir von Anfang an gefallen“, erklärte der 21-Jährige über seine sportlichen Anfänge auf der IHF-Webseite: „Ich denke, das gilt auch für meine Mannschaftskameraden, denn wir sind ein recht kleines Land.“
Dabei förderte ein besonderes Konzept die Entwicklung von Ellefsen á Skipagøtu und die anderer Handballer.
„Auf den Färöer Inseln sind die Hallen immer offen. Wir sind jeden Tag hingegangen, haben ein paar Freunde mitgenommen, von denen einer immer Torwart war, und haben immer ein paar Stunden trainiert, nur so zum Spaß“, verriet der Spielmacher: „Wir wurden immer besser, ich würde sagen, wir alle haben in unserer Freizeit Handball gespielt.“
Für Ellefsen á Skipagøtu, dessen Mutter die Präsidentin des färöischen Handball-Verbandes ist, ist die U21-WM in Deutschland und Griechenland das letzte Turnier auf Juniorenebene. Auch seine Brüder und Cousins sind in den Nachwuchsnationalteams des Landes aktiv.
THW Kiel verpflichtet Sportler des Jahres
Die Karriere von Ellefsen á Skipagøtu erfuhr einen Schub, als er 2020 vom färöischen Meister H71 Hoyvik zum schwedischen Klub IK Sävehof wechselte. 2021 gewann er mit dem Team die Meisterschaft, 2022 wurde er zum MVP der schwedischen Liga gewählt.
In der Folge wurden namhafte Vereine auf Ellefsen á Skipagøtu aufmerksam. Letztlich erhielt der THW Kiel, der den Youngster schon über viele Jahre beobachtet hatte, den Zuschlag für diesen Sommer.
„Elias gehört zu den größten Talenten Europas auf der Rückraum Mitte. Er hat ein großes Spielverständnis und ist kreativ“, lobte Kiel-Geschäftsführer Viktor Szilagyi.
Der Färinger selbst bezeichnet Kiel als einen „der größten Clubs der Welt mit einer überragenden Mannschaft“. Ein Teil davon zu werden, sei „eine große Ehre“.
Junges Färöer-Duo in der Bundesliga
Ebenfalls ein Bestandteil der deutschen Bundesliga ist künftig Hákun West av Teigum. Der Rechtsaußen, der wie Ellefsen á Skipagøtu für das färöische Junioren- und Seniorenteam aufläuft, wechselt vom dänischen Erstligisten Skanderborg Aarhus Håndbold zu den Füchsen Berlin.
Bei der U21-EM steht er bereits bei 34 Toren (Platz sechs in der Torjägerliste). „Ich beobachte ihn schon längere Zeit und bin beeindruckt von seinem Talent, aber auch von seinen technischen Fähigkeiten als Rechtsaußen“, freute sich Füchse-Sportchef Stefan Kretzschmar über die Neuverpflichtung.
West av Teigum hatte seine Heimat im Alter von 16 Jahren verlassen und sich der Jugendakademie des dänischen Erstligisten Skanderborg Aarhus angeschlossen. Nach seinem Profidebüt in der Saison 2020/21 erzielte er gleich 38 Treffer, ein Jahr später waren es stolze 98 Tore.
Zusammen mit Ellefsen á Skipagøtu verkörpert er wie kein anderer Spieler den Aufbruch und die positive Entwicklung des färöischen Handballs.
Am kommenden Donnerstag bietet sich dem Erfolgsduo im Viertelfinale der U21-WM gegen Serbien die Chance, diesem Aufstieg ein weiteres Kapitel hinzuzufügen.
Und als wäre das nicht schon genug, könnten die Färöer in einem möglichen Halbfinale auf Co-Gastgeber Deutschland treffen.